Russische Drohnen über Polen, Kampfjets in Estland - während die NATO im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen angesichts der jüngsten Entwicklungen über Maßnahmen gegen Putin nachdenken, befindet sich für viele der wahre Feind in den eigenen Reihen. Um diesen Eindruck kam man zumindest am Montag in der Talkshow "hart aber fair" nicht herum. "Sie Boomer entscheiden darüber, was 18- bis 24-Jährige tun sollen", echauffierte sich da Ines Schwerdtner, Parteivorsitzende der Linken.
Es ging um den Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Wehrdiensts, der ab Januar 2026 einen freiwilligen Wehrdienst für alle Männer und Frauen ab ihrem 18. Geburtstag vorsieht. "Die Älteren wollen das, aber zwei Drittel der Menschen zwischen 18 und 24 Jahren wollen die Wehrpflicht nicht", wetterte Schwerdtner. Ihre Partei sei angetreten, der jungen Bevölkerung eine Stimme im Parlament zu geben und sie im Fall einer Verweigerung zu unterstützen. Denn der aktuelle Entwurf sei eine "Wehrpflichteinführung durch die Hintertür", befürchtet sie angesichts des horrenden Bedarfs.
Die Zahlen seien falsch. Es würden nicht 80.000 neue Rekruten, sondern maximal 20.000 benötigt, korrigierte sie Carlo Masala von der Universität der Bundeswehr in München. Ihm hatte Moderator Louis Klamroth mit dem flapsigen Kommentar "Ein Satz, dann haben Boomer erst mal genug geredet und ich rede mit den beiden Jungen" das Wort übergeben.
Louis Klamroth kleinlaut: "Da entschuldige ich mich direkt"
Zwar bezweifelte auch Masala, dass diese Zahlen durch Freiwilligkeit erreicht werden. Eine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht wie in den 70er-Jahren werde es aber "nie im Leben geben". Vielmehr komme das schwedische Modell infrage. Bei diesem werde das notwendige Kontingent zuerst mit Freiwilligen gefüllt und dann die "nächsten auf der Liste zwangsweise eingezogen". Ausnahmen von der Wehrpflicht wie etwa aus religiösen Gründen sehe das Grundgesetz aber auch in diesem Fall weiterhin vor.
Noch mehr als die aus seiner Sicht falschen Aussagen und Zahlen wurmten den Militärexperten jedoch etwas anderes: "Andere mit Boomer deklassifizieren, kann man machen, ist aber relativ uncool und unprofessionell", grollte Masala. Moderator Louis Klamroth bezog es direkt auf sich: "Da entschuldige ich mich direkt. Ich habe die ganze Runde als Boomer bezeichnet", meinte er. "Wenn das auch Boomer sind, dann ist das in Ordnung", konnte er damit Masala für den Moment befrieden.
Vom Tisch war der Generationenkampf damit nämlich noch längst nicht.
Journalistin zu freiwilliger Wehrpflicht: "Das ist Wahnwitz, das sind Kinder!"
Ab ihrem 18. Geburtstag sollen Männer und Frauen einen Fragebogen erhalten, so heißt es im aktuellen Gesetzesentwurf. Dieser soll für Männer verpflichtend sein. "Was wird abgefragt: Habt ihr Bock auf Bundeswehr?", wollte Klamroth von Norbert Röttgen (stellv. Fraktionsvorsitzender CDU) wissen. "Auch das wird abgefragt", meinte der schmunzelnd. Zudem diene der Fragebogen dazu, die Person kennenzulernen.
"Das ist nicht in Ordnung", empörte sich die Journalistin und Autorin Özge İnan. Im schwedischen Vorbild würden auch Aspekte abgefragt, die den Staat nichts angingen. Ob die Befragten schnell wütend werden, wie sie ihre Muskelkraft und Kondition einschätzen sowie Gesundheitsdaten: "Ab 2008 geborene Jungs und Mädels! Man muss sich das klarmachen, wie jung die Menschen sind", lehnte sie das Vorgehen ab: "Das ist Wahnwitz, das sind Kinder!"
"Über den Fragebogen können Sie sich nicht aufregen, den gibt es nicht", wimmelte Röttgen diese Vorwürfe ab. Auch keinen Entwurf, und ja noch nicht einmal das Gesetz. Der Entwurf dazu liege derzeit im Parlament. Zwar sehe dieser ab 1. Juli 2027 auch eine verpflichtende Musterung für Männer vor, gab er zu. Seiner Ansicht nach seien Fragebogen und Musterung aber "strikt zu trennen".
Generell gehe er nicht davon aus, dass es eine allgemeine Wehrpflicht für den Jahrgang brauche. Es gehe vielmehr darum, einen freiwilligen Beitrag zu leisten, "damit Freiheit und Recht und Würde und Frieden in unserem Land gewahrt werden, das ist die moralische Dimension", redete sich Röttgen nun in Rage. Das müsse man den wehrpflichtigen Menschen auch sagen: "Prinzipiell braucht euch das Land - aber nicht die ganze Generation, sondern nur einen Teil."
Junge fordern "verpflichtendes Gesellschaftsjahr"
"Der Wehrdienst, wie er jetzt diskutiert wird, ist zu eindimensional", konnte die Jura-Studentin Annabelle Günther der Diskussion wenig abgewinnen. Die Reservistin und die 17-jährige Helena Clear, die nach ihrem Abitur gerade ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Grundschule macht, hatte Klamroth eingeladen, um nicht nur über, sondern auch mit den betroffenen jungen Menschen zu reden.
So unterschiedlich die beiden Frauen in ihren Ansichten waren, hatten sie zwei Dinge gemeinsam: Neben der Gleichbehandlung beider Geschlechter sprachen sie sich für ein gleichberechtigtes "verpflichtendes Gesellschaftsjahr" aus. Ob das bei der Bundeswehr oder im Zivilbereich stattfinde, solle jeder und jede selbst entscheiden.
"Genau das ist das Grundsatzprogramm der CDU", freute sich Norbert Röttgen. Allerdings brauche man für eine entsprechende Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit - und dafür sei die Linke nicht zu haben. "Wir sind gegen jeden Pflichtdienst", bestätigte Schwerdtner und kritisierte, dass etwa jene, die sich ihr Studium nicht leisten können, die Bundeswehr als Alternative wählen würden.
Dass man gezielt diejenigen anspreche, die keine anderen Möglichkeiten hätten, wies Nicole Schilling (Stellvertreterin des Generalinspekteurs der Bundeswehr) bei "Hart aber fair" von sich. Zudem würde man die jungen Leute nicht an die Front schicken. Vielmehr sei der neue Wehrdienst auf Bewachungsaufgaben oder die Sicherung von Hafenanlagen in Deutschland gedacht. Generell hätte man in den letzten zwei Jahren neben den Bewerbungs- und Auswahlverfahren auch die Personalbindung verbessert. Letzteres "entwickelt sich in die richtige Richtung", zeigte sich die Generaloberstabsarzt optimistisch.
Zum Schluss klingt ein Satz nach, den Klamroth schon zu Beginn der Sendung gesagt hatte: "Sie hören sich an wie meine Lehrer bei der Zeugnisvergabe: Er hat viel geschafft, es muss aber viel passieren, dass er versetzt ist." "Am Ende ist aus Ihnen etwas geworden", meinte Schilling - es ist hoffentlich eine gute Prognose für die deutsche Bundeswehr.