Das Rentensystem in Deutschland steht weiter in der Kritik. Zuletzt hatte sich CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann dazu geäußert, dass Rentner zu wenig arbeiten würden. Jetzt hat sich Enzo Weber, Ökonom am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Regensburg, zu Wort gemeldet und die Abschaffung der Regelaltersgrenze gefordert. 

Gegenüber IPPEN.MEDIA. machte Weber deutlich: "Mein Rat ist, nicht mehr über Grenzen zu diskutieren. Grenzen rammen einen Pflock ein, daran orientieren sich Menschen".

Weg mit der Regelaltersgrenze: "Da ist richtig viel zu holen"

Der Experte beschreibt gerade auch Arbeitsverträge als "unschönsten Pflock" bei diesem Thema. Weber: "Das Arbeitsverhältnis endet mit Erreichen der Regelaltersgrenze. Das wird als gegeben betrachten und dem wird dann nachgekommen."

Menschen würden sich unabhängig davon, ob es zu ihrem Vorteil ist, oder nicht, an vorgegebenen Schranken orientieren. Für ihn wäre es sinnvoll, dass es der Normalfall sein sollte, dass das Arbeitsverhältnis weiterlaufe und man sich bei Erreichen des Rentenalters mit dem Arbeitgeber zusammensetzt.

Aus seiner Sicht wird hier eine große Chance verpasst: "Da ist richtig viel zu holen." Es sei ein großer Fehler, wenn man die Renten "immer nur als Altersgrenze diskutiert". Dies sei keine große Motivation für die Menschen, sich auch im Alter weiter mit Arbeit zu beschäftigen. 

Der Ökonom schränkte seine Aussage allerdings dahingehend ein, dass man anerkennen müsse, dass es durchaus Jobs gebe, bei denen es nicht realistisch sei, "bis 67 Jahren zu arbeiten". Ein Ansatz für eine frei gewählte Verlängerung der Arbeitszeit in den eigentlichen Ruhestand hinein soll die sogenannte Aktivrente sein. Ab Januar 2026 sollen dafür die Reglungen in Kraft treten

SoVD warnt vor Erhöhung der Altersgrenze durch die Hintertüre

Eine weitere Anhebung der Regelaltersgrenze darf es nicht geben, bekräftigt Michaela Engelmeier gegenüber inFranken.de. Bei einer Nachfrage mit Bezug zu den Aussagen von Ökonom Enzo Weber erklärt die Vorstandsvorsitzenden des Sozialverband Deutschland e.V. (SoVD) dass man sich bereits "ohnehin noch in der schrittweisen Anhebung vom 65. auf das 67. Lebensjahr" befinden würde. 

Viele Menschen hätten demnach "aus gesundheitlichen Gründen oder auch aufgrund des Fehlens eines altersgerechten Arbeitsplatzes, Schwierigkeiten, die aktuelle Altersgrenze abschlagsfrei zu erreichen". 

Allerdings räumt Engelmeier mit Blick auf die Arbeitsverträge in Deutschland durchaus Verbesserungspotenzial ein: "Richtig ist aber auch, dass es nach wie vor recht starre Arbeitsverträge gibt, die ein Arbeiten oberhalb der Altersgrenze erst einmal ausschließen. Das beißt sich mit dem Ziel, auch ältere Fachkräfte im Berufsleben zu halten."

Dennoch ist es in ihren Augen die erste Pflicht des Staates, dafür zu sorgen, "dass die Menschen möglichst gesund arbeiten können und dies zunächst überhaupt erst einmal bis zum Renteneintritt". Die SoVD-Vorsitzende macht klar: "Wichtig ist uns, dass Regelungen, wie sie die aktuelle Bundesregierung beispielsweise mit der Aktivrente – also 2.000 Euro monatlicher Verdienst neben der Rente steuerfrei – planen, nicht dazu führen, dass Leistungskürzungen bei der gesetzlichen Rente gerechtfertigt werden."

Engelmeier warnt: "Durch ein mögliches Credo ‚die Menschen könnten ja länger arbeiten‘ darf es hier also nicht zu einer Anhebung des Renteneintrittsalters durch die Hintertür kommen."

Weitere Stimmen zum Rentensystem

Die zurzeit häufig getätigte Aussage "Das Rentensystem ist instabil und funktioniert nicht mehr", möchte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) so nicht stehen lassen. Hier sieht man die Lage deutlich weniger kritisch: "Das Rentensystem funktioniert! Die Boomer, die bald in Rente gehen, sind ein einmaliger und klar berechenbarer Faktor." 

Zu den aktuellen Forderung, die Regelaltersgrenze abzuschaffen wollte sich der Sozialverband VdK nicht äußern auf Nachfrage. In der Vergangenheit hatte der Verband gegenüber unserer Redaktion aber vor der zunehmenden öffentlichen Diskussion über den Arbeitswillen der Rentner gewarnt.

VdK: "Appelle an den Leistungswillen oder moralischer Druck in öffentlichen Debatten werden kaum dazu beitragen, diesen Anteil weiter zu erhöhen."

Zahlen zu Rentnern in Arbeit

Laut den aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes vom Januar 2025 gehen 13 Prozent der Rentner in Deutschland in den ersten sechs Monaten nach dem erstmaligen Bezug einer Altersrente weiter ihrer Arbeit nach.

Befragt wurden Personen im Alter von 50 bis 74 Jahren, die den Bezug einer Altersrente angaben. Dazu zählen gesetzliche, betriebliche und private Altersrenten.
Grafik des Statistischen Bundesamtes, 2025

Eine Zusatzerhebung der EU-Arbeitskräfteerhebung 2023 zeigt zudem, dass der Anteil damit im EU-Durchschnitt von 13 Prozent liegt. Außerdem heißt es weiter: "Während 6 Prozent ihre Arbeit unverändert fortsetzten, arbeiteten 7 Prozent nach Renteneintritt mit Veränderungen weiter."

Hierzu würden etwa ein reduzierter Stundenumfang oder ein Jobwechsel zählen. Der Großteil (55 %) der Rentner hörte nach dem Renteneintritt auf zu arbeiten. Ein Drittel (33 %) hatte bereits vor dem erstmaligen Bezug einer Altersrente aus verschiedenen Gründen nicht gearbeitet, zum Beispiel aufgrund von Altersteilzeit, Krankheit oder Arbeitslosigkeit.

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