Für einen reibungslosen Übergang in die Rente gibt es einige Dinge zu beachten. Neben organisatorischen Fragestellungen sollte man jedoch nicht die soziale Komponente vernachlässigen. Der Beruf beinhaltet nämlich für viele Menschen soziale und identitätsstiftende Funktionen.
"Menschen, die kurz vor der Rente stehen, machen häufig dieselben Fehler, wie Studien und Umfragen zeigen", erklärt hierzu Sebastian Kernbach im Interview mit Zeit Online. Er ist Assistenzprofessor an der School of Management der Universität St. Gallen und forscht zum Thema Renteneintritt. Außerdem coacht er Menschen, um ihnen den Übergang vom Arbeits- ins Rentenleben zu erleichtern. Seiner Meinung nach wird der Renteneintritt oft unterschätzt. Er rät deshalb, sich einige Jahre vor dem Ruhestand Gedanken zu machen.
In Rente gehen: Wichtige Funktionen des Berufs fallen plötzlich weg
Laut Kernbach gibt ein Beruf Menschen nicht nur eine Aufgabe, sondern auch das Gefühl, eine Rolle in der Gesellschaft auszuüben und einen Platz in ihr einzunehmen. Wenn Menschen in die Rente gehen, können sie deshalb das Gefühl haben, einen Teil ihrer Identität zu verlieren. Der Beruf erfüllt auch immer soziale Funktionen. Wer in Rente geht, verliert unter Umständen liebgewonnene Kollegen und den Arbeitsort, den man jahrelang aufgesucht hat. Dies treffe viele Menschen sehr hart, so der Experte.
Besonders schwer sei der Übergang in die Rente auch für Menschen, die in ihren Berufen viel Verantwortung getragen haben. Kernbach erklärt dies damit, dass sich bei diesen Menschen die sozialen Kontakte häufig auf die Kollegen beschränken und sie diese als Freunde wahrnehmen. Mit dem Renteneintritt gehen diese Kontakte dann verloren.
Kernbach meint: "Die meisten Menschen haben eine sehr romantische Vorstellung von ihrer Rente." Als Beispiel nennt er eine Kursteilnehmerin, die sich zusammen mit ihrem Mann und Freunden ein Haus in Schweden gekauft hatte und plante, dort zu leben. Aber aufgrund von Unstimmigkeiten und der frühen Dunkelheit wurde das Haus bald wieder verkauft. Der Coach meint, dass es den meisten an Unterstützung für das Ausscheiden aus dem Berufsleben fehlt.
In die Rente gehen: Empty-Desk-Syndrom kann drohen
Wer sich besonders stark mit seiner beruflichen Tätigkeit definiert, für den könne der Eintritt in die Rente schnell in eine existenzielle Krise führen. Einige Teilnehmer von Kernbachs Kursen fühlen sich in der Rente so nutzlos, dass sie depressive Symptome entwickeln. Diese Personen hätten dann Probleme damit, ihren Tag neu zu strukturieren und sich über die verfügbare Freizeit zu freuen.
Bestseller 'Ruhestand für Anfänger' bei Amazon ansehenDieses Phänomen hat sogar einen Namen: "Empty-Desk-Syndrom", also die Angst vor dem leeren Schreibtisch. Der Begriff geht auf den Psychologen Otto L. Quadbeck zurück, der das Syndrom umfassend erforschte. Von diesem Syndrom könnten Tausende Rentner betroffen sein. Belastbare Zahlen gibt es zwar nicht, aber es lassen sich aus den vorliegenden Untersuchungen durchaus Schlüsse ziehen. Denn ältere Menschen sind in Deutschland laut dem Statistischen Bundesamt mittlerweile deutlich häufiger auf dem Arbeitsmarkt vertreten als noch vor einigen Jahren. Zwischen 2013 und 2022 stieg die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen hierzulande von 64 auf 73 Prozent.
Der finanzielle Aspekt spielt dabei zwar eine Rolle, ist aber nicht so wichtig wie andere Motive, wie eine repräsentative Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zeigt. Ungefähr 90 Prozent der Befragten arbeiten im Rentenalter noch, weil sie den Kontakt zu anderen Menschen suchen, Spaß an ihrer Arbeit haben oder weiterhin eine Aufgabe brauchen.
Empty-Desk-Syndom: Diese Symptome können sich zeigen
Das "Empty-Desk-Syndrom" an sich ist zwar nicht als eigene psychosomatische Krankheit anerkannt. Seine starken Symptome lassen sich aber trotzdem ärztlich behandeln. Quadbeck nennt im Interview mit t-online zum Beispiel die folgenden Symptome:
- Rückenschmerzen
- Allergien
- Essstörungen
- Alkoholismus
- Tabletten- und/oder Drogensucht
- Herzbeschwerden
- Depressionen und Selbstmordgedanken
Viele Betroffene fallen zum Rentenbeginn in ein emotionales Loch. "Sie empfinden eine tiefe Leere und haben das Gefühl, ohne ihre Tätigkeit keinen Zweck mehr zu erfüllen", erklärt auch Steffen Häfner, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Zu einem Gefühl von Sinnlosigkeit und Wertlosigkeit kommen oft noch soziale Isolation und Einsamkeit. "Langeweile und Frust bis hin zu Depressionen treten als häufige Folgen auf", sagt der Psychotherapeut gegenüber web.de. Häufig kommt es auch zu Problemen in der Partnerschaft, weil sich gewohnte Strukturen verändern und die Person, die in Rente ist, plötzlich an allen Details des täglichen Lebens beteiligt ist. "Dies kann die Beziehung mit der Partnerin oder dem Partner belasten, der oder die sich möglicherweise durch den unerwünschten Eingriff in ihren Tagesablauf gestört fühlt." Die Hilfsorganisation Malteser empfehlt hier offen über die Situation zu sprechen, gemeinsam Pläne zu schmieden und darauf zu vertrauen, dass sich die Dinge fügen werden.
Experten empfehlen tiefe soziale Beziehungen, Hobbys pflegen oder Neues lernen
Damit Menschen keine Sinnkrise erleben, wenn sie in Rente gehen, betont Coach Kernbach gegenüber der Zeit die Bedeutung von tiefen sozialen Beziehungen und verweist auf eine Studie der Universität Harvard. "Dabei geht es weniger um die Anzahl der sozialen Kontakte, sondern darum, einige sehr gute Freundschaften zu haben, in denen man sich verletzlich zeigen kann."
Kernbach empfiehlt außerdem ehrenamtliche Tätigkeiten. Seiner Ansicht nach ist diese Art der Arbeit ein "wahres Wundermittel". Rentnerinnen und Rentner würden auf mehrfache Weise davon profitieren. So vermittelt die Arbeit ein gutes Gefühl und ermöglicht es, Beziehungen aufzubauen.
Die Malteser meinen, dass der Ruhestand der perfekte Moment ist, um etwas ganz Neues zu lernen oder Hobbys zu pflegen, für die lange keine Zeit war. Ob es eine Sportart wie Yoga oder Pilates, eine neue Fähigkeit wie Fotografieren, Töpfern oder Malen ist – es gibt jede Menge Hobbys, die ideal für Rentnerinnen und Rentner sind. Auch Volkshochschulen bieten unterschiedlichste Kurse an, in denen man neue Dinge lernen kann und gleichzeitig Beziehungen aufbauen kann.
Du interessierst dich für weitere Renten-Themen?
- Renten-Eintritt berechnen: Wann kannst du in den Ruhestand gehen?
- Einfach Rentensteuer berechnen: Wie hoch ist die Steuer für Rentner?
- Früher in Rente gehen: Wie hoch wären deine Abschläge?
- Immer mehr Rentner wandern aus: Die 10 besten Orte für den Ruhestand im Paradies
- Renten-Ausgleich nach einer Scheidung: Das solltest du über den Versorgungsausgleich wissen
- "Rente mit 63": Deshalb drohen jetzt bittere Folgen für den Arbeitsmarkt
- Erschreckender Bericht: So arm sind Deutschlands Rentner wirklich
*Hinweis: In der Redaktion sind wir immer auf der Suche nach tollen Angeboten und nützlichen Produkten für unsere Leser - nach Dingen, die uns selbst begeistern und Schnäppchen, die zu gut sind, um sie links liegenzulassen. Es handelt sich bei den in diesem Artikel bereitgestellten und mit einem Einkaufswagen-Symbol beziehungsweise einem Sternchen gekennzeichneten Links um sogenannte Affiliate-Links/Werbelinks. Wenn du auf einen dieser Links klickst und darüber einkaufst, bekommen wir eine Provision vom Händler. Für dich ändert sich dadurch nichts am Preis. Unsere redaktionelle Berichterstattung ist grundsätzlich unabhängig vom Bestehen oder der Höhe einer Provision.