Es sieht nicht gut aus für die gesetzlichen Krankenkassen. Die finanzielle Lage ist mehr als nur angespannt. Sie ist extrem schlecht. Laut Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) ist die Situation "dramatischer als ohnehin angenommen." Ein Defizit von 6,2 Milliarden Euro für das Jahr 2024 hatte das Bundesministerium für Gesundheit im März 2025 vermeldet. Die Rücklagen der Kassen schwinden. 

Ganze 800 Millionen Euro muss der Bund als Zuschuss geben, um das aktuelle System am Leben zu erhalten. Gegenüber dem Handelsblatt teilte das Bundesgesundheitsministerium mit, dass man sich zusammen mit dem Finanzministerium auf diese Summe geeinigt hätte. Das soll helfen die Liquiditätsreserve wieder aufzufüllen. Doch wer muss das bezahlen? Und wie geht es weiter?

Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsweisen gibt düstere Prognose ab

In dem am Mittwoch, 21. Mai 2025, vorgestellten Frühjahrsgutachten der Wirtschaftsweisen zeigt sich mit Blick auf die Krankenkassen eine eher düstere Prognose.

Die Experten gehen davon aus "dass es auch im Jahr 2026 zu Erhöhungen der Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung sowie der sozialen Pflegeversicherung kommt." 

Zahlen, wie solche Erhöhungen ausfallen könnten, werden dabei nicht genannt. Allerdings machte der Wirtschaftsweise Martin Werding bei der Präsentation des Gutachtens deutlich, dass es im Haushalt der Bundesregierung wenig Spielraum geben würde, um diese Probleme zu lösen. 

System der Gesetzlichen Krankenkassen in "tiefroten Zahlen"

Zum Hintergrund für das Eingreifen der Bundesregierung heißt es im Bericht der Wirtschafts- und Finanzzeitung, dass die sogenannte Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds unter den gesetzlich festgelegten Wert gefallen war.

In den Gesundheitsfonds, so wird es erklärt, "fließen die Beiträge von gesetzlich versicherten Mitgliedern und deren Arbeitgebern sowie Steuermittel. Der Fonds verteilt das Geld dann an die Krankenkassen". Das System steckt laut Warken in "tiefroten Zahlen". 

Auf Nachfrage von inFranken.de hat der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV) mit einem klaren Appell an die neue Bundesregierung reagiert: "Ein ‚Weiter so‘ ist keine Option. Die Lösung der Finanzprobleme auf die Ergebnisse einer Reformkommission im Jahr 2027 zu schieben, verkennt den Ernst der Lage." Man brauche "jetzt ein Ausgabenmoratorium, damit die Ausgaben und die Einnahmen der Krankenkassen wieder in ein Gleichgewicht kommen".

Auch der ehemalige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte mit Bekanntwerden der Zahlen im März darauf hingewiesen, dass es "in den vergangenen Legislaturperioden versäumt wurde, das Gesundheitssystem zu modernisieren und die Strukturen für die Zukunft fit zu machen". Lauterbach: "Der Schlüssel zu stabilen GKV-Finanzen sind tiefgreifende Strukturreformen des Gesundheitswesens."

Die Kosten trägt die jüngeren Generation

Mit großer Sorge Blick man auch beim Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) auf die Entwicklungen bei den Gesetzlichen Krankenkassen. Zu den Folgen der aktuellen finanziellen Lage und speziell zu den Auswirkungen für die Beitragszahler hat der PKV gegenüber inFranken.de erklärt: "Die Ausgaben werden aufgrund der demografischen Entwicklung unserer alternden Bevölkerung weiter steigen und die umlagefinanzierte Kranken- und Pflegeversicherung ist darauf nicht vorbereitet."

Der PKV verweist dabei auf eine aktuelle Studie durch das Wissenschaftliche Institut der PKV (WIP) unter der Leitung des Wirtschaftsweisen Prof. Dr. Martin Werding. Die gewonnen Daten zeigen demnach, wie stark die jüngeren Generationen von Beitragssteigerungen betroffen wären, wenn die Politik jetzt nicht gegensteuert.

Die Folgen durch das aktuelle System der Gesetzlichen Krankenkasse laut der WIP-Studie:

  • Der Beitragssatz zur Sozialversicherung wird ohne Reformen bis 2035 auf 47,5 Prozent steigen und danach noch weiter.
  • Im Jahr 2050 wird er sogar bei 52,9 Prozent liegen.
    Heißt in Zahlen: Der Geburtsjahrgang 2020 zahlt 904.000 Euro an Sozialabgaben, der Geburtsjahrgang 1960 noch 640.000 Euro.
  • Der massive Anstieg der Beitragssätze gefährdet die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaftsstandorts Deutschland und geht zu Lasten von Beschäftigung und Wirtschaftswachstum.
  • Die steigende Beitragsbelastung droht die Akzeptanz und die politische Legitimität des umlagefinanzierten Sozialversicherungssystems zu untergraben – und damit den sozialen Zusammenhalt.

Zu den Ergebnissen der Studie erklärt PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther: "Ohne grundlegende Reformen zahlen junge Menschen in Zukunft einen immer höheren Preis für ein System, das an seine Grenzen stößt. Der massiv steigende Beitragssatz zur Sozialversicherung gefährdet nicht nur Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum, sondern auch den sozialen Zusammenhalt." 

Reuther bietet zudem an, die eigenen Erfahrungen für den Aufbau "einer besseren Eigenvorsorge für möglichst viele Menschen anzubieten". Bei der PKV würden man schon sehr lange zeigen, wie "eine nachhaltige und generationengerechte Finanzierung gelingen kann". Man würde dafür auf kapitalgedeckten Rückstellungen für die stark steigenden Gesundheits- und Pflegekosten der alternden Gesellschaft bauen. 

Sozialverband: "Die GKV wird durch den Bund kaputt gerechnet."

Auch beim Sozialverband VdK hat man sich auf Nachfrage unserer Redaktion zur finanziellen Lage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geäußert. Und auch dazu, was das für Folgen für die Versicherten haben wird. VdK: "Die Zusatzbeiträge haben mit aktuell 2,5 Prozentpunkten ein Rekordniveau erreicht – und ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht. Es ist zu erwarten, dass die Beiträge weiter steigen werden."

Es ist zu erwarten, dass die Beiträge weiter steigen werden.

Sozialverband VdK

Zur Einordnung der Zahlen erklärt der VdK: "Ein Prozentpunkt Beitrag entspricht einem Finanzvolumen von rund 17,1 Milliarden Euro. Vor diesem Hintergrund erscheint der vom Staat angekündigte Zuschuss von 800 Millionen Euro im Verhältnis als eher gering. Gleichwohl ist es aus Sicht des VdK ein wichtiges und positives Signal, dass der Staat der GKV eine Finanzspritze gewährt – und das unmittelbar zu Beginn der neuen Legislaturperiode."

Für den VdK sei es klar, "dass insbesondere die Finanzierung der gesamtgesellschaftlichen Aufgaben aus Steuermitteln erfolgen muss, dann sähe die Finanzierungsnot der GKV nicht so groß aus". Sozialverband VdK: "Die GKV wird durch den Bund kaputt gerechnet."

Bereits 2024 haben 100 Krankenkassen Beiträge erhöht

Dem Handelsblatt-Bericht zufolge verzeichnete die GKV 2024 laut diverser Schätzungen ein Defizit von rund sechs Milliarden Euro. Viele Krankenkassen hätten demnach ihre Zusatzbeiträge bereits deutlich angehoben – im Durchschnitt liegt der Zusatzbeitrag laut GKV-Schätzerkreis bei 2,5 Prozent. Einzelne Kassen würden sogar vier Prozent berechnen, da sie diesen Betrag selbst bestimmen können. Hinzu kommt auch noch der allgemeine Beitragssatz in Höhe von 14,6 Prozent.

Eine Analyse des Beratungshauses McKinsey zeigt zudem, dass es bereits im vergangenen Jahr bei rund 100 Kassen zu insgesamt 126 Beitragserhöhungen. Einige Krankenkassen sollen auch mehrfach an der Beitragsschraube gedreht haben. Auch im April 2025 gab es wieder Meldungen über Beitragserhöhungen einiger Kassen

Bei der Fachzeitung hat sich dazu auch Gesundheitswissenschaftler Heinz Rothgang von der Universität Bremen geäußert und sich für eine umfangreiche Reform des Systems ausgesprochen. Die aktuellen Maßnahmen seien nur eine kurzfristige Lösung: "Das strukturelle Finanzierungsproblem der GKV wird damit nicht behoben." Rothgang sieht darin einen „Taschenspielertrick“. Denn am Ende fehle das Geld – und genau da bräuchte es dringend Reformen."

Der Bundeszuschuss in Zahlen

Ein Blick auf die Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums zeigt die aktuellen Zahlen zum Bundeszuschuss für die GKV. Dazu heißt es:

Der jährliche Bundeszuschuss wird aus Steuermitteln pauschal für sog. versicherungsfremde Leistungen (zum Beispiel beitragsfreie Familienversicherung von Kindern und Ehegatten oder Leistungen für Mutterschaft und Schwangerschaft) an die GKV gezahlt. Seit 2017 beträgt der Bundeszuschuss 14,5 Milliarden Euro.

In den Jahren 2020 bis 2022 leistete der Bund ergänzende Bundeszuschüsse in Höhe von 3,5 Milliarden Euro (2020), 5 Milliarden Euro (2021) und 14 Milliarden Euro an die GKV. Damit hat sich der Bund maßgeblich an der Kompensation der finanziellen Folgen der Corona-Pandemie für das Gesundheitssystem beteiligt und übernahm in hohem Maße Ausgaben für gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die dem Gesundheitssystem insgesamt und damit sowohl gesetzlich als auch privat Krankenversicherten zugutekamen. Ferner dienten diese Mittel zur Dämpfung des Anstiegs der Zusatzbeitragssätze der Krankenkassen.

Außerdem, so erklärt es das Ministerium beteiligte sich der Bund im Jahr 2023 erneut mit 2 Milliarden Euro als ergänzenden Bundeszuschuss und 1 Milliarde Euro als zinsloses Darlehen, welches bis Ende 2026 zurückzuzahlen ist, an der Finanzierung der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Bundeszuschuss für das Jahr 2024 wird wieder in der regulären Höhe von 14,5 Milliarden Euro geleistet.