Eine Lösung für das Problem mit dem Rentensystem hat die Politik noch nicht gefunden. Ideen gibt es viele. Jetzt hat Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche mit ihrer Forderung erneut das Renteneintrittsalter auf die Streichliste gesetzt und zugleich die Arbeitsmoral in Deutschland infrage gestellt. Reiche: "Wir müssen mehr und länger arbeiten."

Gegenüber der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) wurde die Ministerin sehr deutlich in ihrer Forderung: "Im internationalen Vergleich arbeiten die Deutschen im Durchschnitt wenig."

Problem mit der Rente: "Lebensarbeitszeit muss steigen"

Laut dem Bericht würden ihr Unternehmen davon berichten, dass an US-Standorten Beschäftigte rund 1.800 Stunden pro Jahr arbeiteten würden, in Deutschland aber nur 1.340 Stunden. Für Reiche ist klar: "Der demografische Wandel und die weiter steigende Lebenserwartung machen es unumgänglich: Die Lebensarbeitszeit muss steigen."

Erst vor wenigen Tagen hatte sich Handwerkspräsident Jörg Dittrich kritisch über den aktuellen Umgang mit dem Renteneintrittsalter geäußert. Eine Frührente müsse in dieser Form in der heutigen Zeit nicht mehr sein: "Zu viele Menschen nutzen sie und die fehlen in der Folge im Arbeitsprozess." 

Das System ist in seinen Augen zum Scheitern verurteilt. Dittrich: "Wir sitzen in einem Schiff, das am Rumpf ein Leck hat. Wenn wir dieses nicht bald abdichten, wird der Kahn komplett untergehen."

Renteneintritt: Deutscher Gewerkschaftsbund bezieht Stellung

Auf Nachfrage von inFranken.de beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), wie man eine solche Aussage vom Handwerks-Chef einordnet, heißt es von Anja Piel, DGB-Vorstandsmitglied: "Nach 45 Arbeitsjahren und deutlich jenseits des 64. Geburtstags abschlagsfreie Rente zu bekommen, ist eine Frage der Gerechtigkeit. Dieser Personenkreis hat weit über die Hälfte des gesamten Lebens gearbeitet. Wer solange soviel geleistet hat, hat es unbedingt verdient, noch ein paar gesunde Jahre Rente zu genießen."

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Die Position des Gewerkschaftsbundes wird von Piel eindeutig dargestellt: "Als DGB lehnen wir es ab, Menschen, die so viel geleistet haben, beim Rentenbeginn mit Abschlägen zu bestrafen. Statt Menschen über gekürzte Sozialleistungen zu längerem Arbeiten zu nötigen, sollten die Arbeitgeber endlich ihrer Verantwortung gerecht werden und die Arbeitsbedingungen so gut ausgestalten, dass Menschen gerne länger bleiben wollen.“ 

Eine Forderung, die auch klar zu den Aussagen von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche passt. Wer länger arbeiten soll, der braucht laut DGB entsprechende Bedingungen. Piel: "Offensichtlich bieten viele Unternehmen einfach keine guten Arbeitsbedingungen und die Menschen stimmen dann mit den Füßen ab, selbst wenn die Rente knapp ist."

Regierung plant keine Erhöhung

Noch steht die Bundesregierung klar zu ihren Aussagen und Plänen. Der stellvertretende Regierungssprecher Sebastian Hille wies in Berlin laut der Deutschen Presse-Agentur auf eine entsprechende Festlegung im Koalitionsvertrag hin, wonach keine Anhebung des generellen Renteneintrittsalters vorgesehen ist.

Zur Zukunft der Rente umgesetzt werden solle ein Gesamtpaket, das unter anderem eine "Aktivrente" vorsieht. Sie solle Menschen durch Anreize motivieren, auch länger zu arbeiten.

Fakt ist aber auch, dass der Druck auf diese Pläne wächst. 

Sozialverband VdK warnt vor späterem Renteneintrittsalter 

Wie sieht man die Situation beim Sozialverband VdK. Auf eine Anfrage unserer Redaktion hat man auf eine offizielle Stellungnahme durch VdK-Präsidentin Verena Bentele verwiesen. Bentele erklärt darin: "Die Entscheidung, länger zu arbeiten, muss freiwillig bleiben. Mit dem VdK jedenfalls wird es kein späteres Renteneintrittsalter für alle geben."

Man unterstütze von Seiten des Sozialverbandes sehr den Ansatz von der Wirtschaftsministerin "miteinander ins Gespräch zu kommen". Bentele: "Wir sollten vor allem mit denen sprechen, die es betrifft: den arbeitenden Menschen."

Beim VdK warnt man aber zugleich davor, den Rentenbeginn immer weiter zum Thema zu machen. Bentele: "Die immer wiederkehrende Diskussion um ein höheres Renteneintrittsalter schafft kein Vertrauen in notwendige Reformen und führt dazu, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger den demokratischen Institutionen misstrauen. Dieses Misstrauen öffnet extremistischen Kräften Tür und Tor. Wer die Menschen nicht mitnimmt, stärkt die Ränder."

Wirtschaftsministerin drängt auf Veränderungen beim Rentenbeginn 

Für Ministerin Reichel sind die Menschen in Deutschland aufgrund der alternden Gesellschaft aufgefordert etwas zu verändern. Reiche: "Es kann jedenfalls auf Dauer nicht gut gehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen." 

Leichte Einschränkungen macht sie im Gespräch mit der FAZ mit Blick auf einige Berufe. Hierzu erklärt sie, es gebe viele Beschäftigte in körperlich anstrengenden Berufen. Die Pläne der Bundesregierung reichen der Wirtschaftsministerin bei Weitem nicht aus: "Die sozialen Sicherungssysteme sind überlastet. Die Kombination aus Lohnnebenkosten, Steuern und Abgaben machen den Faktor Arbeit in Deutschland auf Dauer nicht mehr wettbewerbsfähig."

Ein entscheidendes Problem sieht man hier VdK-Präsidentin Bentele stark vernachlässigt: "Reiche liegt mit ihrer Einschätzung richtig: Viele Ältere möchten länger arbeiten können und können es auch. Aber seien wir ehrlich: Wer über 50 Jahre findet heute wirklich so einfach einen neuen Job? Wer will, dass die Menschen länger arbeiten, muss auch über Altersdiskriminierung sprechen und effektive Maßnahmen dagegen ergreifen."

Von der Ministerin sei nichts zu hören "zu altersgerechten Arbeitsplätzen, modernen Arbeitsmitteln oder lebenslangem Lernen". Bentele: "Das ist fatal. Arbeitgeber müssen stärker in diese Bereiche investieren, damit Arbeit im Alter überhaupt möglich wird."

Auch der SoVD widerspricht der Ministerin

Gegenüber unserer Redaktion hat sich auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) auf Anfrage geäußert. Von der SoVD-Vorstandsvorsitzenden Michela Engelmeier heißt dabei: "Wir widersprechen Frau Reiche – es darf keine weitere Anhebung der Regelaltersgrenze geben. Denn wir befinden uns ohnehin schon in der schrittweisen Erhöhung vom 65. auf das 67. Lebensjahr."

Viele Menschen hätten aus gesundheitlichen Gründen oder auch aufgrund des Fehlens eines altersgerechten Arbeitsplatzes, Schwierigkeiten, überhaupt die aktuelle Altersgrenze abschlagsfrei zu erreichen.

Engelmeier: "Aus Sicht des SoVD muss oberste Priorität aller Bemühungen sein, dass die Menschen möglichst gesund arbeiten können und dies bis zum Renteneintritt. Alle Überlegungen, die darüber hinaus gehen, sind nur für Menschen geeignet, die weiterarbeiten können und wollen." Außerdem stellt die SoVD-Vorsitzende klar, dass Maßnahmen, wie die Aktivrente, nicht dazu führen, dass Leistungskürzungen bei der gesetzlichen Rente gerechtfertigt werden. Das darf aber nicht zu einer Anhebung des Renteneintrittsalters durch die Hintertür kommen". 

Kritik innerhalb der CDU am Renten-Vorstoß von Reiche

Mächtigen Gegenwind für ihre Vorschläge und Forderungen bekommt die CDU-Politikerin Katherina Reiche besonders auch aus der eigenen Partei.

Laut der Deutschen Presse-Agentur (dpa) reagierte der CDU-Sozialflügel (CDA) auf Reiches Aussagen am Wochenende mit scharfer Kritik.

CDA-Bundesvize Christian Bäumler: "Wer als Wirtschaftsministerin nicht realisiert, dass Deutschland eine hohe Teilzeitquote und damit eine niedrige durchschnittliche Jahresarbeitszeit hat, ist eine Fehlbesetzung."

Arbeitgeber-Boss: "Deutschland muss wieder mehr arbeiten"

Zuspruch kommt derweil von Arbeitgeberpräsidenten Rainer Dulger aus. Dulger erklärt gegenüber der dpa: "Wirtschaftsministerin Reiche spricht Klartext – und das ist gut so. Wer jetzt mit Empörung reagiert, verweigert sich der Realität." 

Die CDU-Politikerin fordere demnach eine umfassende Reformagenda, die auch die sozialen Sicherungssysteme einschließt. 

Dulger: "Das zeigt: Das Rendezvous mit der Realität hat in der Bundesregierung begonnen. 50 Prozent Sozialversicherungsbeitrag sind keine Verheißung, sondern ein Warnsignal. Deutschland muss wieder mehr arbeiten, damit unser Wohlstand auch morgen noch Bestand hat."