Die Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen ist am Ende. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Mittwochabend (6. November 2024) seinen Finanzminister Christian Lindner (FDP) entlassen, am 15. Januar 2025 will der Kanzler im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Erwartet wird, dass er diese verliert.
Die eigentlich für den 28. September 2025 angesetzte Bundestagswahl könnte dann vorgezogen werden. Der Weg dorthin ist im Grundgesetz genau festgeschrieben. Was genau passiert wann?
Was passiert, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellt?
Nach Artikel 68 im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland kann der Bundeskanzler im Bundestag beantragen, ihm das Vertrauen auszusprechen. Er kann dies – muss es aber nicht – mit einem konkreten Gesetzgebungsvorhaben verknüpfen. Erhält der Kanzler keine Mehrheit, kann er den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Zuletzt verfuhr Gerhard Schröder (SPD) im Jahr 2005 so. Sie führte letzten Endes zu Neuwahlen und zum Ende seiner Zeit als Kanzler - bei der vorgezogenen Bundestagswahl unterlag er Angela Merkel.
Die Vertrauensfrage wurde in der Geschichte der Bundesrepublik bereits fünfmal gestellt. Das Vorgehen ist umstritten, weil es nicht – wie im Grundgesetz intendiert – darauf abzielt, das Vertrauen ausgesprochen zu bekommen, sondern gerade im Gegenteil, die dafür nötige Mehrheit zu verfehlen. Man spricht daher auch von einer "unechten Vertrauensfrage". Scholz gab in seinem Statement zur Entlassung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) bereits den Tenor vor, als er sagte: "Es gibt keine Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit."
Wenn der Kanzler die Vertrauensfrage im Parlament stellt und keine Mehrheit bekommt, dann wird er im nächsten Schritt den Bundespräsidenten bitten, den Bundestag aufzulösen. Dafür hat dieser nach Artikel 68 maximal 21 Tage Zeit. Er ist nach dem Grundgesetz allerdings nicht verpflichtet, dies zu tun. Macht er es, dann muss gemäß Artikel 39 innerhalb von 60 Tagen ein neuer Bundestag gewählt werden. 2005 verlor Schröder am 1. Juli wie gewünscht die Vertrauensfrage im Bundestag. Am 13. Juli schlug er Bundespräsident Horst Köhler die Auflösung des Bundestages vor, was dieser am 21. Juli tat. Zugleich setzte Köhler eine Neuwahl für den 18. September an. Im aktuellen Fall müssten Neuwahlen bis spätestens Ende März stattfinden.
Bei Auflösung des Bundestags: Wer regiert Deutschland?
Auch nach der Auflösung des Bundestages ist Deutschland nicht politisch führungslos. Der Kanzler und sein Kabinett - mit Ausnahme der FDP-Vertreter - bleiben ja im Amt. Das gilt auch für den Fall, dass nach der vorgezogenen Neuwahl die Koalitionsbildung schwierig wird. Denn Artikel 69 Grundgesetz sieht vor, dass der Kanzler auf Ersuchen des Bundespräsidenten verpflichtet ist, die Amtsgeschäfte bis zur Ernennung eines Nachfolgers weiterzuführen. Gleiches gilt für Bundesministerinnen oder -minister, wenn sie der Bundespräsident oder der Bundeskanzler darum ersuchen.
Die Aufgaben der vier ausgeschiedenen FDP-Kabinettsmitglieder (Finanzen, Justiz, Verkehr, Bildung) können von anderen Ressortchefs mit übernommen werden. Der Kanzler kann aber auch Nachfolger vorschlagen und vom Bundespräsidenten ernennen lassen.
Mit der Auflösung des Bundestages kommt das politische Handeln mit einem Schlag zum Erliegen. Davor aber will Scholz nach eigenen Angaben noch wichtige Projekte wie die Stabilisierung der Rente oder die Umsetzung der Regeln des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems durch Bundestag und Bundesrat bringen. Daher will der Kanzler die Vertrauensfrage auch erst Mitte Januar stellen. Das Problem dabei: Scholz ist seit dem Aus der Ampel-Koalition der Chef einer Minderheitsregierung und muss auf Unterstützung aus den Reihen der Opposition hoffen. Die hofft er bei der Union zu bekommen - von den Liberalen wird die nämlich aller Voraussicht nach nicht mehr kommen.
Großes Fragezeichen bei Bundeshaushalt 2025
Eine der großen Fragen ist nun, was aus dem Bundeshaushalt 2025 wird. Dafür gibt es keine Ampel-Mehrheit mehr. Es gilt als unwahrscheinlich, dass die Union von CDU und CSU nun für eine Mehrheit sorgt. Wird kein Haushalt beschlossen, würde ab Januar eine sogenannte vorläufige Haushaltsführung gelten. Dann sind vorerst nur Ausgaben möglich, die nötig sind, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten und rechtliche Verpflichtungen zu erfüllen. In der Praxis kann das Finanzministerium den Ministerien aber bewilligen, pro Monat einen Prozentsatz der Mittel des noch nicht verabschiedeten Haushaltsentwurfs zu nutzen.
Das Ampel-Aus kommt in einer schwierigen Phase. Der Wahlsieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen bedeutet enorme Herausforderungen für Deutschland und Europa - zum Beispiel in Fragen der Sicherheitspolitik, der Handelspolitik und der Klimapolitik.
Dramatisch könnte es bei der westlichen Unterstützung der Ukraine in ihrem Kampf gegen den russischen Angriffskrieg werden. Gerade in dieser wichtigen Phase fällt Deutschland als "Stabilitätsanker" aus. Auch vor dem Hintergrund der weltpolitischen Krisen hatte Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) gewarnt: "Dies ist die schlechteste Zeit, dass die Regierung scheitert."
"Die schlechteste Zeit, dass die Regierung scheitert"
Nach dem Ampel-Aus sagte Habeck, die Koalition habe nicht den besten Ruf gehabt. Man habe sich häufig gestritten. "Dennoch will ich für uns sagen, dass sich das heute Abend falsch und nicht richtig anfühlt, geradezu tragisch an einem Tag wie diesem, wo Deutschland in Europa Geschlossenheit und Handlungsfähigkeit zeigen muss."
Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, Moritz Schularick, schrieb auf der Plattform X vom vielleicht schwierigsten Moment in der Geschichte der Bundesrepublik. "Zur inneren Strukturkrise kommen nun massive außenwirtschaftliche und sicherheitspolitische Herausforderungen, auf die wir nicht vorbereitet sind." Deutschland müsse kurzfristig massiv in europäische Verteidigungskapazitäten investieren und mit Frankreich und anderen willigen Partnern vorangehen.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat bereits mehr Geld für die Bundeswehr gefordert - auch ein neuer Wehrdienst ist geplant. Pistorius verwies auf die schnelle Aufrüstung Russlands unter Wladimir Putin. "Die russische Industrie produziert in drei Monaten mehr Waffen und Munition als die gesamte Europäische Union in einem Jahr. Und wir müssen damit rechnen, dass Putin willens und bereit ist, seine Streitkräfte auch zu nutzen", sagte Pistorius der dpa.
Was bedeutet das Ampel-Aus für die Wirtschaft?
Das Ampel-Aus ist auch ein Rückschlag für die deutsche Wirtschaft. Für 2024 wird das zweite Rezessionsjahr in Folge erwartet. Deutschland hinkt anderen großen Wirtschaftsnationen hinterher. Bei Unternehmen und auch privaten Haushalten herrscht Unsicherheit. Firmen halten sich mit Investitionen zurück, Bürgerinnen und Bürger legen ihr Geld auf die hohe Kante. Das dürfte sich nun erst einmal nicht ändern.
Wirtschaftsverbände hatten die Ampel zu umfassenden Reformen aufgefordert - und zwar schnell. Die wichtigsten Punkte: die im internationalen Vergleich hohen Energiepreise müssten sinken, Bürokratie abgebaut und die teils marode Infrastruktur auf Vordermann gebracht werden.
Nach dem Scheitern der Ampel droht eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Auch im kommenden Jahr könnte die Konjunktur nicht in Fahrt kommen.