inFranken.de berichtet seit Beginn des Ukraine-Krieges über aktuelle Entwicklungen. Meldungen ab dem 1. Juni 2023 sind in diesem Artikel zu lesen. Berichte bis zum 31. Mai 2023 sind in unserem vorherigen Ukraine-Ticker zu finden.
Ab dem 24. Februar 2022 gab es einen groß angelegten Angriff auf die Ukraine durch die russische Armee aus mehreren Richtungen. Der Ukraine-Krieg ist der Höhepunkt eines langen Konflikts zwischen der Ukraine und Russland. Seinen Anfang nahm er bereits im Dezember 2013.
24.07.2023, 9.45 Uhr: "Terroranschlag" - Drohnen-Angriff auf Moskau gemeldet
Die russische Hauptstadt Moskau ist nach offiziellen Angaben in der Nacht zum Montag wieder mit Drohnen angegriffen worden. Das russische Verteidigungsministerium machte die Ukraine dafür verantwortlich. Aus Kiew gab es dafür keine Bestätigung. Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin zufolge wurde durch den Angriff mit zwei Drohnen niemand verletzt. Russland führt seit 17 Monaten einen Angriffskrieg gegen das Nachbarland Ukraine.
Das Verteidigungsministerium sprach von einem "Terroranschlag". Nach Angaben der Militärs wurden die Drohnen mit Störfunk zum Absturz gebracht. Demnach wurde eine Drohne über dem Zentrum Moskaus entdeckt, eine weitere im Süden der Stadt. Nach Angaben eines Mitarbeiters der Notfalldienste wurde ein Bürohochhaus getroffen, möglicherweise auch durch Trümmer. Bürgermeister Sobjanin sprach von zwei getroffenen Gebäuden.
Bereits Anfang Juli waren über Moskau nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums Drohnen abgeschossen worden. Das Ministerium machte auch damals die Ukraine verantwortlich. Auch im Mai hatte es Drohnenangriffe auf die Hauptstadt gegeben. Dabei wurden nach Angaben der Behörden Häuser beschädigt. Es gab auch Verletzte. Kremlchef Wladimir Putin hatte daraufhin eine Verbesserung der russischen Flugabwehr gefordert.
Die Ukraine führt derzeit eine Gegenoffensive, um besetzte Gebiete zurückzuerobern. Seit Wochen häufen sich Attacken auch in Russland - meist in der unmittelbaren Grenzregion zur Ukraine.
22.07.2023, 7.15 Uhr: Putin droht mit Rekation auf Polens etwaige "Aggression gegen Belarus"
Der russische Staatschef Wladimir Putin hat wegen der Verlegung von Truppen in Richtung der Grenze zum Nachbarland Belarus Drohungen gegen Warschau ausgesprochen. Warschau hatte zuvor mitgeteilt, wegen der Präsenz russischer Wagner-Söldner im benachbarten Belarus eine noch unbekannte Zahl eigener Soldaten weiter in den Osten des Landes verlegen zu wollen.
Die Wagner-Truppe dürfte nach Einschätzung britischer Militärexperten in den kommenden Tagen ihre letzten aus Häftlingen rekrutierten Kämpfer aus deren Pflichtzeit entlassen. Den Briten zufolge kamen bis zu 20.000 der etwa 40.000 in Gefängnissen für die Söldnertruppe angeworbenen Ex-Häftlinge in der Ukraine ums Leben.
"Belarus ist Teil des Unionsstaates. Und die Entfesselung einer Aggression gegen Belarus würde eine Aggression gegen die Russische Föderation bedeuten. Darauf werden wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln reagieren", sagte Putin am Freitag bei einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrats.
Zu den Sorgen in Polen sagte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius bei einem Besuch in Prag: "Da, wo unsere polnischen Freunde Unterstützung brauchen, im Falle des Falles werden sie sie bekommen."
20.07.2023, 7 Uhr: Nache Ende von Getreideabkommen - werden Frachtschiffe nun zum Angriffsziel?
Nach dem Ende des Abkommens über die Ausfuhr ukrainischen Getreides will Russland bestimmte Schiffe in Teilen des Schwarzen Meeres als mögliche Gegner behandeln. Ab Donnerstag um Mitternacht (Mittwoch, 23.00 Uhr MESZ) würden Schiffe, die ukrainische Häfen ansteuern, als "potenzielle Träger militärischer Fracht" gewertet, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau am Mittwoch mit. Es sei eine Warnung an die Schifffahrt herausgegeben worden im Zusammenhang mit dem Ende der Schwarzmeer-Initiative. Demnach seien Bereiche des Nordwestens und des Südostens der internationalen Gewässer des Schwarzen Meeres als gefährlich für die Schifffahrt eingestuft worden.
Unter großer internationaler Kritik hatte der Kreml das Getreide-Abkommen am Montag nach rund einjähriger Laufzeit nicht mehr verlängert, damit wurden auch Sicherheitsgarantien für einen sicheren Transport von Agrargütern aus drei ukrainischen Schwarzmeerhäfen aufgekündigt. Als Grund führte der Kreml Forderungen an, die angeblich nicht erfüllt worden seien. Präsident Wladimir Putin sagte der Agentur Interfax zufolge am Mittwoch bei einem Treffen mit Regierungsvertretern: "Sobald alle diese Bedingungen, auf die wir uns früher geeinigt haben, erfüllt sind (...), werden wir sofort zu diesem Abkommen zurückkehren." Moskau behauptet, westliche Staaten hätten angeblich die zugesicherten Erleichterungen für russische Dünge- und Nahrungsmittelexporte nicht ausreichend umgesetzt.
Mit Dutzenden Raketen und Drohnen griffen russische Truppen die zweite Nacht in Folge die südukrainische Metropole Odessa an. Es war die schwerste Attacke seit Kriegsbeginn vor 17 Monaten, wie Bürgermeister Hennadij Truchanow auf Facebook schrieb. Über den Schwarzmeerhafen liefen viele ukrainische Agrarexporte im Rahmen des aufgekündigten Getreideabkommens. Präsident Wolodymyr Selenskyj beklagte, Russland ziele "absolut bewusst" auf Hafenanlagen und Getreidelager.
Bei den russischen Attacken wurden nach Behördenangaben mehrere Gebäude durch Explosionen beschädigt, mindestens sechs Menschen erlitten Verletzungen. Dem Südkommando der ukrainischen Streitkräfte zufolge wurden unter anderem Hafenanlagen mit einem Getreide- und einem Speiseölterminal getroffen. In Moskau bestätigte das Verteidigungsministerium die neuen Angriffe auf Odessa - von Flugzeugen und Kriegsschiffen aus.
Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow behauptete allerdings, es seien im Bereich der Stadt Objekte der Militärindustrie, Treibstoffanlagen und Munitionsdepots unter Beschuss genommen worden. Schon in der Nacht zum Dienstag war Odessa Hauptziel der russischen Angriffe gewesen. Dies wurde vom Verteidigungsministerium in Moskau ausdrücklich als Reaktion auf die Beschädigung der 19 Kilometer langen Krim-Brücke am Tag zuvor bezeichnet.
18.07.2023, 7 Uhr: "Russland macht weiter damit, Nahrungsmittel als Waffe einzusetzen"
Die Europäische Union hat die Aufkündigung des internationalen Getreideabkommens durch Russland verurteilt. "Mit dieser Entscheidung verschärft Russland die weltweite Krise der Ernährungssicherheit weiter, die es durch seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Blockade der ukrainischen Seehäfen verursacht hat", erklärte der Außenbeauftragte Josep Borrell am Montagabend im Namen der Mitgliedstaaten. Russland müsse die illegale Blockade der ukrainischen Häfen aufgeben und die freie Schifffahrt auf dem Schwarzen Meer ermöglichen.
Der Kreml hatte das vor einem Jahr geschlossene Abkommen zum Export von ukrainischem Getreide übers Schwarze Meer am Montag ausgesetzt. Offiziell lief es wenig später am Montagabend aus. Die Vereinbarung hatte es der Ukraine seit Sommer vergangenen Jahres ermöglicht, trotz des russischen Angriffskriegs mehr als 30 Millionen Tonnen Getreide übers den Seeweg in andere Länder zu verkaufen. Selbst während des Krieges blieb die Ukraine im Jahr 2022 den Angaben zufolge der größte Weizenlieferant des Welternährungsprogramms (WFP) und lieferte mehr als die Hälfte der weltweiten Weizenbeschaffung des WFP.
"Die EU fordert Russland dringend auf, seine Entscheidung zu überdenken und die Umsetzung der Schwarzmeer-Getreide-Initiative unverzüglich wieder aufzunehmen", erklärte Borrell. Durch die Aufkündigung der Abkommen blockiere Russland im Alleingang eine der wichtigsten Exportrouten der Ukraine für Getreide für den menschlichen Verzehr. Moskau sei allein verantwortlich für die Unterbrechung der weltweiten Getreidelieferungen und den Anstieg der Lebensmittelpreise auf der ganzen Welt. "Russland macht weiter damit, Nahrungsmittel als Waffe einzusetzen."
17.07.2023, 07.30 Uhr: "Notfall" auf Krim-Brücke - zwei Menschen tot
Bei einem Zwischenfall auf der Brücke zu der von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim sind nach Behördenangaben zwei Menschen aus dem Gebiet Belgorod ums Leben gekommen. Ein Mann und eine Frau seien in ihrem Auto am Montag gestorben, sagte der Gouverneur des russischen Gebiets Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, in einer Videobotschaft. Die Tochter des Paars sei verletzt und ins Krankenhaus gebracht worden.
Während in sozialen Netzwerken von einer Explosion auf der Krim-Brücke die Rede war, machten die Behörden weiter keine Angaben dazu, was dort genau am frühen Morgen passierte. Der Verkehr auf die Brücke wurde eingestellt. Offiziell war von einem "Notfall" die Rede. Das russische Verkehrsministerium teilte mit, dass es Schäden an der Fahrbahn gebe, die Brückenkonstruktion sei intakt.
Der Chef der Krim, Sergej Aksjonow, sagte, dass die Hintergründe aufgeklärt würden. Der Eisenbahnverkehr auf der Brücke solle gegen 9.00 Uhr Ortszeit (8.00 Uhr MESZ) wieder laufen. Bis dahin solle auch geklärt werden, wann der Fährbetrieb wieder aufgenommen werden könne. Auf der Krim ist gerade Hochbetrieb wegen der Ferienzeit. Bewohner der Region und Touristen sollten einen alternativen Landweg durch die von Russland besetzten Regionen in der Südukraine wählen.
Die seit 2014 von Russland annektierte Krim ist immer wieder Ziel von Angriffen mit Drohnen. Die Ukraine hat angekündigt, sich ihr Gebiet im Zuge einer Gegenoffensive zurückzuholen.
Der Vorfall ereignete sich mehr als neun Monate nach der schweren Explosion auf der Brücke. Die rund 19 Kilometer lange Konstruktion war dabei im Oktober 2022 schwer beschädigt worden, wurde aber wieder repariert. Ende Mai räumte der ukrainische Geheimdienst erstmals eine Beteiligung an der Explosion ein.
Der Verkehr sei im Bereich des 145. Stützpfeilers der Brücke gestoppt worden, teilte Aksjonow bei Telegram mit. Alle Strafverfolgungsbehörden und alle zuständigen Dienststellen seien im Einsatz. Es würden Maßnahmen ergriffen, um die Situation wiederherzustellen. Aksjonow forderte die Bewohner auf, Ruhe zu bewahren.
Trotz der angespannten Sicherheitslage und langer Kontrollen zieht es russische Urlauber Medienberichten aus Russland zufolge wieder in großer Zahl auf die Krim, die für Urlauber nur per Bahn oder Auto erreichbar ist.
16.07.2023, 20.26 Uhr: Prostituierte packen aus - Der Krieg verändert die Männer
Sie sind jung, ledig, haben regelmäßiges Einkommen und sind damit die perfekten Kunden. Wie das unabhängige russische Nachrichtenportal The Insider berichtete, umwerben manche Bordelle und Prostituierte offenbar gezielt russische Soldaten. Das bestätigten zwei anonyme Prostituierte gegenüber dem Nachrichtenportal.
Die Gemeinschaft der Sexarbeiterinnen sei sehr vielfältig, und auch Einstellung zu den aktuellen Ereignissen sei unterschiedlich, betonte eine der Frauen. Die einen seien vehement gegen den Krieg und wünschen sich den Sieg der Ukraine, die anderen stünden auf der Seite Russlands. Dabei würde der Krieg manchmal auch zu Marketingzwecken benutzt werden, erzählt sie weiter. "Ich habe zum Beispiel in Moskau und St. Petersburg Anzeigen gesehen, in denen Soldaten Rabatte angeboten wurden. Auch Salons habe sie gesehen, in denen Kunden 'böse Ukrainerinnen' bestrafen oder 'es mit einem ukrainischen Mädchen treiben' können. Im Internet würden die Soldaten wiederum versuchen, kostenlosen oder vergünstigten Sex als Dank für ihren Einsatz im Krieg herauszuhandeln.
Der Einfluss des Kriegs auf die Soldaten sei ganz unterschiedlich, so die Prostituierte weiter. Die Angst um die persönliche Sicherheit und die Notwendigkeit, mit potenziell gefährlichen Klienten zu arbeiten, sei für sie und ihre Kolleginnen eine Folge des Krieges. So habe beispielsweise ein Freier in St. Petersburg eine Garante dabeigehabt und drohte damit, diese zu zünden, was bei den Prostituierten Angst und Panik ausgelöst habe.
Aber auch für nicht beurlaubte Soldaten würden die Sexarbeiterinnen Dienste anbieten. Für die Soldaten an der Front würden sie virtuelle Dienste oder Telefonsex anbieten. So habe ihr eine Kollegin von einem Kunden erzählt, der sie direkt aus dem Schützengraben angerufen habe. Umgerechnet habe er rund zehn Euro für das zehnmüntige Telefonat bezahlt und ihre seine Fanatsien mitgeteilt. Die Gespräche seien aber oft unterbrochen worden: "Kaum hatte er im Gebüsch seine Hosen runtergezogen, ging der Akku leer." Irgendwann hätten seine Anrufe aufgehört. Warum, wüsste sie nicht. "Vielleicht hat er jemand anderen gefunden oder er wurde getötet.“
Die andere Prostituierte erzählte The Insider von einem Kunden, der sich freiwillig für die Armee gemeldet hätte. "Er erhielt von Putin eine Prämie und beschloss, sie für Prostituierte auszugeben." Außerdem würde er ständig Whiskey trinken und sich Propagandasongs über den Krieg auf YouTube anhören. " Er sagte, dass er wieder zurückgehen würde und dass er sein Heimatland verteidigen müsse." Die Sexarbeiterin sagte, er sei eindeutig einer Gehirnwäsche unterzogen worden. "Das ist wie bei den Leuten vom IS, die bereit sind, Selbstmordattentäter zu werden - so war er auch", schilderte die Prostituierte.
Oft werde den Prostituierten auch gedroht. Eine Kollegin erzählte von einem russischen Veteranen, der in der Ukraine sein Bein verloren habe. Der Mann habe die Prostituierten betrügen wollen. Als dies nicht gelang, habe er begonnen Drohanrufe von verschiedenen Nummer aus zu tätigen und gesagt: "Ich reiße euch den Kopf ab."
Eine Wahl hätten sie aber nicht. Einige Zuhälter hätten ihre Bordelle in die Nähe von Gebieten verlegt, in denen Wehrpflichtige ausgebildet werden. Und auch Prostituierte würden sich ähnliche Standorte suchen. So gebe es in Nowosibirsk eine Sexarbeiterin namens Angela, die sich Orte in der Nähe von Mobilisierungspunkten und Militärregistrierungsbüros als Arbeitplätze ausgesucht hätte. An diesen Orten gäbe es besonders viele Männer, die auf der Suche nach "Stressabbau" seien.
Manchmal würden sie Kunden annehmen, die betrunken sind oder sich in einem drogenähnlichen Rauschzustand befänden. Früher hätten sie solche Kunden abgelehnt, aber jetzt seien sie gezwungen, sie anzunehmen, sagt die anonyme Prostituierte . "Keine Männer bedeutet keine Arbeit, und keine Arbeit bedeutet kein Geld. Und wegen des Krieges gibt es keine Männer."
13.07.2023, 10.25 Uhr: Neuer Nato-Abwehrplan gegen Russland - Deutschland wird Knotenpunkt
Ein Angriff Russlands gegen das Baltikum oder Polen? Was viele Jahre lang als absolut unrealistisch galt, beschäftigt seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine wieder Hunderte Militärstrategen der größten Verteidigungsallianz der Welt. Beim Nato-Gipfeltreffen in Litauen bestätigten jetzt die Staats- und Regierungschef geheime Pläne für den Fall der Fälle. Auf mehr als 4400 Seiten wird dort festgelegt, wie kritische Orte im Bündnisgebiet geschützt und im Ernstfall verteidigt werden sollen. "Die Verbündeten haben die umfassendsten Verteidigungspläne seit dem Ende des Kalten Kriegs gebilligt", sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Vilnius.
In ihrer Gipfelerklärung beschreiben die Staats- und Regierungschefs die aktuelle Lage in düsteren Worten. "Der Frieden im euroatlantischen Raum wurde zunichtegemacht", heißt es dort. Russland habe mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine gegen die Normen und Grundsätze verstoßen, die zu einer stabilen und vorhersehbaren europäischen Sicherheitsordnung beigetragen hätten und sei nun "die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Verbündeten und für den Frieden und die Stabilität im euroatlantischen Raum".
Mit den Plänen schlagen die Nato-Staaten als Reaktion nun ein altes Kapitel neu auf. Denn sie entsprechen nach Angaben von Militärs in Grundzügen den Dokumenten, die es in der Zeit des Kalten Kriegs gab. Damals war die Geografie allerdings noch eine andere - und es wurde insbesondere für den Fall geplant, dass Deutschland vom Gebiet der damaligen DDR und Tschechoslowakei aus angegriffen wird. Heute gelten hingegen vor allem die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen als besonders bedroht.
Definiert wird nun, welche militärischen Fähigkeiten zur Abschreckung und Abwehr von Angriffen notwendig sind. Neben Land-, Luft-, und Seestreitkräften sind auch Cyber- und Weltraumfähigkeiten eingeschlossen. Verteidigungsminister Boris Pistorius sagt in Vilnius, die Maßnahmen für mehr Abschreckung und Verteidigung seien einzigartig "seit Beginn des Kalten Krieges in jeder Beziehung".
Der SPD-Politiker nennt eine Zuordnung von Regionen zu den einzelnen Bündnispartnern, Planungen für die eingesetzten Militäreinheiten und zudem auch ein "Alarmierungsmodell". Dieses beschreibe, wann der Nato-Oberbefehlshaber in Europa (Saceur) Nato-Truppen zum Einsatz anfordern könne und welche Beiträge von den Mitgliedsstaaten dann zu leisten seien.
"Jedes Nato-Mitglied weiß, was es zu tun hat und in welcher Situation es gefordert ist", sagt Pistorius dazu. Auf Deutschland komme eine "Schlüsselrolle" zu, denn es sei von der geografischen Lage her die logistische Drehscheibe in Europa. "Alles, was von West nach Ost geht, muss durch Deutschland", erklärte er. "Wenn der Ernstfall da ist oder zu erwarten ist, dann muss es schnell gehen. Dann müssen die Verlegungen schnell und zuverlässig funktionieren."
Umgesetzt werden sollen die Pläne unter anderem mit Hilfe einer neuen Streitkräftestruktur. Bereits bekannt war, dass dafür künftig 300.000 Soldatinnen und Soldaten für mögliche Nato-Einsätze in hoher Bereitschaft gehalten werden sollten. Bislang war bei der Nato für schnelle Kriseneinsätze vor allem die Eingreiftruppe NRF vorgesehen. Für diese stellen die Mitgliedstaaten derzeit rund 40.000 Soldatinnen und Soldaten.
Die neuen Planungen sehen vor, dass die Verbände in der Regel in ihren jeweiligen Heimatländern stationiert bleiben, aber bestimmten Ländern und Territorien zugewiesen werden - zum Beispiel an der Nato-Ostflanke. Wenn nötig, werden die Kräfte in ihr jeweiliges Gebiet verlegt, um dort für dessen Schutz zu sorgen. In besonders gefährdeten Regionen ist zudem deutlich mehr Abschreckung durch ständige Präsenz geplant. Deshalb will Deutschland auch rund 4000 Soldaten dauerhaft in Litauen stationieren.
Geografisch wird das Nato-Gebiet für die Planungen in drei Regionen eingeteilt:
- Die erste erstreckt sich von den USA über den Atlantik bis nach Island, Großbritannien und Norwegen.
- Die zweite umfasst Europa nördlich der Alpen mit Deutschland, Polen, Mittelosteuropa und einschließlich der baltischen Staaten.
- Und die dritte zieht sich über den Mittelmeerraum und den Balkan bis hin in die Schwarzmeer-Region mit Ländern wie Rumänien und Bulgarien.
Nach Angaben aus dem Bündnis geht es bei den Planungen vor allem um die Abwehr eines Angriffs im Ausmaß von jenem auf die Ukraine. Dabei wurden auch etliche Bereiche identifiziert, in denen Europa nun mehr tun muss. Den Militärs zufolge braucht es mehr schwere Kräfte, die auch heftigen Kämpfen standhalten können, mehr Flugabwehrsysteme und mehr weitreichende Artillerie und Raketensysteme.
Im Osten des Bündnisgebietes werden die Pläne als wichtige Weichenstellung gewürdigt. "Das bedeutet, dass wir wirklich bereit sind, unser Land vom ersten Zentimeter an, vom ersten Moment an zu verteidigen", sagt Estlands Regierungschefin Kaja Kallas. Ihr lettischer Amtskollege Krisjanis Karins weist zudem auf die Bedeutung der geplanten Aufnahme Schwedens hin. "Die Ostsee wird jetzt effektiv zum Nato-Meer werden", erklärte er. Dies habe unglaublich positive Auswirkungen auf die Sicherheit der baltischen Staaten.
Einen Erfolg kann allerdings auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verbuchen. Neben möglichen Angriffen durch Russland sind nämlich auch Bedrohungen durch Terrorgruppen Grundlage der Planungen. Hintergrund sind die Erfahrungen mit Anschlägen des Terrornetzwerks Al-Kaida auf die USA am 11. September 2001, aber auch der Druck der Türkei, die es vor allem immer wieder mit Terrorakten der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu tun hat.
12.07.2023, 10.25 Uhr: Medwedew zu Streumunition aus den USA - "Dritter Weltkrieg kommt immer näher"
In Russland gab der frühere Präsident Dmitri Medwedew zum ersten Tag des Nato-Gipfels den Kommentar ab, dass nicht klar sei, wann und unter welchen Bedingungen die Ukraine in das Militärbündnis aufgenommen werde. "Gut möglich, dass das nie passiert", meinte der Vizechef des nationalen Sicherheitsrates. Russland werde seinen Krieg gegen die Ukraine ungeachtet dessen fortsetzen und seine Ziele wie die "Liquidierung der Kiewer Gruppierung" - gemeint ist die Führung um Selenskyj - weiter verfolgen.
Die geplante Lieferung von Streumunition aus den USA und von Kampfjets an die Ukraine kommentierte Medwedew mit dem Hinweis, dass dieser Weg in die Sackgasse führe. "Der Dritte Weltkrieg kommt immer näher", sagte er.
Russischer Verteidigungsminister droht mit Streubomben
Russland hat für den Fall von Streumunition-Lieferungen aus den USA an die Ukraine seinerseits mit dem Einsatz solcher Waffen gedroht. Russland besitze ebenfalls Streumunition, die sogar effektiver sei, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Dienstag (11. Juli 2023) in Moskau. Sein Land halte sich bisher zurück, sähe sich aber im Fall von US-Lieferungen gezwungen, "analoge Mittel" einzusetzen. Die USA hatten zuvor mitgeteilt, die geächteten Waffen an die Ukraine zu liefern.
Schoigu wies darauf hin, dass sich weder die USA noch die Ukraine noch Russland dem internationalen Abkommen zur Ächtung von Streumunition angeschlossen hätten. Ihr Einsatz werde den Krieg verlängern, sagte der Minister.
Die über dem Boden explodierenden Bomben verteilen Geschosse über größere Flächen. Weil oft viele davon nicht sofort explodieren, gelten sie wie Minen als Gefahr für Zivilisten auch in der Zeit nach einem Ende der Kampfhandlungen. Deutschland und 110 andere Staaten haben Streumunition deswegen mit einem internationalen Abkommen geächtet.
Die russischen Streitkräfte träfen derzeit zusätzliche Vorkehrungen zum Schutz vor Streubomben, sagte Schoigu. Er besuchte einem vom Ministerium veröffentlichten Video zufolge einen Rüstungsbetrieb und sagte, die Versorgung russischer Soldaten mit Waffen und Munition sei um ein Vielfaches gesteigert worden.
11.07.2023, 20.23 Uhr: Enttäuscht Gipfeltreffen - Selenskyj sieht "keine Bereitschaft"
Die Nato macht der von Russland angegriffenen Ukraine Hoffnung auf eine Aufnahme in das Verteidigungsbündnis, knüpft eine formelle Einladung aber an Bedingungen. In einer am Dienstag (11. Juli 2023) bei einem Gipfeltreffen in Vilnius beschlossenen Erklärung der 31 Mitgliedstaaten heißt es zwar: "Die Zukunft der Ukraine ist in der Nato." Eine Einladung sei aber erst möglich, "wenn die Verbündeten sich einig und Voraussetzungen erfüllt sind". Als konkrete Beispiele werden Reformen "im Bereich der Demokratie und des Sicherheitssektors" genannt.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wertete diesen Beschluss als klares Signal - auch weil er zusätzlich ein Programm zur verstärkten Kooperation mit der Ukraine vorsieht. "Das ist ein starkes Paket für die Ukraine und ein klarer Weg hin zur Mitgliedschaft in der Nato", sagte Stoltenberg. Für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj dürfte das aber eindeutig zu wenig sein. Er hat monatelang für eine formelle Einladung gekämpft, seine Hoffnungen werden nun enttäuscht.
Schon vor dem formellen Beschluss machte er seinem Ärger auf dem Weg nach Vilnius Luft. "Es sieht so aus, als ob es keine Bereitschaft gibt, die Ukraine in die Nato einzuladen oder sie zum Mitglied der Allianz zu machen", schrieb er auf Twitter. "Für Russland ist das eine Motivation seinen Terror weiter fortzusetzen." Diese Unbestimmtheit sei ein Zeichen der Schwäche des Westens. "Und ich werde das auf dem Gipfel offen ansprechen."
Selenskyj wertet Entscheidung als Schwäche des Westens
Nach seiner Ankunft in Vilnius trat Selenskyj vor Tausenden Menschen in Vilnius auf und warb eindringlich für eine Aufnahme in das Militärbündnis. "Die Nato gibt der Ukraine Sicherheit. Die Ukraine macht die Nato stärker", sagte Selenskyj auf einem Platz im Zentrum der litauischen Hauptstadt unter dem Jubel von Menschen, die blau-gelbe ukrainische Flaggen schwenkten. Er habe die Reise im Glauben an eine "starke Nato" angetreten. "Eine Nato, die nicht zweifelt, keine Zeit verschwendet und sich nicht zu irgendeinem Angreifer umblickt", sagte er in Bezug auf Russland.
An diesem Mittwoch (12. Juli 2023) nimmt der ukrainische Präsident an den Beratungen der Staats- und Regierungschefs teil. Vor allem die Länder an der Nato-Ostflanke wie Polen und die baltischen Staaten hatten auf eine Einladung an die Ukraine gedrungen, während Deutschland und die USA noch nicht so weit gehen wollten. Die Ukraine wehrt sich seit Ende Februar vergangenen Jahres mit westlicher Unterstützung gegen eine russische Invasion.
Die Nato will nun zunächst die Kooperation und Unterstützung für die Ukraine deutlich ausbauen. So soll es künftig einen Nato-Ukraine-Rat und ein mehrjähriges Programm geben, um eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den Streitkräften der Ukraine und des Bündnisses zu ermöglichen. Zudem soll dem Land das für neue Mitglieder übliche Heranführungsprogramm erspart werden. Es könnte damit nach einer formellen Einladung zum Bündnisbeitritt deutlich schneller aufgenommen werden als zum Beispiel die Westbalkanländer Montenegro oder Nordmazedonien. Ein konkreter Fahrplan für den Beitritt ist aber zunächst nicht geplant.
"Die Ukraine macht die Nato stärker" - Deutschland und USA stemmten sich gegen Einladung
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betonte in Vilnius, dass es für ihn nun vor allem um konkrete militärische Hilfe für den Kampf gegen Russland gehe. Zum Auftakt des Gipfels sagte er der Ukraine ein neues Waffenpaket im Wert von 700 Millionen Euro zu. Unter anderem sollen weitere 40 Schützenpanzer vom Typ Marder, 25 Kampfpanzer Leopard 1A5 und fünf Bergepanzer aus Industriebeständen sowie zwei Abschussgeräte für Patriot-Flugabwehrraketen der Bundeswehr geliefert werden.
Hinzu kommen 20.000 Schuss Artilleriemunition und 5000 Schuss Nebelmunition sowie Aufklärungsdrohnen und Mittel zur Abwehr von Drohnenangriffen. Außerdem erhält die Ukraine Ausrüstung zur Minenabwehr und ein Sanitätspaket mit Komponenten für ein Feldlazarett.
Scholz sagte, Deutschland sei mit seiner Hilfe "ganz vorne mit dabei". Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) betonte, dass das Paket die Prioritäten der Ukraine bediene: Luftverteidigung, Panzer, Artillerie. "Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der ukrainischen Durchhaltefähigkeit", sagte er. Deutschland ist bereits jetzt der zweitwichtigste Waffenlieferant der Ukraine hinter den USA.
Konkrete militärische Hilfe: Neues Waffenpaket soll Prioritäten der Ukraine bedienen
Waffen neuer Qualität sind in dem Hilfspaket nicht enthalten. Die von der Ukraine geforderten Marschflugkörper Taurus werden weiter nicht geliefert. Die Ukraine wünscht sich diese Waffen, um Stellungen der russischen Streitkräfte in der Ukraine weit hinter der Frontlinie angreifen zu können. Die Bundesregierung ist dabei zurückhaltend, weil die Geschosse auch russisches Territorium erreichen können.
Großbritannien liefert als erstes Nato-Land bereits jetzt Marschflugkörper. Der französische Präsident Emmanuel Macron kündigte am Rande des Gipfels an, dass auch Frankreich nun solche Waffen liefern will. Die USA halten sich damit noch zurück, genauso wie Deutschland.
Weiteres Topthema am ersten Gipfeltag waren neue Pläne für die Abwehr von möglichen russischen Angriffen auf das Bündnisgebiet. Sie wurden bei dem Spitzentreffen noch einmal offiziell bestätigt. Die insgesamt mehr als 4000 Seiten starken Dokumente beschreiben detailliert, wie kritische Orte im Bündnisgebiet durch Abschreckung geschützt und im Ernstfall verteidigt werden sollten. Dafür wird auch definiert, welche militärischen Fähigkeiten notwendig sind. Neben Land-, Luft-, und Seestreitkräften sind auch Cyber- und Weltraumfähigkeiten eingeschlossen.
Jubel über Blockade-Ende - Schweden könnte im Herbst Nato-Mitglied werden
Begonnen hatte das Spitzentreffen in der litauischen Hauptstadt mit einem großen Erfolg für Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Er konnte am Montagabend nach monatelangen zähen Verhandlungen ein Ende der türkischen Blockade der Bündniserweiterung ankündigen. Präsident Recep Tayyip Erdogan stimmte demnach bei einem Treffen mit dem schwedischen Regierungschef Ulf Kristersson zu, das für die Aufnahme Schwedens nötige Beitrittsprotokoll so bald wie möglich dem türkischen Parlament zur Zustimmung vorzulegen. Schweden könnte demnach bereits im Herbst das 32. Bündnismitglied werden.
Stoltenberg wertete die Erweiterung des Verteidigungsbündnisses als Zeichen für ein Scheitern der Politik Putins. "Er zog in den Krieg, weil er weniger Nato wollte. Er bekommt mehr Nato", sagte er. Dass Finnland schon Mitglied sei und Schweden nun Mitglied werde, zeige, dass Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ein "großer strategischer Fehler" gewesen sei. Er habe sowohl die Ukrainer und die Geschlossenheit der Nato als auch die politischen Konsequenzen in Ländern wie Schweden und Finnland unterschätzt.
11.07.2023, 07.45 Uhr: Ukraine stellt klare Forderung zum Nato-Beitritt
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich vor Beginn des Nato-Gipfels in Vilnius zuversichtlich gezeigt, dass sein Land dem Militärbündnis nach Ende des russischen Angriffskriegs angehören wird. Wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) schreibt, hat er sich in seiner am Montagabend in Kiew verbreiteten täglichen Videobotschaft zum Thema geäußert.
Die Aussagen sind bewusst gewählt. Am Dienstag, 11. Juli 2023 startet der zweitägige Nato-Gipfel in Litauen. Dabei geht es auch um die weitere Unterstützung der Ukraine und den Ausbau der Abschreckung und Verteidigung gegen Russland.
Und Selenskyj schickt eine klare Forderung an die Nato: "Auch wenn unterschiedliche Positionen geäußert werden, ist es immer noch offensichtlich, dass die Ukraine es verdient, im Bündnis zu sein." Die aktuelle Lage sei zwar nicht der richtige Zeitpunkt dafür, aber man brauche "ein klares Signal". Er zeigt sich aber sehr zuversichtlich: "Die Mehrheit der Allianz ist eindeutig für uns." Das müsse der Gipfel in Litauens Hauptstadt Vilnius an diesem Dienstag und Mittwoch bestätigen, heißt es im dpa-Bericht.
Und auch in Richtung Deutschland gab es beim Thema Nato-Beititt der Ukraine erneut mehr als deuutliche Worte. Demnach äußerte sich der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Montag in einem Interview der ARD-Tagesthemen. Er forderte die Bundesregierung zur Aufgabe ihrer Blockade eines schnellen Nato-Beitritts seines Landes auf: "Ich rufe die deutsche Regierung auf, diese Fehler von (Kanzlerin Angela) Merkel aus dem Jahr 2008 nicht zu wiederholen".
10.07.2023, 19.25 Uhr: Nato-Verteidigungsplan - Deutschland soll Verantwortung für Ostflanke übernehmen
Die Nato-Staaten haben sich auf neue Pläne für die Abwehr von möglichen russischen Angriffen auf das Bündnisgebiet verständigt. Die Annahme der Dokumente erfolgte am Montag (10. Juli 2023), einen Tag vor dem Beginn des Gipfeltreffens in Litauen, in einem schriftlichen Verfahren, wie die Deutsche Presse-Agentur von mehreren Diplomaten erfuhr. Die Entscheidung soll an diesem Dienstag von den Staats- und Regierungschefs noch einmal bestätigt und dann offiziell verkündet werden.
Die insgesamt mehr als 4000 Seiten starken Verteidigungspläne beschreiben nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur detailliert, wie kritische Orte im Bündnisgebiet durch Abschreckung geschützt und im Ernstfall verteidigt werden sollten. Dafür wird auch definiert, welche militärischen Fähigkeiten notwendig sind. Neben Land-, Luft-, und Seestreitkräften sind auch Cyber- und Weltraumfähigkeiten eingeschlossen.
"Das ist eine unmittelbare Konsequenz aus Putins Angriff auf die Ukraine", sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius zuletzt in Brüssel zu den Arbeiten an den neuen Plänen. Es sei das erste Mal seit Jahrzehnten, dass es wieder neue Pläne gebe.
Pläne für die Abwehr von möglichen russischen Angriffen - Doppelaufgabe für Deutschland
Deutschland weisen die Pläne nach Angaben von Pistorius eine Doppelaufgabe zu. Zum einen werde man wie schon zu Zeiten des Kalten Krieges aufgrund der geografischen Lage die logistische Drehscheibe für die Verlegung von Truppenverbänden und Material sein, erklärte er. Zum anderen werde man Verantwortung für die Ostflanke übernehmen und dort für mehr Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit sorgen.
So wie die alte Bundesrepublik vor 1989 in der exponierten Lage an der Ostflanke gewesen sei, seien dies nun die baltischen Staaten, sagte Pistorius. Wichtig sei, dass nun auch sie darauf vertrauen könnten, dass die Alliierten ihre Freiheit und Sicherheit im Ernstfall verteidigten.
Neben möglichen Angriffen durch Russland sind auch Bedrohungen durch Terrorgruppen Grundlage der Planungen. Hintergrund sind die Erfahrungen mit Anschlägen des Terrornetzwerks Al-Kaida auf die USA am 11. September 2001, aber auch der Druck von Ländern wie der Türkei, die es vor allem immer wieder mit Terrorakten der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu hat.
Planungsgrundlagen: Mögliche Angriffe durch Russland und Bedrohnungen von Terrorgruppen
Dass die Nato jetzt so viele Veränderungen vornehmen muss, hat vor allem damit zu tun, dass nach dem Ende des Kalten Krieges der Fokus von der Bündnisverteidigung auf Krisenmanagement verschoben wurde. Dabei ging es vor allem darum, auf Einsätze auf dem Balkan oder im Nahen Osten gut vorbereitet zu sein.
Umgesetzt werden sollen die Pläne unter anderem mit Hilfe einer neuen Streitkräftestruktur. So hatte Generalsekretär Jens Stoltenberg bereits beim Nato-Gipfel im vergangenen Jahr angekündigt, dass künftig 300.000 Soldatinnen und Soldaten für mögliche Nato-Einsätze in hoher Bereitschaft gehalten werden sollten. Bislang war bei der Nato für schnelle Kriseneinsätze vor allem die Eingreiftruppe NRF vorgesehen. Für diese stellen die Mitgliedstaaten derzeit circa 40.000 Soldatinnen und Soldaten.
Deutschland hatte sich bereits im vergangenen Jahr bereit erklärt, für die neue Nato-Truppenstruktur eine Division - also rund 15.000 Soldatinnen und Soldaten - zu stellen. Darüber hinaus wurden etwa 65 Flugzeuge und 20 Schiffe sowie Unterstützungskräfte und weitere Verbände mit besonderen Aufgaben in Aussicht gestellt.
Neue Verteidigungsplanungen: Verbände sollen in Heimatländern stationiert bleiben
Die neuen Verteidigungsplanungen sehen vor, dass die Verbände in der Regel in ihren jeweiligen Heimatländern stationiert bleiben, aber bestimmten Ländern und Territorien zugewiesen werden - zum Beispiel an der Nato-Ostflanke. Wenn nötig, werden die Kräfte in ihr jeweiliges Gebiet verlegt, um dort für dessen Schutz zu sorgen. In besonders gefährdeten Regionen ist zudem deutlich mehr Abschreckung durch ständige Präsenz geplant. Deshalb will Deutschland auch rund 4000 Soldaten dauerhaft in Litauen stationieren.
Geografisch wurde das Nato-Gebiet für die Planungen in drei Regionen eingeteilt:
- Die erste erstreckt sich von den USA über den Atlantik bis nach Island, Großbritannien und Norwegen.
- Die zweite umfasst Europa nördlich der Alpen mit Deutschland, Polen, Mittelosteuropa und einschließlich der baltischen Staaten.
- Und die dritte zieht sich über den Mittelmeerraum und den Balkan bis hin in die Schwarzmeer-Regionen mit Ländern wie Rumänien und Bulgarien.
Nach Angaben aus dem Bündnis geht es bei den Planungen vor allem um die Abwehr eines Angriffes im Ausmaß von dem auf die Ukraine. Dabei wurden auch etliche Bereiche identifiziert, in denen Europa nun mehr tun muss. Den Militärs zufolge braucht es so mehr schwere Kräfte, die auch heftigen Kämpfen standhalten können, mehr Flugabwehrsysteme und mehr weitreichende Artillerie und Raketensysteme. Zudem seien auch Investitionen in Informations- und Datenmanagementsysteme sowie in die Logistik vonnöten.
"Wir haben erkannt, dass wir tatsächlich wieder mit einer Artikel-5-Situation konfrontiert sein könnten, in der ein Teil des Nato-Territoriums direkt angegriffen wird", sagte ein ranghoher Nato-Beamter der dpa. Und der Ukraine-Krieg habe gezeigt, dass es sich dabei auch um einen Angriff erheblichen Ausmaßes handeln könnte, mit dem Ziel, die Kontrolle über einen Teil des Nato-Territoriums zu erlangen.
08.07.2023, 09.40 Uhr: USA liefern Streumunition an Ukraine - deshalb ist sie geächtet
Die US-Regierung will der Ukraine umstrittene Streumunition liefern und verteidigt sich gegen Kritik an diesem Schritt. US-Präsident Joe Biden sprach von einer Übergangslösung und sagte, dass ihm die Entscheidung sehr schwergefallen sei. Sein Sicherheitsberater Jake Sullivan betonte: "Es ist eine Entscheidung, die wir aufgeschoben haben." Die Ankündigung kommt kurz vor dem Nato-Gipfel in der kommenden Woche.
In einem am Freitag ausgestrahlten Interviewausschnitt mit dem US-Sender CNN betonte Biden, er habe über die Lieferung von Streumunition mit Verbündeten und Mitgliedern des US-Kongresses gesprochen. Die USA seien - anders als Deutschland - zwar keine Unterzeichner des Vertrags zur Ächtung von Streumunition, dennoch habe es eine Weile gedauert, bis er überzeugt gewesen sei, die umstrittene Munition zu liefern. Die Ukraine benötige die Streumunition im Kampf gegen Russland.
Die Streumunition ist Teil eines neuen US-Militärhilfe-Pakets in Höhe von 800 Millionen US-Dollar (rund 729 Mio Euro). "Russland hat seit Beginn des Krieges Streumunition eingesetzt, um die Ukraine anzugreifen", betonte Sullivan. "Wir sind uns bewusst, dass Streumunition das Risiko birgt, dass Zivilisten durch nicht explodierte Munition zu Schaden kommen. Deshalb haben wir die Entscheidung so lange aufgeschoben, wie wir konnten." Die Ukraine habe sich zu Minenräumungsmaßnahmen verpflichtet, um möglichen Schaden für die Zivilbevölkerung zu mindern.
Der ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj dankte Biden für die neue Militärhilfe. "Ein rechtzeitiges, umfassendes und dringend benötigtes Verteidigungshilfspaket der Vereinigten Staaten", teilte Selenskyj am Freitagabend bei Twitter mit. Er war in Istanbul zu Gesprächen mit seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan. Dabei ging es unter anderem um die Fortführung des Getreideabkommens. Selenskyj lobte Washington "für entscheidende Schritte, um die Ukraine dem Sieg über den Feind und die Demokratie dem Sieg über die Diktatur näher zu bringen". Die Ukraine hatte immer wieder Streumunition gefordert, um die Stellungen russischer Besatzer effektiver zu zerstören.
Russland bezeichnete die angekündigte US-Lieferung von Streumunition an die Ukraine als weitere Eskalation im Krieg. "Washington erhöht seinen Einsatz in dem Konflikt weiter", sagte der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, laut dem Außenministerium in Moskau in der Nacht zum Samstag. Auch ohne die Streumunition seien die USA tief in den Konflikt verstrickt und brächten "die Menschheit näher an einem neuen Weltkrieg". Der Einsatz von Streumunition wird nach Darstellung Antonows die Zahl der Kriegsopfer erhöhen und den "Todeskampf des Kiewer Regimes" nur verlängern.
Der Grünen-Politiker Anton Hofreiter kritisierte ebenfalls die geplante Ausrüstung der ukrainischen Armee mit Streumunition. "Die Lieferung von Streumunition lehne ich ab. Sie ist zurecht geächtet", sagte Hofreiter der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag forderte stattdessen die Lieferung deutscher Marschflugkörper an die Ukraine und eine Unterstützung der von Dänemark und den Niederlanden geführten Kampfjet-Allianz mit Logistik und Ausbildung.
Eine Streubombe ist ein Behälter aus Metall, der Hunderte kleiner Sprengsätze (Bomblets) enthält. Oft sehen sie aus wie bunte Getränkedosen oder Tennisbälle. Streubomben werden entweder von einem Flugzeug abgeworfen oder vom Boden aus abgefeuert. Sie öffnen sich in der Luft und setzen ihre Mini-Sprengsätze auf einem Gebiet frei, das von der Größe her mehreren Fußballfeldern entspricht. Die Bomblets sollen beim Aufprall explodieren. Ihre Metallteile können Fahrzeuge durchschlagen, Menschen und Tiere töten oder schwer verletzen. Streubomben werden eingesetzt, um feindliche Bodenkräfte und Fahrzeuge großflächig anzugreifen, sie zurückzudrängen oder ihr Vorrücken zu verlangsamen oder zu stoppen.
Ein Teil der Mini-Bomben explodiert oft nicht und bleibt als Blindgänger im Boden stecken. Ähnlich wie Landminen werden sie jahrzehntelang zur Bedrohung, weil sie auch nach Kriegsende durch Erschütterung explodieren können. Oft trifft es Kinder, die Streubomben mit Spielzeug verwechseln können. Zu den Opfern gehören auch Bauern, die bei der Feldarbeit auf Blindgänger stoßen. Wenn Menschen überleben, erleiden sie oft Verstümmelungen, Verbrennungen und können erblinden.
Das Übereinkommen über Streumunition (Convention on Cluster Munition oder Oslo-Übereinkommen) trat 2010 in Kraft. In dem Vertrag verpflichten sich Staaten, "unter keinen Umständen jemals Streumunition einzusetzen, zu entwickeln, herzustellen, auf andere Weise zu erwerben, zu lagern, zurückzubehalten oder an irgendjemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben". Bislang haben 111 Staaten diesen Vertrag ratifiziert, darunter Deutschland. 74 Länder haben das bisher nicht getan. Dazu zählen neben der Ukraine, Russland und Belarus auch die Nato-Staaten USA, Estland, Lettland, Finnland, Türkei, Griechenland, Polen und Rumänien.
06.07.2023, 19.20 Uhr: Russisches Fernsehen enthüllt Jewgeni Prigoschins Kostüm-Fundus
Russlands Staatspräsident Wladimir Putin und der Chef der Söldnertruppe "Wagner" Jewgeni Prigoschin galten als enge Verbündete - bis der ehemalige Restaurant-Unternehmer vor wenigen Wochen den Putsch gegen den Kreml wagte. Seitdem gilt der 62-Jährige als persona non grata in Russland. Nun hat der Geheimdienst FSB Bilder von einer Hausdurchsuchung in St. Petersburg veröffentlicht, die Prigoschin in ein schräges Licht stellen sollen.
Die Aufnahmen von der Razzia wurden laut der Bild-Zeitung in der Polit-Show "60 Minuten" gezeigt. Dabei sind einerseits beschlagnahmte Gegenstände wie Geld, gefälschte Pässe und Waffen zu sehen. Aber auch ein bizarrer Kostüm-Fundus des Wagner-Chefs mit reihenweise Uniformen, Perücken, Brillen und Anklebe-Bärten. Gleichzeitig wurden beim Chat-Dienst Telgeram "Selfies" von Prigoschin in ebendiesen Kostümen veröffentlicht.
Dabei war der Söldner-Chef nicht nur als Businessman und General unterwegs. Unter den Verkleidungen finden sich zahlreiche Aufzüge als arabischer Kämpfer und Militärs. Einer davon erinnert laut der Bild an den Aufzug des britischen Komikers Sacha Baron Cohen in der Mockumentary "Der Diktator", in der er sämtliche arabische Machthaber auf die Schippe nimmt.
Die Kostüme sollen jeweils mit den Einsatzgebieten der Wagner-Truppe in Verbindung stehen - darunter auch Syrien und Libyen. Spekuliert wird, dass der Kreml mit der Veröffentlichung der Bilder das Ansehen Prigoschins als Patriot erheblich beschädigen will.
04.07.2023, 13.30 Uhr: Internationale Atomenergiebehörde stuft die Situation als "prekär" ein - Angriff auf AKW?
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verdächtigt Russland einer bevorstehenden Provokation am Atomkraftwerk Saporischschja. "Wir haben jetzt von unserem Geheimdienst die Information, dass das russische Militär auf den Dächern mehrerer Reaktorblöcke des AKW Saporischschja Gegenstände platziert hat, die Sprengstoff ähneln", sagte Selenskyj am Dienstag (4. Juli) in seiner täglichen Videoansprache. Dies diene möglicherweise dazu, einen Anschlag auf die Anlage im Süden des Landes zu simulieren, mutmaßte der Staatschef. Er forderte internationalen Druck auf Moskau, um das zu verhindern.
"Leider gab es keine rechtzeitige und breite Reaktion auf den Terroranschlag gegen das Wasserkraftwerk Kachowka. Und das kann den Kreml zu neuen Übeltaten inspirieren", sagte Selenskyj. Im Juni hatte eine Explosion den Kachowka-Staudamm zerstört. Hunderte Ortschaften wurden überflutet. Die Ukraine und der Westen werfen Russland die Zerstörung vor. Moskau dementiert und beschuldigt seinerseits Kiew der Tat.
Selenskyj dankte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron für dessen Bereitschaft, sich für die Sicherheit der Nuklearanlage einzusetzen. Er habe mit Macron über das Kernkraftwerk, aber auch über Waffenlieferungen und den bevorstehenden Nato-Gipfel gesprochen, sagte der ukrainische Staatschef.
Besetzung des AKW durch Russland nahezu seit Kriegsbeginn
Russische Truppen haben kurz nach Beginn des von Kremlchef Wladimir Putin befohlenen Angriffskriegs gegen die Ukraine das AKW Saporischschja besetzt und halten es seither unter Kontrolle. Mehrfach ist die Anlage unter Beschuss geraten, wofür sich beide Kriegsparteien gegenseitig verantwortlich machen. International ist die Sorge vor einer Atomkatastrophe groß - auch wenn das Kraftwerk inzwischen in den Kaltbetrieb versetzt wurde.
Die Internationale Atomenergiebehörde IAEA, die Beobachter am Kraftwerk hat, nennt die Sicherheitslage "prekär", auch wenn sie - Stand Freitag - keine Minen oder Sprengsätze am AKW registriert hat.
Gleichzeitig wirft Moskau der Ukraine vor, einen unmittelbar bevorstehenden Anschlag auf das Atomkraftwerk Saporischschja zu planen. Bereits in der Nacht zum Mittwoch (5. Juli) würden die ukrainischen Streitkräfte versuchen, das AKW mit Raketen und Drohnen anzugreifen, behauptete Renat Kartschaa, Berater des Chefs der russischen Atomenergiebehörde, Rosenergoatom, am Dienstag im Staatsfernsehen. Der ukrainische Generalstab wiederum schrieb in seinem täglichen Lagebericht über angebliche Sprengkörper auf dem Dach des AKW, deren Explosion den Eindruck eines Beschusses wecken solle.
Ukraine habe Sprengkörperan AKW angebracht - laut Russland
Die Sprengsätze seien an den Dächern des dritten und vierten Reaktorblocks angebracht, sollen die Reaktoren selbst aber wohl nicht beschädigen, heißt es im Lagebericht des ukrainischen Generalstabs. Die Ukraine werde nicht gegen die Normen des Völkerrechts verstoßen, betonte die Militärführung in Kiew zugleich.
Genau das wirft Kartschaa den Ukrainern vor. Demnach soll nicht nur das AKW beschossen werden, sondern auch zeitgleich auch eine mit Atomabfällen bestückte Bombe abgeworfen werden. Beweise für die Anschuldigung brachte der hochrangige Moskauer Beamte nicht vor.
Russische Truppen halten das Atomkraftwerk Saporischschja im Süden der Ukraine seit März 2022 besetzt. Die Nuklearanlage ist während der Gefechte mehrfach unter Beschuss geraten, was international die Sorge vor einer Atomkatastrophe weckte. Aus Sicherheitsgründen wurde die Anlage inzwischen heruntergefahren. Eine Beobachtermission der Internationalen Atomenergiebehörde ist vor Ort.
Beide Kriegsparteien werfen sich wiederholt geplante Provokationen rund um das Kraftwerk vor. Zuletzt haben sich diese Anschuldigungen stetig verschärft.
03.07.2023, 11.45 Uhr: Lawrow äußert sich nun zu Wagner-Aufstand
Russlands Außenminister Sergej Lawrow hat den bewaffneten Söldneraufstand am vergangenen Wochenende als einen "Schlamassel" abgetan. "Russland ist aus allen möglichen Schlamasseln - und man kann dies schwer mehr als einen Schlamassel nennen - stärker und stabiler herausgekommen", sagte Lawrow russischen Medien zufolge vor Journalisten. Darüber hinaus forderte er den Westen auf, sich aus innerrussischen Angelegenheiten herauszuhalten. "Vielen Dank, dass Sie sich um unsere nationalen Interessen sorgen, aber das müssen Sie nicht."
Der Chef der Söldner-Truppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hatte am vergangenen Samstag einen Machtkampf mit der russischen Militärführung eskaliert. Seine Kämpfer starteten einen Aufstand, besetzen zwischenzeitlich unter anderem die südrussische Stadt Rostow am Don und marschierten in Richtung Moskau.
Rund 200 Kilometer vor der russischen Hauptstadt gab Prigoschin nach Vermittlung des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko überraschend auf. Ihm und den Wagner-Aufständischen wurde Zuflucht in Belarus gewährt und Straffreiheit garantiert. Viele internationale Beobachter werteten die Geschehnisse als Kontrollverlust und Blamage für Kremlchef Wladimir Putin.
02.07.2023, 7.22 Uhr: Fehlender Durchbruch bei Gegenoffensive der Ukraine
Mit dem Eintreffen hochmoderner westlicher Waffen wurde viel Hoffnung in die Gegenoffensive der Ukraine gesetzt. Ein großer Erfolg blieb allerdings bisher aus. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba erklärt aus seiner Sicht die Gründe hierfür.
Die russische Lufthoheit und Minenfelder stellen nach Ansicht des ukrainischen Außenministers die zwei größten Probleme für die ukrainischen Truppen bei ihrer Gegenoffensive dar. Unter Einsatz ihres Lebens müssten die ukrainischen Soldaten am Tag manchmal 200 oder 300 Meter durch ein Minenfeld robben, um das Gelände für die vorrückenden Truppen zu räumen, sagte Kuleba in Kiew in einem Interview von "Bild", "Welt" und "Politico". Die mit Beton, Stahl und anderen Materialien verstärkten Befestigungen der Russen seien schwer zu zerstören.
Darüber hinaus würden die Streitkräfte sehr darunter leiden, "dass uns Anti-Luft-, Anti-Hubschrauber- und Anti-Flugzeug-Waffen am Boden fehlen", sagte Kuleba weiter. Mit dem Einsatz von Kampfhubschraubern und Kampfflugzeugen sei es den Russen gelungen, "unsere Gegenoffensivkräfte zu treffen".
Selenskyj beklagt Verzögerungen beim Pilotentraining an US-Kampfjets
Während des Besuchs von von Spaniens Regierungschef Pedro Sánchezbeklagte Selenskyj Verzögerungen bei der Ausbildung ukrainischer Piloten an Kampfflugzeugen aus US-Produktion. "Ich denke, dass einige unserer Partner hier verschleppen", sagte er am Samstag (1. Juli 2023) in Kiew.
Immer noch gebe es keine festen Termine für den Beginn und keine Zeitpläne für das Pilotentraining. Im Mai hatten mehrere europäische Staaten die Bildung einer Kampfjet-Koalition für die Ukraine bekanntgegeben. Washington machte den Weg dafür frei, indem es grünes Licht für die Ausbildung ukrainischer Piloten an F-16-Kampfjets gab.
01.07.2023, 13.33 Uhr: IAEA mit Statement zu AKW Saporischschja - bisher keine Anzeichen für Verminung
Internationale Beobachter in dem von Russland besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja haben bislang keine Anzeichen für Verminung durch die Besatzer gesichtet. Das Team der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), das dauerhaft in dem AKW stationiert ist, habe jedoch zu einigen Bereichen der Anlage noch keinen Zugang erhalten, teilte IAEA-Chef Rafael Grossi am Freitagabend (30. Juni 2023) in Wien mit. Teile der Turbinenhallen und des Kühlsystems müssten noch inspiziert werden, hieß es in seinem Bericht.
Vergangene Woche hatte der ukrainische Militärgeheimdienst SBU erklärt, Russland habe das AKW vermint und plane einen Terroranschlag dort. Auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte vor einer solchen Attacke gewarnt. Moskau weist solche Vorwürfe zurück und behauptet wiederum, die Ukraine plane einen Anschlag, um eine atomare Katastrophe auszulösen.
"Wir nehmen all diese Berichte sehr ernst", betonte Grossi zu den Vorwürfen der Ukraine. Es sei der IAEA "bekannt", dass früher Minen im Umkreis des AKW und an bestimmten Stellen in der Anlage platziert worden seien. Welche Informationen der IAEA dazu vorliegen, führte Grossi am Freitag nicht aus.
Russische Truppen haben kurz nach Beginn des Kriegs vor 16 Monaten schnell große Teile der Südukraine besetzt, darunter auch wichtige Infrastrukturobjekte wie das AKW Saporischschja. Die Lage um das Kernkraftwerk, das nahe der Front liegt und mehrfach unter Beschuss stand, weckte immer wieder Sorge vor einer Atomkatastrophe.
30.06.2023, 13.40 Uhr: Kreml schweigt zum Verbleib von General Surowikin
Der Kreml äußert sich nach Angaben von Sprecher Dmitri Peskow nicht zum Verbleib des russischen Vizegeneralstabschefs Sergej Surowikin. Es handele sich um eine Angelegenheit des Verteidigungsministeriums, sagte Peskow der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge, nachdem es Berichte über eine Festnahme des Generals gegeben hatte. Peskow hatte am Mittwoch einen US-Medienbericht als "Spekulation" zurückgewiesen, wonach Surowikin von dem Aufstandsplan des Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin vorab gewusst haben soll.
"General Armageddon" angeblich festgenommen: War er in die Wagner-Revolte involviert?
Zur Frage, ob Präsident Wladimir Putin Surowikin weiter vertraue, sagte Peskow am Donnerstag, dass der Kremlchef als Oberbefehlshaber mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow zusammenarbeite. Zu deren Untergebenen müsse sich das Ministerium äußern. Eine Stellungnahme von dort lag zunächst nicht vor. Mehrere russische Medien hatte schon am Mittwoch unter Berufung auf Informanten berichtet, dass Surowikin festgenommen sei. Eine Bestätigung dafür gab es nicht. Der russische Armeechef trägt auch den Titel "General Armageddon" und ist seit Oktober 2022 im Amt.
Die US-Zeitung New York Times hatte zuvor unter Berufung auf US-Sicherheitskreise berichtet, dass Surowikin im Vorfeld von dem Aufstand der Wagner-Gruppe gewusst habe. "Es gibt jetzt um diese Ereignisse herum viele unterschiedliche Spekulationen und Tratsch", sagte Kremlsprecher Peskow dazu. "Ich denke, das ist ein Beispiel dafür." Die Armee und die Bevölkerung hätten während des Aufstands "alle beim Präsidenten gestanden".
Surowikin gilt zwar als Verbündeter Prigoschins, er hatte sich aber noch in der Nacht zum Samstag öffentlich auf die Seite des Machtapparats in Moskau geschlagen. In einer Videobotschaft hatte Surowikin Prigoschin dazu aufgerufen, den Machtkampf zu beenden.
Sorge um besetztes AKW: Südukraine trainiert für atomaren Notfall
Nach Warnungen vor einem angeblich geplanten russischen Terroranschlag auf das Atomkraftwerk Saporischschja haben vier Regionen im Süden der Ukraine Übungen für einen atomaren Notfall abgehalten. Unter der Leitung des Energieministers Herman Haluschtschenko trainierten Rettungskräfte in den Regionen um die Städte Cherson, Mykolajiw, Saporischschja und Dnipro für den nuklearen Ernstfall, wie der ukrainische Atomenergiekonzern Enerhoatom auf Telegram mitteilte. Auch die Zivilbevölkerung sollte dabei auf den Notfall vorbereitet werden.
Zuletzt war die Sorge über einen atomaren Zwischenfall in Kiew gestiegen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte mehrmals vor einem Anschlag in dem von Russland besetzten AKW. Vergangene Woche hatte der Militärgeheimdienst SBU erklärt, Russland habe das Kraftwerk vermint und plane einen Terroranschlag dort. Moskau weist solche Vorwürfe immer wieder zurück.
Richtiges Verhalten im nuklearen Ernstfall: Militär gibt Bürgern Tipps
Die ukrainische Militärverwaltung von Saporischschja gab im Nachrichtendienst Telegram am Donnerstag Handlungsanweisungen für Zivilisten. Man solle im Ernstfall Wasservorräte in luftdichten Behältern anlegen, Schutzkleidung tragen und keine lokal angebauten Lebensmittel verzehren, hieß es unter anderem.
Neben den Kampfhandlungen bereitet zudem das Thema Kühlwasser für das AKW Sorge. Seit der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Anfang Juni ist der Stausee zu großen Teilen ausgetrocknet, was die Versorgung des AKW mit Kühlwasser für seine sechs Reaktoren gefährdet. Der Wasserstand im Kühlteich sei derzeit jedoch stabil und für den Betrieb des AKW ausreichend, hatte der ukrainische Kachowka-Krisenstab am Mittwoch mitgeteilt.
30.06.2023, 5.50 Uhr: Sorge wegen Atomwaffen und Wagner-Söldnern - Putin badet in der Menge
Die Anwesenheit russischer Wagner-Söldner sowie die vom Kreml geplante Stationierung von Atomwaffen in Belarus verändern nach Ansicht von Polens Präsident Andrzej Duda die Sicherheitsarchitektur der Region. Die Nato müsse hier sehr wachsam sein, sagte Duda in Kiew nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dem litauischen Staatschef Gitanas Nauseda.
Polen will wegen Wagner-Truppe in Belarus Ostgrenze verstärken
Die Frage sei, welches Ziel die Verlegung der Wagner-Kämpfer in Polens Nachbarland wirklich habe. "Sollen sie der Besetzung von Belarus dienen? Sollen sie vom Norden aus eine weitere Bedrohung für die Ukraine bilden? Oder sollen sie auch eine potenzielle Bedrohung für unsere Länder, für Nato-Staaten wie Polen sein?"
Das EU- und Nato-Mitglied Polen hat eine 418 Kilometer lange Grenze zu Belarus. Duda sagte in diesem Zusammenhang, Belarus betreibe seit zwei Jahren bereits einen "hybriden Angriff" auf die polnische Grenze. Im Spätsommer und Herbst 2021 war die Situation dort eskaliert: Tausende von Menschen versuchten, illegal in die EU zu gelangen. Die Europäische Union beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze gebracht zu haben, um Druck auf den Westen auszuüben.
Wegen der geplanten Verlegung will Polen nun seine Ostgrenze noch stärker sichern. Geplant sei sowohl eine Aufstockung der dort stationierten uniformierten Kräfte als auch eine Erhöhung der Anzahl "verschiedener Arten von Hindernissen und Befestigungen zum Schutz unserer Grenze im Falle eines Angriffs", sagte Vize-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski nach einer Sondersitzung eines Komitees der Regierung für Sicherheits- und Verteidigungsfragen. Nach Angaben Kaczynskis hat Polen Erkenntnisse, wonach bis zu 8000 Wagner-Kämpfer in Belarus unterkommen könnten.
Staatsfernsehen zeigt Putin beim Bad in der Menge in Dagestan
Vier Tage nach dem Abbruch des bewaffneten Aufstands der Wagner-Söldnertruppe hat Kremlchef Wladimir Putin nach Angaben russischer Staatsmedien erstmals Moskau verlassen und eine Reise in die russische Kaukasusrepublik Dagestan unternommen. Aufnahmen des Staatsfernsehens zeigten den russischen Präsidenten bei einem für Putin ungewöhnlichen Bad in der Menge in der Stadt Derbent am Kaspischen Meer.
Auf einem bei Telegram veröffentlichten Video der Staatsagentur Ria Nowosti ist zu sehen, wie Putin in der Dunkelheit von begeisterten Bewohnern Derbents umringt wird und ihnen die Hände schüttelt. Dann bittet ein Mädchen den Staatschef in dem Gedränge mehrmals um ein Selfie. Auf einer Aufnahme des Reporters Pawel Sarubin vom Staatsfernsehen ist zu sehen, wie Putin dem Mädchen einen Kuss auf den Kopf gibt, den Arm um sie legt und sich dann mit ihr fotografieren lässt. Dass der Kremlchef sich in eine Menschenmenge begibt, ist ungewöhnlich - in Moskau hält Putin selbst bei politischen Treffen meist großen Abstand.
Putin war nach Angaben von Kremlsprecher Dmitri Peskow in die Teilrepublik Dagestan gereist, um sich dort um Tourismusfragen zu kümmern. Dagestan ist als Ferienziel bei vielen Russen beliebt. Die Reise Putins in die kremltreue Republik so kurz nach dem abgebrochenen Aufstand des Chefs der Wagner-Truppe, Jewgeni Prigoschin, sollte offenbar Normalität demonstrieren.
Der Republikchef Dagestans, Sergej Melikow, sagte bei einem Treffen mit Putin nach Angaben der Staatsagentur Tass in Bezug auf den Aufstand, alle Bewohner Dagestans unterstützten die Entscheidungen "des Präsidenten und Oberbefehlshabers". Putin erwiderte, er habe "keine Zweifel" daran gehabt, wie die Reaktionen in Dagestan und im ganzen Land ausfallen würden.
Olaf Scholz meint: Putin ist nach Wagner-Aufstand geschwächt
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geht unterdessen davon aus, dass der abgebrochene Aufstand der Söldnergruppe Wagner den russischen Präsidenten geschwächt hat. "Auf alle Fälle wird das sicherlich langfristig auch Auswirkungen haben in Russland", sagte Scholz in der ARD-Sendung Maischberger. "Ich glaube schon, dass er (Putin) geschwächt ist." Der Aufstand zeige, "dass die autokratischen Strukturen, die Machtstrukturen Risse haben" und Putin keineswegs so fest im Sattel sitze, wie er immer wieder behaupte. "Aber ich möchte mich nicht an einer Spekulation beteiligen, wie lange er noch im Amt sein wird", fügte Scholz hinzu. "Das kann lang sein oder auch kurz. Das wissen wir nicht."
28.06.2023, 7.40 Uhr: Prigoschin in Belarus eingetroffen - Wie geht es nun für ihn weiter?
Der russische Söldnerchef Jewgeni Prigoschin ist nach seinem bewaffneten Aufstand gegen Moskaus Militärführung in Belarus eingetroffen. "Ja, wirklich, er ist heute in Belarus", sagte Machthaber Alexander Lukaschenko am Dienstag in Minsk der staatlichen Nachrichtenagentur Belta zufolge. Prigoschin war im Fall einer Ausreise nach Belarus vom Kreml Straffreiheit zugesichert worden.
Lukaschenko tritt als Vermittler zwischen Putin und Prigoschin auf
Nach Darstellung Lukaschenkos habe Putin während des Aufstandes der Wagner-Söldner aber zunächst auf eine gewaltsame Lösung gesetzt. Putin habe ihn am Samstagvormittag angerufen und ihm die Lage geschildert, sagte Lukaschenko. Er habe verstanden, dass im Kreml bereits die harte Entscheidung getroffen worden sei, die Wagner-Leute "kaltzumachen", so Lukaschenko. Daraufhin habe er sich telefonisch mit Söldnerchef Jewgeni Prigoschin verbinden lassen.
"Die erste Runde haben wir 30 Minuten lang nur mit Schimpfwörtern miteinander geredet", so Lukaschenko weiter. Prigoschin sei "euphorisch" gewesen. Er habe ein Gespräch mit Putin sowie die Herausgabe von Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Oberbefehlshaber Waleri Gerassimow verlangt und mit dem Marsch auf Moskau gedroht. Lukaschenkos Antwort: "Auf halbem Weg dorthin werden sie dich zerquetschen wie eine Wanze."
Erst nach mehreren weiteren Gesprächsrunden habe Prigoschin am Nachmittag signalisiert, dass er seinen Aufstand abbrechen werden, wenn man ihm und seinen Leuten Sicherheitsgarantien gäbe, so Lukaschenkos Darstellung. Daraufhin habe er Prigoschin angeboten, ihn und die Wagner-Kämpfer in seinem Land aufzunehmen.
Lukaschenko: Kreml wollte die Wagner-Aufständischen "kaltmachen"
Offiziellen Angaben zufolge soll Lukaschenko im Auftrag Putins mit Prigoschin vermittelt und den Söldnerchef zum Aufgeben überredet haben. Im Gegenzug sicherte der Kreml Prigoschin Straffreiheit zu. Den aufständischen Wagner-Kämpfern hingegen bot er an, in Russlands Streitkräften zu dienen. Sie könnten aber auf eigenen Wunsch - ebenso wie Prigoschin - auch nach Belarus ausreisen, hieß es.
Putin kündigte zudem "in nächster Zukunft" Veränderungen in der Führungsetage der russischen Streitkräfte an. Das "Rückgrat" der Streitkräfte-Führung werde künftig aus Personen zusammengesetzt sein, die sich im Kampfeinsatz bewährt hätten. Dazu gehöre auch der Bereich der Luftwaffe. Der Kremlchef äußerte sich nicht dazu, ob er an seinem Verteidigungsminister Sergej Schoigu festhält.
Experte: Russen werden Prigoschin über kurz oder lang liquidieren
Nach dem bewaffneten Aufstand muss Prigoschin aus Sicht des Politikwissenschaftlers Herfried Münkler um sein Leben bangen. "Ich gehe davon aus, dass die Russen Prigoschin über kurz oder lang liquidieren werden", sagte er Spiegel Online. Der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko, der ihm nun offenbar Unterschlupf gewähre, werde dem russischen Geheimdienst dabei kaum im Weg stehen.
Nach dem von Prigoschin angezettelten Aufstand wurde das Strafverfahren in Russland gegen ihn zunächst eingestellt. Doch noch am Samstag hatte Präsident Wladimir Putin angekündigt, die Drahtzieher würden ihrer "unausweichlichen Bestrafung" zugeführt. Am Dienstag räumte Putin zudem erstmals ein, dass die Wagner-Armee komplett vom Staat finanziert wurde.
Der aufsehenerregende Marsch der Wagner-Truppe Richtung Moskau war nach Münklers Einschätzung wohl eine Reaktion Prigoschins darauf, dass Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu alle Söldnertruppen unter das Oberkommando des Militärs stellen wollte. "Damit wäre Prigoschin als eigenständiger Akteur ausgeschaltet, sowohl militärisch als auch politisch. Sein Ziel war daher, Schoigu und Oberbefehlshaber Waleri Gerassimow abzusetzen."
Zur Rolle Prigoschins sagte er: "Je fragiler ein Staat ist, desto größer sind die Erfolgschancen von Warlords. Die Ereignisse der zurückliegenden Woche sind ein Hinweis auf die politische Fragilität Russlands, das nach außen so mächtig daherkommt, aber im Innern offenbar recht schwach ist - eine Folge dessen, dass Putin seit seinem Aufstieg zur Macht alle institutionellen Regelungen außer Kraft gesetzt hat."
27.06.2023, 9.50 Uhr: Prigoschin meldet sich nach Wagner-Revolte zu Wort
In seiner ersten Wortmeldung nach dem missglückten Aufstand vom Wochenende hat der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, dementiert, einen Machtwechsel in Moskau angestrebt zu haben. "Wir sind losgegangen, um Protest zu demonstrieren, nicht um die Obrigkeit im Land zu stürzen", sagte der 62-Jährige in einer Sprachnachricht, die von seinem Pressedienst auf Telegram verbreitet wurde. Angaben zu seinem aktuellen Aufenthaltsort machte Prigoschin nicht.
Söldner-Chef Prigoschin nach Aufstand: Kein Machtwechsel geplant
Prigoschin wiederholte zudem seinen Vorwurf gegen das russische Verteidigungsministerium, am vergangenen Freitag Militärlager der Söldner beschossen zu haben. Dabei wurden nach seinen Angaben 30 Wagner-Kämpfer getötet. Dies sei zusätzlich zur vom Ministerium angestrebten Auflösung der Wagner-Truppe der Auslöser für den Marsch Richtung Moskau gewesen.
Er räumte ein, dass der Vormarsch Opfer gefordert habe. "Während unseres Marsches wurde kein einziger Soldat auf dem Boden getötet. Wir bedauern, dass wir gezwungen waren, Flugobjekte abzuschießen - aber das deshalb, weil sie uns bombardiert haben", sagte er. Nach Berichten russischer Militärblogger wurden bei der Auseinandersetzung sechs Hubschrauber und ein Flugzeug der russischen Armee zerstört und deren Besatzungen getötet. Offiziell hat die russische Führung diese Verluste nicht eingestanden.
Putin lobt Sicherheitsorgane nach Aufstand der Wagner-Söldner
Kremlchef Wladimir Putin hat unterdessen den russischen Sicherheitskräften und der Bevölkerung nach der rasch beendeten Revolte der Privatarmee Wagner für ihren Rückhalt gedankt. "Ich danke allen Soldaten, Mitarbeitern der Geheimdienste, die sich den Aufständischen in den Weg gestellt haben", sagte Putin in einer im Staatsfernsehen übertragenen Rede. Auf seinen Befehl hin sei alles getan worden, um ein Blutvergießen zu verhindern. "Das hat Zeit gebraucht", sagte Putin. "Der bewaffnete Aufstand wäre auch so zerschlagen worden."
Was passiert nun mit der Wagner-Gruppe? Putin bietet Option
Wenn sich Söldner und reguläre Truppen beschossen hätten, wäre dies vor allem Kiew und seinen westlichen Verbündeten zugutegekommen, erklärte Putin. Deren Hoffnung, dass sich Russland selbst zerfleischen werde, habe sich aber nicht erfüllt. Die russische Gesellschaft habe sich als geschlossen erwiesen in ihrer Ablehnung des Aufstands. Dies hätten am Ende auch die Umstürzler erkannt und aufgegeben.
Putin dankte auch dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko für dessen Vermittlung im Konflikt mit seinem einstigen Vertrauten Prigoschin. Dieser soll nach Darstellung des Kremls in Belarus Zuflucht finden. Putin bot den Wagner-Kämpfern an, in den russischen Streitkräften zu dienen. Jeder Versuch, in Russland Chaos zu stiften, sei zum Scheitern verurteilt, betonte der Präsident. "Die Organisatoren des Aufstands, die das Land verraten haben, haben auch diejenigen verraten, die auf ihrer Seite waren", sagte Putin.
26.06.2023, 6.40 Uhr: Nach Machtkampf mit Putin - keine Spur von Prigoschin
Russlands Präsident Wladimir Putin hat die bislang größte interne Herausforderung in bald einem Vierteljahrhundert an der Macht überstanden. Der Chef der berüchtigten Söldnertruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, brach nach etwa 24 Stunden einen Marsch seiner Truppen auf Moskau überraschend wieder ab - etwa 200 Kilometer vor der Hauptstadt. Im Gegenzug verkündete der Kreml, dass Prigoschin und seine gesamte Truppe trotz des gewaltsamen Aufstands straffrei ausgehen werde. Zuvor hatte Putin mit Blick auf seinen Ex-Vertrauten noch von "Verrat" gesprochen.
Wagner-Chef soll von Putin ins belarussische Exil geschickt werden
Prigoschin selbst soll nun weg aus Russland und sich im Nachbarland Belarus niederlassen. Von dem 62-Jährigen, der Moskau über Wochen hinweg mit Kritik am Ukraine-Krieg gereizt hatte, war am Sonntag allerdings überhaupt nichts mehr zu hören und zu sehen. Trotz des Erfolgs im Machtkampf sehen viele Experten Putin (70) geschwächt. Der Westen verfolgte das Geschehen in Russland genau, hielt sich mit Stellungnahmen aber auffallend zurück. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ließ sich laufend informieren. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verschob eine Reise nach Südafrika.
In Videos war zu sehen, wie Söldnerchef Prigoschin am Samstag in einem schwarzen SUV das Zentrum der Stadt Rostow am Don verlässt. In der Millionenstadt hatte der Aufstand am Freitagabend begonnen. Nähere Informationen, wo er sich dann aufhielt, gab es zunächst nicht. Nach Berichten unabhängiger russischer Medien erklärte die Wagner-Pressestelle, keinen Kontakt zu haben. Der russischsprachige Sender RTVi erhielt die Auskunft: "Er lässt alle grüßen und wird auf Fragen antworten, wenn er wieder normalen Empfang hat."
Der Einigung zwischen Söldnerchef und Kreml waren aufsehenerregende 24 Stunden vorangegangen. Prigoschin und seine Söldner hielten ganz Russland in Atem. Es gab auch Sorgen vor einem Bürgerkrieg. Anlass für den Aufstand war Prigoschin zufolge, dass ein Wagner-Lager im Hinterland mit Raketen, Hubschraubern und Artillerie angegriffen worden sei. Dabei seien viele Söldner getötet worden. Den Befehl dafür habe Verteidigungsminister Sergej Schoigu gegeben, behauptete Prigoschin. Das Verteidigungsministerium bestritt dies vehement.
Selenskyj warnt vor Sabotage des AKW Saporischschja
Der ukrainische Staatschef warnte unterdessen vor Sicherheitsrisiken rund um das von russischen Kräften kontrollierte Kernkraftwerk Saporischschja, das größte in Europa. "Leider ist die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für die bestehende russische Bedrohung im Kernkraftwerk Saporischschja immer noch unzureichend", klagte Selenskyj. Die westlichen Partner der Ukraine hätten alle verfügbaren Geheimdienstinformationen über die russischen Pläne für das AKW erhalten. "Wir müssen ganz konkrete Maßnahmen ergreifen, und zwar alle gemeinsam in der Welt, um jegliche Strahlungsvorfälle zu verhindern", warnte er mit Blick auf eine mögliche Sabotage der Anlage durch die russischen Besatzer.
25.06.2023, 13.30 Uhr: Prigoschin will Russland angeblich verlassen - spezieller "Deal" mit dem Kreml
Der bewaffnete Aufstand russischer Söldner gegen die Staatsführung von Präsident Wladimir Putin scheint kurz nach einer unerwarteten Eskalation schon wieder beendet. Das wegen bewaffneten Aufstands gegen die Militärführung eingeleitete Strafverfahren gegen Prigoschin wird laut Kreml eingestellt. Prigoschin selbst werde unbehindert nach Belarus gehen, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Samstag nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax. Als Garantien für den freien Abzug habe er "das Wort des Präsidenten". Auch die Kämpfer der Wagner-Truppe sollen angesichts ihrer Verdienste an der Front in der Ukraine nicht strafrechtlich verfolgt werden, wie Peskow versicherte.
Vielmehr werde einem Teil der Söldner ein Angebot unterbreitet, sich vertraglich zum Dienst in den russischen Streitkräften zu verpflichten. Zuvor hatte der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko Prigoschin nach eigenen Angaben dazu gebracht, seinen Aufstand aufzugeben. Es war zunächst nicht klar, ob Prigoschin neben Straffreiheit noch weitere Zugeständnisse gemacht oder zumindest in Aussicht gestellt wurden, um den Vormarsch seiner Truppen auf Moskau zu stoppen. Er galt lange als Vertrauter Putins, als unantastbare Größe im russischen Machtgefüge, bis ihn der Kremlchef am Samstagmorgen als "Verräter" bezeichnete - und damit öffentlich fallen ließ.
Fraglich ist auch, was künftig aus den Auslandseinsätzen der Wagner-Armee wird, die bis zuletzt und insbesondere in Afrika russische Interessen mit Waffengewalt vertrat. Den Fortgang des Kriegs gegen die Ukraine sieht Russlands Führung durch den Aufstand Prigoschins nach eigenen Angaben nicht beeinflusst. Auf den Verlauf der "militärischen Spezialoperation" - so bezeichnet der Kreml den Angriffskrieg - wirke sich die Situation nicht aus, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow. Ihm sei auch nicht bekannt, dass sich die Haltung des Präsidenten gegenüber Verteidigungsminister Sergej Schoigu geändert habe. Prigoschin hatte dem Minister und auch Generalstabschef Waleri Gerassimow Unfähigkeit vorgeworfen und die beiden für die vielen Rückschläge und hohen Verluste in dem Krieg verantwortlich gemacht.
24.06.2023: "Gehen in entgegengesetzte Richtung": Wagner-Chef bläst plötzlich zum Rückzug
Der Söldnerchef Jewgeni Prigoschin hat den Vormarsch seiner Truppen auf die russische Hauptstadt Moskau nach eigenen Angaben gestoppt. "Unsere Kolonnen drehen um und gehen in die entgegengesetzte Richtung in die Feldlager zurück", sagte er am Samstag in einer von seinem Pressedienst auf Telegram veröffentlichten Sprachnachricht. Bislang sei "nicht ein Tropfen Blut unserer Kämpfer" vergossen worden, sagte Prigoschin. "Jetzt ist der Moment gekommen, wo Blut vergossen werden könnte." Deshalb sei es Zeit, die Kolonnen umdrehen zu lassen.
Unmittelbar zuvor hatte der Pressedienst des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko mitgeteilt, dass dieser Prigoschin zur Aufgabe bewogen habe. "Prigoschin hat den Vorschlag von Belarus' Präsident Alexander Lukaschenko zum Anhalten seiner Bewaffneten aus der Wagner-Truppe und weiteren Schritten zur Deeskalation angenommen", hieß es in einer Pressemitteilung des Präsidialamts der staatlichen Nachrichtenagentur Belta zufolge. Lukaschenko habe sich in Absprache mit Russlands Präsident Wladimir Putin als Vermittler eingeschaltet, hieß es weiter. Prigoschin erwähnte Lukaschenko in seiner Sprachnachricht nicht ausdrücklich.
Putin selbst hatte am Morgen noch seinen Ex-Vertrauten Prigoschin als "Verräter" bezeichnet. Der Machtkampf zwischen dem Söldnerchef und der russischen Führung war in der Nacht zum Samstag eskaliert. Bewaffnete Truppen der Söldner hatten sich aus dem südrussischen Rostow am Don in Richtung Moskau in Marsch gesetzt.
24.06.2023, 19.10 Uhr: Hat ein Bürgerkrieg in Russland begonnen? Briten sehen wenig Widerstand bei Militär gegen Wagner
Nach Einschätzung der britischen Geheimdienste sind nun Wagner-Einheiten Richtung Norden unterwegs - vermutlich mit Ziel Moskau. Der Gouverneur des südwestrussischen Gebiets Woronesch, Alexander Gussew, bestätigte Gefechte: "Im Rahmen einer Anti-Terror-Operation führen die Streitkräfte der Russischen Föderation auf dem Gebiet der Region Woronesch notwendige operativ-kämpferische Maßnahmen durch", schrieb er bei Telegram. In Moskau und Umgebung und auch in Woronesch wurde der Anti-Terror-Notstand verhängt. In der Nacht waren in der Hauptstadt Militärfahrzeuge im Stadtzentrum unterwegs.
Das britische Verteidigungsministerium betonte: "In den kommenden Stunden wird die Loyalität der russischen Sicherheitskräfte und insbesondere der russischen Nationalgarde entscheidend für den Verlauf der Krise sein." Es gebe bisher nur "sehr begrenzte Beweise" für Kämpfe zwischen Wagner und Sicherheitskräften. Dies deute darauf hin, dass einige russische Truppen wahrscheinlich "passiv" geblieben seien und Wagner nachgegeben hätten. "Die nächsten 48 Stunden werden über den neuen Status von Russland entscheiden", twitterte auch der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak. Gegen Prigoschin ermitteln die Behörden in Moskau nun wegen Aufrufs zu einem bewaffneten Aufstand. Der Inlandsgeheimdienst FSB rief die Wagner-Söldner auf, ihren Chef festzusetzen.
Die Entwicklung in Russland wurde im Westen aufmerksam verfolgt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lässt sich nach Angaben eines Regierungssprechers "laufend unterrichten". Er beriet sich auch mit US-Präsident Joe Biden, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und dem britischen Premier Rishi Sunak. Im Auswärtigen Amt kam ein Krisenstab zusammen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach demnach mit ihren Kollegen aus den anderen G7-Staaten über die Lage.
24.06.2023, 10 Uhr: Putin kündigt Bestrafung von "Verrätern" an
Angesichts des bewaffneten Aufstands des russischen Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin haben die Behörden in Moskau und Umgebung den Anti-Terror-Notstand ausgerufen. "Um mögliche Terroranschläge in der Stadt und dem Gebiet Moskau zu verhindern, ist ein Regime für Operationen zur Terrorbekämpfung eingeführt worden", teilte das nationale Anti-Terror-Komitee am Samstag (24.06.2023) mit. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden verschärft.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat nach dem bewaffneten Aufstand des Chefs der Söldnerarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, von "Verrat" gesprochen. Wer Waffen erhebe und bewaffneten Aufstand organisiere, werde bestraft, sagte Putin in einer Rede am Samstag. Der Kremlchef forderte die Wagner-Kämpfer auf, ihre Teilnahme an kriminellen Handlungen umgehend zu beenden.
Sie seien von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin in ein "kriminelles Abenteuer" und die Teilnahme an einem bewaffneten Aufstand reingezogen worden, teilte das Ministerium am Samstag in Moskau mit. "Viele Ihrer Kameraden aus mehreren Einheiten haben ihren Fehler bereits erkannt, indem sie um Hilfe gebeten haben, damit sie sicher an ihre Einsatzorte zurückkehren können", hieß es. Den Kämpfern und Kommandeuren sei Unterstützung gegeben worden.
Putin hat indes die Blockade wichtiger Objekte in der südrussischen Stadt Rostow am Don durch die Söldnertruppe Wagner bestätigt. "Faktisch ist die Arbeit von Organen der zivilen und militärischen Führung blockiert", sagte Putin im Staatsfernsehen. Über die Lage das an die Ukraine grenzende Gebiet Rostow erklärte er: "Sie bleibt schwierig."
Zuvor hatte Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin mitgeteilt, seine Kämpfer hätten in Rostow wichtige militärische Objekte unter ihre Kontrolle gebracht, auch einen Flugplatz.
23.06.2023, 14.45 Uhr: Selenskyj warnt vor "Terrorakt" in AKW Saporischschja
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Russland erneut vorgeworfen, im besetzten Atomkraftwerk Saporischschja einen "Terrorakt" zu planen. "Sie haben dafür alles vorbereitet", sagte der Staatschef am Donnerstag in einem Video. Der ukrainische Geheimdienst SBU habe darüber Informationen. Zugleich warnte Selenskyj, dass ein solcher Angriff auf Europas größtes AKW Folgen weit über die Ukraine hinaus haben könnte. "Radioaktivität kennt keine Grenzen", sagte er.
Ukraine behauptet: Russland plant Sprenung in Atomkraftwerk
Am Mittwoch hatte bereits der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, von russischen Vorbereitungen zur Sprengung des Kühlwasserteichs am Kraftwerk gesprochen. Daraus erhalten die Kühlsysteme des Atommüllzwischenlagers und der heruntergefahrenen Reaktoren Wasser. Moskau weist solche Vorwürfe immer wieder zurück. Das AKW war von Russland gleich nach dem Einmarsch ins Nachbarland vor 16 Monaten besetzt worden.
Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA wurden beim jüngsten Besuch von IAEA-Chef Rafael Grossi in Saporischschja vergangene Woche keine Minen auf dem Gelände entdeckt. "Die IAEA weiß aber von früheren Minenplatzierungen außerhalb des Kraftwerks (...) und teilweise auch an Plätzen im Inneren, die das Sicherheitspersonal der Anlage mit Abwehrzwecken begründete", heißt es in einer Erklärung.
Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms am Unterlauf des Dnipro vor gut zwei Wochen ist der am Kraftwerk gelegene Stausee zu großen Teilen ausgetrocknet. Die Wasserversorgung des AKW mit sechs Reaktoren ist damit gefährdet. Das Wasser im Kühlwasserteich reicht der IAEA zufolge noch mehrere Wochen. Selenskyj wirft Russland zudem vor, die Opfer das Dammbruchs einzusammeln und "zu vernichten" - um die Leichen somit verschwinden zu lassen. Dafür seien spezielle Gruppen des russischen Militärs im Einsatz.
22.06.2023, 10.48 Uhr "Langsamer als gewünscht" - Selenskyj äußert sich zu ukrainischer Gegenoffensive
Die ukrainische Gegenoffensive in den von Russland kontrollierten Gebieten läuft offenbar "langsamer als gewünscht". Das räumte Präsident Wolodymyr Selenskyj in der BBC ein. "Einige Leute glauben, dies sei ein Hollywood-Film und erwarten jetzt Ergebnisse. Dem ist aber nicht so."
Nach eigenen Angaben eroberte die Ukraine bei ihrem Vorstoß bisher acht Dörfer in der südlichen Region Saporischschja und im Osten von Donezk zurück. Gleichzeitig unterstrich Selenskyj, dass er, unabhängig vom Verlauf der Gegenoffensive, einem Einfrieren des Konflikts nicht zustimmen werde. "Egal, wie weit wir mit unserer Gegenoffensive kommen, wir werden einem eingefrorenen Konflikt nicht zustimmen, denn das ist Krieg, das ist eine aussichtslose Entwicklung für die Ukraine", erklärte der Präsident bei BBC und nahm damit auch Bezug auf die Aussagen seines wichtigsten Beraters Mykhailo Podolyak.
Dieser ist überzeugt, dass Russland "die zweite Runde des Krieges" vorbereitet. "Das strategische Ziel Russlands besteht heute darin, den Konflikt um jeden Preis einzufrieren. Die nächsten Schritte sind die interne Stabilisierung durch die Zementierung von Putins Regime (Wahlen-24), die Wiederherstellung der militärischen Fähigkeiten, die Destabilisierung Europas und die Vorbereitung einer zweiten Runde des Krieges", so Podolyak auf Twitter.
Gegenoffensive - Ukraine erobert acht Dörfer zurück
Eine These, zu der auch die Aussage vom Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, passen würde. Dieser teilte am Dienstag (20. Juni 2023) mit, dass Russland das Kühlbecken für die Reaktoren des Kernkraftwerks Saporischschja vermint habe. Bereits kurze Zeit nach beginn des Krieges wurde das größte Kraftwerk Europas von den Russen besetzt. Zuletzt rückte das Atomkraftwerk mit der Sprengung des Kachowka-Staudamms am 6. Juni 2023 wieder in den Fokus. Grund dafür sind die Kühlanlagen des Kraftwerks, die bisher vom Stausee in Kachowka gespeist wurden. Obwohl das Wasser laut der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) noch für mehrere Monate zur Verfügung stehen soll, geht von dem AKW allerdings eine gernelle Gefahr in dem Krieg aus. Denn auch "offene nukleare Erpressung" sei eine russische Methode Druck auszuüben, mahnte Podolyak und bezeichnete das russische Regime als "das Ergebnis von zwanzig Jahren falscher westlicher Politik gegenüber Russland und eines blinden Auges für schmutzige Erpressung, politische Morde und Aggression gegen andere Länder."
Der russische Präsident Waldimir Putin bekräftige unterdessen die geplante Stärkung der eigenen Nuklearstreitkräfte. Bei einer Veranstaltung mit Absolventen von Universitäten der Streitkräfte stellte Putin laut der Nachrichtenagentur Interfax am Mittwoch (21. Juni 2023) einmal mehr die baldige Indienststellung der neuen, mit Atomsprengköpfen bestückbaren Interkontinentalrakete vom Typ Sarmat in Aussicht. Ursprünglich war das allerdings schon für 2022 geplant gewesen.
Seit dem von ihm angeordneten Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 rief Putin mit nuklearen Drohungen international mehrfach Kritik hervor. Für besondere Empörung sorgte etwa seine Ankündigung, taktische Atomwaffen im verbündeten Nachbarland Belarus zu stationieren. Dem Kreml zufolge soll die Verlegung Ende des Jahres abgeschlossen sein.
Zudem erklärte Russland Anfang des Jahres unter internationalem Protest das letzte große Abkommen über atomare Rüstungskontrolle für ausgesetzt: den "New Start"-Vertrag mit den USA.
19.06.2023, 18.12 Uhr: Ukrainische Psychologin therapiert von Russen kastrierte Soldaten
Es ist nicht das erste Mal, dass den Russen im Zuge des Ukraine-Kriegs Folter vorgeworfen wird. Auch Kastration von Soldaten soll laut der ukrainischen Psychologin Anzhelika Yatsenko (41) dazugehören. Das berichtet sie in der britischen The Times. Zwei ihrer Landsänner im Alter von 25 und 28 jahren sind demnach bei ihr in Behandlung. Die beiden Männer sind von betrunken Russen erst verprügelt und dann kastriert worden sein. Einer der Ukrainer wollte sich daraufhin das Leben nehmen.
"Ich habe nie zuvor so etwas Furchtbares gehört", wird Yatsenko bei Bild zitiert. "Ich sagte ihnen, dass ich ins Bad gehen müsste. Ich ging und weinte und weinte. Ich wollte nicht, dass sie das sehen und vielleicht denken, dass es keine Hoffnung mehr gibt."
Bereits letzten Juli wurde in vielen russischen Telegram-Kanälen ein Video gepostet, dass einen ukrainischen Soldaten. Geknebelt auf dem bauch liegend erlebt er eine ähnliche Tortur. Seine Hose ist auf der Rückseite über seinem Po aufgeschnitten. Ein russischer Soldat trägt blaue OP-Handschuhe, hat ein Cutter-Messer in seiner Hand und beugt sich damit über den Ukrainer. In einem zweiten Video sieht man denselben Soldaten. Er ist erschossen und hat seine Genitalien im Mund.
Wie die Patienten der Psychologin die Folter überlebt haben, wissen sie selber nicht. Einer der Männer sagte zu ihr:"Ich weiß nicht, wie ich immer noch lebe, da war so viel Blut, ich dachte, ich sterbe an Blutvergiftung."
"Und natürlich ist es nicht nur der körperliche Schaden" erklärt Yatsenko. "Stellen Sie sich vor, sie sind zwei junge Männer, die gerade in ihr sexuelles Leben starteten und in einer Sekunde ist alles vorbei. Sie fühlen immer noch etwas, sie sind voller Hormone, aber sie können nichts tun. Sie werden niemals sexuell aktiv sein. Das ist das Schlimmste, was einem jungen Mann passieren kann. Ihre Würde wurde so sehr beschädigt und das kann man nicht vergessen. Die Russen sagten ihnen ‚Wir machen das, damit ihr keine Kinder mehr haben könnt.‘ Für mich ist das Genozid.“
Das ihre Patienten die einzigen sind, die von den Russen kastriert wurden, glaubt die Ukrainierin nicht. "Sie sagten mir, dass die Russen die Kastration sehr geschickt durchführten, als ob sie wüssten, wie man es macht. Und ich habe von vielen Fällen von Kollegen gehört, die andere Patienten behandelt haben", so die Psychologin.
Aber auch ukrainische Frauen sind betroffen. andere Ärzte erzählen durch Verwaltigungen von Russen, die dann Fensterkitt in ihre Vaginas spritzten, damit die Frauen niemals Kinder haben können.
Einer von Yatenskos Patienten will trotzdem zurück an die Front. Er meint, er wird gebraucht und es sei für ihn auch leichter, an einem Platz zu sein, an dem es keine Frauen gibt.
19.06.2023, 7.30 Uhr: Deutscher Brigadegeneral äußert sich zu Gegenoffensive
Bei der Bewertung der ukrainischen Gegenoffensive ist nach Meinung des Leiters des Lagezentrums Ukraine im Verteidigungsministerium, Brigadegeneral Christian Freuding, Zurückhaltung angebracht. "Wir müssen ein bisschen vorsichtig sein, damit wir nicht anmaßend werden, dass wir von der Berliner Sommerterrasse aus die ukrainische Taktik beurteilen", sagte Freuding am Sonntagabend im ARD-"Bericht aus Berlin".
Die Ukrainer zahlten in diesem Krieg seit über 400 Tagen einen hohen Preis. "Und ich glaube, wir haben weder die Sicht drauf, noch auch das Recht drauf, das ukrainische Vorgehen der Truppenteile in der Art und Weise zu beurteilen, ob es gut, schlecht, zweckmäßig oder unzweckmäßig war." Nach Angaben Freudings geht die Ukraine sehr restriktiv mit Informationen zur Lage um. "Wir nennen das militärisch 'operational security'. Das ist natürlich auch nachvollziehbar, weil daraus sonst der Feind Schlüsse ziehen könnte."
Er wolle sich dem Urteil aber nicht anschließen, dass das Vorgehen der Ukraine nicht so gut laufe, sagte Freuding. Es gebe ein Wiedergewinnen der Initiative durch die ukrainischen Streitkräfte und erste Angriffserfolge. "Wir haben aber auch gesehen, dass die Verteidigungsstellungen der russischen Streitkräfte sehr stark vorbereitet wurden." Derzeit konsolidierten sich die ukrainischen Kräfte, um zu schauen, wo und womit sie Erfolg hatten.
12.06.2023, 10 Uhr: Selenskyj: Russland schießt auf Rettungsboote voller Zivilisten
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die Schüsse auf Rettungsboote mit Zivilisten im gefluteten Kriegsgebiet Cherson im Süden des Landes scharf verurteilt. "Sogar Tiere haben mehr Moral als Sie, russischer Staat", sagte Selenskyj in seiner am Sonntag in Kiew verbreiteten allabendlichen Videobotschaft. "Russische Terroristen beschießen weiter Evakuierungswege, Evakuierungspunkte, Boote, die die Menschen wegbringen."
Ein Boot mit 21 Menschen war laut ukrainischen Behörden am Sonntag (11. Juni) von Russen beschossen worden, während die Zivilisten sich aus dem von Moskau besetzten Teil des Gebiets Cherson in Sicherheit bringen wollten. Drei Menschen starben, zehn wurden verletzt.
Erst habe Russland den Staudamm gesprengt, dann die Menschen in dem Überschwemmungsgebiet ihrem Schicksal überlassen und nun werde noch auf sie geschossen, sagte Selenskyj. Er sagte, Vertreter des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag hätten sich in Cherson selbst ein Bild von der Lage gemacht. Das rechte Ufer des Dnipro-Flusses ist unter ukrainischer Kontrolle. Die Experten hätten mit der Untersuchung der Katastrophe begonnen.
"Dieses Untersuchung ist sehr wichtig für die Sicherheit der ganzen Welt", sagte Selenskyj. Eine Bestrafung Russlands sei Voraussetzung dafür, dass sich dieses Böse in der Welt nicht wiederhole. Selenskyj zufolge sind bisher etwa 4000 Menschen gerettet worden. Dutzende Städte und Dörfer seien noch überschwemmt, am schlimmsten sei die Lage weiter im russisch besetzten Teil des Gebiets Cherson auf der linken Dnipro-Uferseite. Die Evakuierung dauere an. Russland wiederum macht die Ukraine für die Zerstörung des Staudamms verantwortlich.
Selenskyj teilte in seiner Videobotschaft auch mit, dass er weitere 178 Menschen auf eine Sanktionsliste gesetzt habe, die "dem Bösen dienen, zu dem der russische Staat geworden ist". Es gehe um Verantwortliche, die Freiheiten zerstört hätten und eine Schlüsselrolle spielten bei den Repressionen in den besetzten Gebieten der Ukraine und in Russland selbst. Jeder "Komplize der russischen Diktatur" werde zur Verantwortung gezogen, versprach er.
(mem/mit dpa)
08.06.2023, 19.44 Uhr: Deutsches Rotes Kreuz wehrt sich gegen Vorwürfe der Ukraine
Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms und des Ablaufens riesiger Wassermengen, gab es massive Kritik vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Deutschen Roten Kreuz (DRK). Die Organisationmache, so schreibt es die Deutsche Presse-Agentur, zu wenig für die Menschen in den Überschwemmungsgebieten in der Ukraine. Jetzt hat such das DRK gegen die Vorwürfe gewehrt.
Dazu heißt es im Bericht, dass DRK-Generalsekretär Christian Reuter am Donnerstag gegenüber dem Sender Welt-TV erklärt habe: "Natürlich sind wir schon da, waren schon da. Aktuell versuchen gerade über 70 Freiwillige des ukrainischen Roten Kreuzes, Menschen aus den Flutmassen zu retten."
Demnach sind mehrere Hundert Kräfte des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) in der Ukraine im Einsatz: "Also dass wir nichts machen, ist sicherlich definitiv nicht der Fall." Das IKRK arbeite, heißt es laut Reuter bei der dpa, an der Konfliktlinie in der Ukraine.
Selenskyj war mit seiner Kritik am Mittwochabend sehr deutlich. Er sagte, dass die UN und das Rote Kreuz seinem Land in der Damm-Katastrophe bisher nicht helfen würden. Sie müssten "als erste da sein, um Menschenleben zu retten", sagte er. Aber: "Sie sind nicht da!"
08.06.2023, 11.30 Uhr: Auffüllen von Kühlwasserreserven für AKW Saporischschja unter Zeitdruck
Am ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja wird mit Hochdruck am Auffüllen der Kühlwasserreserven gearbeitet. Das sei nötig, falls infolge der Zerstörung des Kachowka-Staudamms und des Ablaufens riesiger Wassermengen bald kein Wasser mehr aus dem dahinter liegenden Reservoir gepumpt werden könne, teilte der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, am Mittwochabend mit. Das von Russland besetzte Kraftwerk liegt am nördlichen Ende des Stausees.
Das Absenken des Pegelstands hatte sich nach seinen Angaben am Mittwoch leicht verlangsamt. Wenn der Pegel unter 12,7 Meter sinke, könne kein Wasser mehr auf das Gelände des Kraftwerks gepumpt werden. Grossi schloss nicht aus, das der Pegel innerhalb von wenigen Tagen unter diese Marke sinken könnte. Deshalb werde, so lange es noch möglich sei, kontinuierlich Wasser aus dem Stausee in Auffangbecken auf den Gelände gepumpt. Wenn diese Becken voll seien, reiche das Wasser zur Kühlung der sechs Reaktoren für mehrere Monate. Zwar seien die Reaktoren abgeschaltet, aber sie brauchten trotzdem Kühlwasser.
Grossi will nach eigenen Angaben kommende Woche selbst nach Saporischschja reisen, um sich ein Bild von der dortigen Lage zu machen. Die IAEA wolle ihr Team in Saporischschja verstärken. Die Zerstörung eines Staudamms in der Süd-Ukraine stellt nach Einschätzung des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) für das nordöstlich davon gelegene Atomkraftwerk Saporischschja dennoch"keine unmittelbare Gefahr" dar. Das teilte eine Sprecherin des BfS am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur mit.
Wenige Tage nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Südukraine ist Präsident Wolodymyr Selenskyj in die Hochwasserregion gereist. Im Gebiet Cherson habe er sich unter anderem ein Bild von den laufenden Evakuierungen gemacht, teilte Selenskyj am Donnerstag über seinen offiziellen Telegram-Kanal mit. Er veröffentlichte auch ein Video, das ihn mit Anwohnern, Rettern und Soldaten zeigt. Zu sehen sind außerdem Häuser, von denen nur noch die Spitze des Dachs aus meterhohen Wassermassen ragt.
07.06.2023, 6.45 Uhr: Moskau wirft Kiew nach Dammbruch Terroranschlag gegen Zivilisten vor
Kurz vor der Sitzung des UN-Sicherheitsrats hat das russische Außenministerium die Ukraine beschuldigt, den Kachowka-Staudamm zerstört zu haben. "Der Vorfall ist ein Terroranschlag, der sich gegen zutiefst zivile Infrastruktur richtet", heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Mitteilung der Behörde. Russland habe die Sitzung des UN-Sicherheitsrats initiiert, um die von Kiew ausgelöste große "humanitäre und ökologische Katastrophe" zu verurteilen. Die Ukraine ihrerseits wirft Russland die Sprengung des Staudamms vor.
UN-Sicherheitsrat beruft dringendes Treffen zum Ukraine-Krieg ein
Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine sollte noch am Dienstag den UN-Sicherheitsrat in New York beschäftigen. Eine Dringlichkeitssitzung sei für 16 Uhr (22 Uhr MESZ) anberaumt worden, teilten Diplomatenkreise der Deutschen Presse-Agentur mit.
Laut dem Außenministerium in Moskau handelt es sich um eine geplante und gezielte Aktion des ukrainischen Militärs im Rahmen der eigenen Gegenoffensive. Kiew habe den Staudamm nicht nur beschossen, sondern den Wasserstand durch die vorherige Öffnung einer Schleuse am Oberlauf des Dnipro auf ein kritisches Niveau angehoben. Durch den Dammbruch würden die Landwirtschaft und das Ökosystem der Region Cherson geschädigt und die Wasserversorgung der Krim beeinträchtigt, so der Vorwurf aus Moskau.
Die 2014 von Russland annektierte Krim erhält Wasser aus dem Dnipro über einen Kanal. Wurde dieser nach 2014 zwischenzeitlich trockengelegt, so hat Russland nach der Besetzung des Kachowka-Staudamms auch den Kanal Richtung Krim für die Bewässerung der Halbinsel wieder geöffnet.
Moskaus UN-Botschafter: Humanitäre Hilfe muss über Russland kommen
Die russische Führung will zudem UN-Hilfskräfte nur dann auf das von Moskau kontrollierte Gebiet lassen, wenn sie über Russland dorthin reisen. "Sie weigern sich einfach, von der Russischen Föderation aus zu gehen", sagte der russische UN-Botschafter Nebensja vor der Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates. Zugang sei den Hilfskräften "erlaubt, sofern sie aus dem richtigen Gebiet einreisen." Nebensja ließ zudem durchblicken, dass er eine unabhängige Untersuchung zu den Hintergründen der Zerstörung befürworten würde.
06.06.2023, 15 Uhr: Entsetzen nach Staudamm-Sprengung - ukrainische Gegenoffensive in heißer Phase
Nach der mutmaßlichen Sprengung des Nowa Kachowka-Staudamms oberhalb der ukrainischen Großstadt Cherson zeigen sich internationale Beobachter entsetzt. Polen hat die Zerstörung eines wichtigen Staudamms in der Südukraine als "beispiellosen Akt russischer Barbarei" bezeichnet und neue Sanktionen gegen Moskau gefordert. Die Sprengung des Staudamms verstoße gegen Normen des Menschenrechts sowie des Umweltschutzes und trage die "Merkmale eines Kriegsverbrechens", heißt ist in einer am Dienstag vom Außenministerium in Warschau veröffentlichten Erklärung. Polen werde sich dafür einsetzen, dass Russland zur Verantwortung gezogen werde.
Auch die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Bundestags, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, hat die Zerstörung des Staudamms in der Südukraine scharf verurteilt. "Dieser Angriff Russlands auf den Kachowka-Stausee ist ein weiteres unvorstellbar grauenhaftes Kriegsverbrechen. Es zeigt einmal mehr, zu welch brutalem Vorgehen Putin bereit ist", teilte die FDP-Politikerin mit, die am Dienstag in New York war. "Es beweist auch: Dieses Regime will niemals verhandeln. Mit Putins Russland wird es keinen Frieden geben."
Die Ukraine selbst hat Russland vor dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen wegen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Staatsterrorismus vorgeworfen. Der ukrainische Sonderbotschafter Anton Korynevych sprach am Dienstag vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag von einem gezielten Angriff auf die Zivilbevölkerung und die Umwelt.
Dabei weist Russland selbst jegliche VErantwortung für die Zerstörung des Damms von sich und macht die Ukraine verantwortlich. Eine Einschätzung, die westliche Experten nicht teilen. "Alles spricht dafür, dass die Russen den Damm gesprengt haben", sagte der Militärexperte Carlo Masala am Dienstag dem Nachrichtenportal t-online. Moskau verfolge damit zwei Ziele: Chaos zu stiften und eine Gegenoffensive der Ukraine zu behindern. Masala sagte, Russland gehe es darum, eine bereits begonnene ukrainische Gegenoffensive zu verlangsamen.
Eine Flussüberquerung sei die schwierigste Operation überhaupt für Streitkräfte, so der Professor der Bundeswehr-Universität München. Mit steigendem Wasser und der Überflutung beider Flussufer würden ukrainische Offensivoperationen an jener Stelle faktisch unmöglich. Trotzdem werde Russland eine Gegenoffensive nicht ganz aufhalten können.
Auch der Militärexperte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sieht Russland hinter der Sprengung. "Die Russen wollen die ukrainische Gegenoffensive durcheinanderbringen, die an einigen Stellen zu wirken beginnt", sagte Mölling den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. "Wenn es die Ukrainer gewesen wären, würde das zudem die Unterstützung durch den Westen gefährden. Das wäre kontraproduktiv."
Für die ukrainische Offensive sei die Sprengung des Staudamms ein "Stolperstein". Durch die Überflutung müssten nun weniger russische Soldaten auf der Ostseite des Dnipro-Flusses präsent sein. Dadurch könne Russland Kräfte an andere Frontabschnitte im Osten verteilen. Es sei aber unwahrscheinlich, dass ein Vorstoß über den Dnipro im Zentrum von Kiews Gegenoffensive stehe.
Klar zeichnet sich derweil ab, dass die ukrainische Gegenoffensive in die heiße Phase geht. An mehreren Frontabschnitten scheinen ukrainische Kampfeinheiten mit neuem westlichen Material, unter anderem Kampfpanzern, an Offensiven beteiligt zu sein. Ein zentraler Angriffsschwerpunkt zeichnet sich hingegen noch nicht ab. Die ukrainische Offensive steht in einem historischen aufgeladenen Kontext: Vor genau 79 Jahren, am 6. Juni 1944, startete mit dem "D-Day" der Angriff der Alllierten in der Normandie.
06.06.2023, 10 Uhr: Explosion an ukrainischem Staudamm - Wasserkraftwerk zerstört
Nach einer schweren Explosion an einem wichtigen Staudamm im Süden der Ukraine ist das angrenzende Wasserkraftwerk nach Angaben beider Kriegsparteien zerstört. Der Staudamm Nowa Kachowka im russisch besetzten Teil des Landes nahe der Front wurde schwer beschädigt. Der von Russland eingesetzte Bürgermeister Wladimir Leontjew sagte am Dienstag im russischen Staatsfernsehen, es sei "offensichtlich", dass das Kraftwerk nicht mehr repariert werden könne. Der ukrainische Betreiber der Anlage sprach von kompletter Zerstörung.
Heftige Überschwemmungen in der Region Cherson befürchtet
Befürchtet wird, dass der Bruch des Staudamms in der umkämpften Region Cherson zu massiven Überschwemmungen führt. Nach Angaben der örtlichen Behörden sind etwa 16.000 Menschen in der "kritischen Zone" zuhause. Der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal sprach von einer Überschwemmungsgefahr für bis zu 80 Ortschaften. Die Zerstörung werde zu einer Umweltkatastrophe führen. Der Militärgouverneur des Gebiets, Olexander Prokudin, warnte, binnen fünf Stunden könne der Wasserstand eine kritische Höhe erreichen.
Vermutet wird, dass der Damm gesprengt wurde. Kiew und Moskau machten sich gegenseitig dafür verantwortlich. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von "Terror" und berief den nationalen Sicherheitsrat ein. Das ukrainische Militär begann auf der linken Seite des Flusses Dnipro - wo auch die von den Ukrainern befreite Gebietshauptstadt Cherson liegt - mit Evakuierungen. Die russischen Besatzer hingegen machten ukrainischen Beschuss für die Schäden verantwortlich. Spekuliert wurde auch, dass der Damm aufgrund schlechter Wartung gebrochen sein könnte. Die Angaben beider Seiten konnten zunächst nicht unabhängig überprüft werden.
Bürgermeister Leontjew räumte ein, dass es auch zu Problemen bei der Wasserversorgung auf der bereits 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim kommen könnte, die südlich von Cherson liegt. Diese wird mit Wasser aus dem Kachowka-Stausee beliefert. In ukrainischen Medien und in sozialen Netzwerken wurden Videos geteilt, die dem Anschein nach bereits gestiegene Wasserstände um die Stadt Cherson zeigten. Auf Aufnahmen ist auch zu sehen, wie offenbar große Wassermengen aus der Mauer des Staudamms strömen. Die Echtheit der Videos konnte zunächst nicht unabhängig überprüft werden.
Nach der Zerstörung des Staudamms besteht laut Internationaler Atomenergiebehörde (IAEA) aber keine unmittelbare Gefahr für das nordöstlich gelegene Atomkraftwerk Saporischschja. "IAEA-Experten am Atomkraftwerk Saporischschja beobachten die Situation genau", teilte die Behörde am Dienstagmorgen auf Twitter mit. "Keine unmittelbare Gefahr am Kraftwerk." Auch ein Sprecher des russischen Atomkonzerns Rosenergoatom sagte der Agentur Interfax, das AKW - das ebenso wie der Kachowka-Staudamm am Fluss Dnipro liegt - sei nicht betroffen. Die Atom-Anlage ist infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine von russischen Truppen besetzt.
06.06.2023, 6.50 Uhr: Russische Flotte informierte Nato nicht über Ostsee-Manöver
Die russische Flotte hat die Nato nicht über ihr Manöver mit 40 Schiffen und 25 Kampfflugzeugen in der Ostsee in Kenntnis gesetzt. "Wir sind über das Manöver von russischer Seite nicht informiert worden", sagte der Kommandeur der Marine-Kräfte der schnellen Nato-Eingreiftruppe, Flottillenadmiral Thorsten Marx, der Deutschen Presse-Agentur auf der Fregatte "Mecklenburg Vorpommern".
Er betonte aber, dass die Nato trotzdem nicht davon überrascht worden sei. "Wir haben natürlich eine sehr klare Vorstellung, aus welchen Handlungen sich möglicherweise Manöver-Tätigkeiten ableiten." Die Beobachtungen der vergangenen Wochen und Monaten hätten darauf hingedeutet, dass das Manöver stattfindet.
Die russische Ostseeflotte hatte zuvor mitgeteilt, dass eine Übung mit 3500 Soldaten gestartet worden sei. Es findet gleichzeitig mit dem jährlichen von den USA geleiteten Marinemanöver Baltops statt, an dem 50 Schiffe und Boote aus 19 Nato-Staaten und Schweden teilnehmen - auch die "Mecklenburg-Vorpommern", die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Montag besuchte.
Provokationen oder Zwischenfälle mit der russischen Flotte erwartet Marx aktuell nicht. "Die Ostsee ist groß genug. Wir treten non-konfrontativ und sehr transparent auf. Wir halten uns an internationale Regeln und Normen. Und das erwarten wir von der russischen Seite in der gleichen Art und Weise", sagte der Admiral. "Zurzeit sehen wir auf russischer Seite ein sichtbares Bemühen, keinen Raum für Missverständnisse entstehen zu lassen. Das heißt aber nicht, dass es morgen auch noch so sein muss. Deswegen ist dieser Verband jederzeit einsatzbereit und auch abwehrbereit."
05.06.2023, 16.30 Uhr: Vorwürfe von Wagner-Chef - widersprüchliche Aussagen zur Gegenoffensive
Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat erneut schwere Vorwürfe gegen die reguläre russische Armee erhoben. Soldaten hätten Mitte Mai eine Straße vermint, auf der seine Kämpfer aus der mittlerweile eroberten ostukrainischen Stadt Bachmut hätten herausfahren wollen, teilte Prigoschin am Sonntagabend auf Telegram mit. Er veröffentlichte auch ein Dokument, das ein Einsatzprotokoll von Mitte Mai darstellen soll und in dem zudem von Schusswechseln zwischen Wagner-Söldnern und Soldaten die Rede ist. Überprüft werden konnten diese Anschuldigungen nicht. Das Verteidigungsministerium in Moskau äußerte sich nicht.
Prigoschin hatte ähnliche Vorwürfe bereits vor wenigen Tagen erhoben. Das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) wertet sie als möglichen Versuch des 62-Jährigen, durch den Streit mit dem Verteidigungsministerium von kürzlich aufgekommenen Spannungen zwischen seiner Truppe und Kämpfern von Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow abzulenken.
Doch nicht nur an dieser Stelle gibt es widersprüchliche Aussagen: Russland hat im Angriffskrieg in der Ukraine nach eigenen Angaben eine große Gegenoffensive Kiews abgewehrt und dabei sehr viele feindliche Kämpfer getötet. Mehr als 900 Ukrainer seien an allen Frontabschnitten binnen 24 Stunden gefallen, teilte Armeesprecher Igor Konaschenkow am Montag in Moskau mit. Allerdings wecken Berichte von russischen Offizieren an der Front Zweifel an diesen Zahlen. Kiew bestätigte die Verluste zunächst nicht und sprach von einer Desinformationskampagne, um die Ukrainer zu demoralisieren. Unabhängig lassen sich derartige Angaben zumeist nicht überprüfen.
Moskau meldet mehr als 900 Tote auf ukrainischer Seite
"Der Feind hat seine gesteckten Ziele nicht erreicht", sagte Sprecher Konaschenkow. Allein an zwei Orten an der Front habe das ukrainische Militär 300 Soldaten verloren, behauptete er und sprach von insgesamt mehr als 900 toten Ukrainern. Kiew kündigt seit Monaten eine Gegenoffensive an, um die von Russen besetzten Gebiete im Osten des Landes zu befreien. Diese Aktion - mehr als 15 Monate nach dem russischen Angriff auf das Nachbarland - habe am Sonntagmorgen begonnen, sei aber erfolglos geblieben, behauptete Moskau.
Berichte von russischen Frontoffizieren nähren aber den Verdacht, dass Moskau mit seinen Angaben nicht die Realität darstellt. Feldkommandeur Alexander Chodakowski schrieb von einer "schweren Lage" zwischen den Ortschaften Nowodonezke und Welyka Nowosilka. Die Ukraine versuche, die Schwachpunkte der Verteidigung zu erfassen. "Erstmals haben wir in unserem taktischen Raum Leoparden gesehen", schrieb er auf Telegram. Die aus Deutschland stammenden Kampfpanzer Leopard sind Teil der westlichen Waffenlieferungen an Kiew. Am Morgen hatte Chodakowski, ein Kommandeur der prorussischen Separatisten, mitgeilt, die Aktionen der Ukrainer werden "von Erfolg begleitet". Russland hatte das Nachbarland am 24. Februar 2022 überfallen und hält aktuell rund 20 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets besetzt.
05.06.2023, 6.30 Uhr: Geheimbericht über Moskaus Militärprobleme veröffentlicht
Russlands Militär hat Recherchen von Investigativjournalisten zufolge versehentlich einen Text über Probleme bei der Mobilmachung für den Krieg gegen die Ukraine veröffentlicht - und kurz darauf wieder gelöscht. Das bekannte russische Portal The Insider veröffentlichte den Link zu einem Eintrag im Web-Archiv, wo der Text noch einsehbar ist.
In dem Dokument, das demnach kurzzeitig in einer Online-Zeitschrift des russischen Verteidigungsministeriums abzurufen war, benannte der russische Mobilisierungsbeauftragte Jewgeni Burdinski mit Blick auf die Rekrutierungswelle im vergangenen Herbst zwei Hauptprobleme: "die fehlende Bereitschaft eines Teils der Gesellschaft zur Erfüllung der militärischen Pflichten" sowie "die Bereitstellung von militärischer Ausrüstung und die Unterbringung des Personals".
Auch die Bild berichtete über das Dokument, in dem Burdinski an anderer Stelle den "Druck durch Internet-Blogger" verantwortlich macht für die Weigerung vieler Russen, in den Krieg zu ziehen. Geplant seien deshalb noch in diesem Jahr Razzien bei Wehrpflichtigen, hieß es. Moskau äußerte sich nicht zu der vermeintlichen Veröffentlichungspanne.
Kremlchef Wladimir Putin hatte im vergangenen September die Mobilmachung von rund 300.000 Reservisten angeordnet und damit eine regelrechte Panik in Russland ausgelöst. Hunderttausende Russen flohen damals ins Ausland. Entgegen anderslautender Aussagen aus dem Kreml befürchten viele Menschen aktuell, dass eine weitere Einberufungswelle geplant sein könnte.
03.06.2023, 8 Uhr: Drei Menschen sterben vor verschlossenem Schutzbunker - Selenskyj stichelt gegen Klitschko
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat angesichts der andauernden nächtlichen russischen Raketen- und Drohnenangriffe erneut Probleme mit den Schutzbunkern in der Hauptstadt Kiew beklagt. Bürger beschwerten sich über den Mangel, über verschlossene Bunker und versiegelte Zugänge zu ihnen, kritisierte Selenskyj in seiner am Freitag veröffentlichten abendlichen Videobotschaft. In einigen Stadtteilen fehlten die Notunterkünfte ganz.
"Dieses Ausmaß an Nachlässigkeit in der Stadt kann nicht durch irgendwelche Rechtfertigungen gedeckt werden", sagte Selenskyj. Er wies die Regierung an, sich um eine Besserung der Lage zu kümmern. Nach allem, was am Donnerstag passiert sei in Kiew, sei dieser Zustand untragbar.
Menschen in der Hauptstadt hatten in der Nacht bei Luftalarm vor einem verschlossenen Schutzbunker gestanden, es gab drei Tote nach neuen russischen Angriffen, darunter ein neun Jahr altes Kind. Selenskyj hatte da bereits gefordert, dass eine ausreichende Zahl an Bunkern überall zugänglich sein müsse. Es sei die Pflicht der Kommunen, dafür zu sorgen, dass die Schutzräume rund um die Uhr geöffnet seien. In Kiew hatte Bürgermeister Vitali Klitschko die Öffnung sowie Kontrollen nach der Panne am Donnerstag angeordnet. Laut Selenskyj gab es aber neue Probleme.
Indes berichteten Medien in Kiew am Freitag, dass gegen vier Verantwortliche wegen des verschlossenen Zugangs zu einem Bunker einer medizinischen Einrichtung Strafverfahren eingeleitet worden seien. Die Staatsanwaltschaft von Kiew teilte mit, dass gemeinsam mit der Polizei der Zustand der Bombenschutzbunker überprüft werde. Geprüft werde auch, ob womöglich im Zuge des Krieges bereitgestellte Gelder zur Reparatur der Schutzräume veruntreut worden seien.
Einige vermuten hinter Selenskyjs Kommentaren zu den Schutzbunkern in Kiew eine Spitze gegen Bürgermeister Vitali Klitschko. Als Selenskyj von Journalisten zu den Konsequenzen des Bunker-Problems befragt wurde, sagte er laut Bild: "Ich würde sagen, es könnte einen Knockout geben." Mutmaßlich eine Anspielung auf den Ex-Boxweltmeister Klitschko. Dieser wies die Verantwortung jedoch von sich. Der Leiter der Militärverwaltung von Kiew sei vom Präsidialamt ernannt worden. "Ich habe heute gegenüber den Bezirksleitern betont, dass ich Sabotage nicht dulden werde. Die Bezirke der Hauptstadt sind keine separaten Fürstentümer, in denen Sie weiße Handschuhe tragen und Ihre Pflichten vernachlässigen können. Sie sind Vertreter der Behörden der Hauptstadt", so Klitschko. Es wird immer wieder spekuliert, dass der Bürgermeister in der nächsten Präsidentschaftswahl gegen Selenskyj antreten könnte.
01.06.2023, 15 Uhr: Immer mehr Russen wollen ihr Geschlecht ändern - jetzt soll ein Verbot folgen
Bereits Ende des Jahres 2022 gab es Meldungen darüber, dass die russische Staatsduma einer Verschärfung des Gesetzes gegen "LGBTQ-Propaganda" zugestimmt hat. Jetzt folgt eine weitere harte Einschränkung. Wie unter anderem der Merkur berichtet hat, soll es eine Forderung nach einem Gesetzentwurf geben, der chirurgische Eingriffe zur Änderung des Geschlechts verbietet.
Staatsduma: | Gewähltes Unterhaus der Föderationsversammlung Russlands |
Gründung: | 12. Dezember 1993, Russland |
Gründer: | Boris Jelcin |
Letzte Wahl: | 17.–19. September 2021 |
Nächste Wahl: | 2026 |
Erstmals eingebracht wurden diese Pläne demnach am Dienstag (30. Mai). Die Zeitung beruft sich auf die Mitteilung des Mitverfassers des Entwurfs, Pjotr Tolstoi, auf seinem Telegramm-Kanal. Eine Ausnahme soll es wohl nur für Operationen zur Behandlung von angeborenen Anomalien bei Kindern geben.
In dem Bericht heißt es weiter, dass laut der lettische Nachrichtenagentur Meduza bei dem ganzen Thema um die Vermeidung von "Mobilisierungshindernissen" für die Russlands Armee gehe.
Anonyme Quelle bestätigt Zusammenhang
Gegenüber der russischen Zeitung Kommersant sollen laut Merkur-Bericht russische Staatsbeamte angedeutet haben, "dass solche Operationen die Verteidigungsfähigkeit des Landes inmitten des Ukraine-Krieges beeinträchtigen".
In der Tat findet sich auf dem Portal kommersant.ru bereits am 3. Mai dazu ein Eintrag, in dem es von einer anonymen Quelle dazu heißt, dass die Aufmerksamkeit der Gesetzgeber durch die zunehmenden Fälle erregt wurde, in denen junge Menschen Zertifikate verwendet hättet, um der Einberufung zum Militär zu entgehen.
Tatsächlich soll, so berichtet der unabhängige Nachrichtendienst Mediazona unter Berufung auf Daten des russischen Innenministeriums, die Zahl der Russen, die nach einer chirurgischen Geschlechtsumwandlung einen neuen Pass erhielten, im Jahr 2022 tatsächlich massiv gestiegen sei.
Massiver Anstieg von Geschlechtsänderungen in Russland nach Kriegsbeginn
Dem Merkur zufolge sollen es demnach im Jahr 2020 ganze 428 neue Pässe im Zusammenhang mit einer Änderung der Geschlechtszugehörigkeit gewesen sein. 554 im Jahr 2021 und 936 im Jahr 2022. Einen bemerkenswerten Anstieg habe es dabei, so der Beitrag, ab März 2022 gegeben - kurz nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine.
Das US-amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek hat laut eigener Angaben das russische Außenministerium per E-Mail dazu bereits um einen Kommentar gebeten. Bereits gegenüber der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass erklärte der russische Justizminister Konstantin Tschuitschenko dem Magazin zufolge, dass "das Ministerium beabsichtige, die Änderung der Geschlechtsmarkierung in Ausweisdokumenten für Personen zu verbieten, die sich keiner „Geschlechtsumwandlungsoperation“ unterzogen hätten".
Weiter heißt es, dass auch der Vorsitzende des russischen Untersuchungsausschusses, Alexander Bastrykin, vermute, dass einige Menschen ihr Geschlecht „auf dem Papier“ ändern, um nicht in der Ukraine kämpfen zu müssen. Die Newsweek zitiert den Vorsitzenden dazu mit: "Eine Geschlechtsumwandlung auf dem Papier ist eine Täuschung, ein Betrug. Wenn es sich um Betrug handelt, dann verstößt dieser Betrug gegen die Interessen des Staates, gegen unsere Verteidigungsfähigkeit."
Das Gesetz gegen Geschlechtsänderungen in Russland und seine Folgen
Mit Inkrafttreten eines solchen Gesetzes würde die bereits massiv vorhandene Unterdrückung der LGBTQIA-Community in Russland weiter voranschreiten. Ihre Rechte werden damit noch weiter eingeschränkt. Geschlechtsänderungen oder eben Geschlechtsangleichungen wären dann strafbar und würden entsprechend geahndet werden.