"Entweder heute Geld oder morgen Blut", so dramatisch hatte Polens Regierungschef Donald Tusk für die Nutzung des in Europa eingefrorenen russischen Vermögens geworben. Und auch Bundeskanzler Friedrich Merz hatte sich einen Tag vor dem EU-Gipfel in Brüssel erneut dafür starkgemacht. Zwar haben sich die Staats- und Regierungschefs in der Nacht auf eine Kredit-basierte Finanzierung der Ukraine geeinigt. Aber "am Ende wird es so kommen", stand für CDU-Außenpolitiker Armin Laschet bei "Maybrit Illner" schon vorab fest.

Es sei nicht entscheidend, welcher Weg gewählt werde, lenkte Lascheit ein: "Wenn wir heute Nacht sagen: Die Ukraine ist für die nächsten zwei Jahre finanziert, wird das am Ende Putin beeindrucken", prophezeite er. Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen seiner Ansicht nach das Risiko eingehen, denn dass der russische Präsident reagieren und diese Entscheidung Konsequenzen haben werde, wollte er nicht verschleiern.

Precht unterstellt Kanzler Merz Wunschdenken

"Ich würde mir in dieser Situation lieber Armin Laschet als Kanzler wünschen", punktete dessen Realismus beim Schriftsteller und Philosophen Richard David Precht. "Das geht zu weit!", lachte Moderatorin Illner auf, die die illustre Runde zum Thema "Land verlieren, Partner behalten - welche Wahl hat die Ukraine noch?" eingeladen hatte. "Doch", rechtfertigte sich der Schriftsteller. Merz sei in der Ukraine-Frage "der Mensch, der langsamer lernt als sein Schatten". Dass der Krieg beendet werde, indem man die Ukraine noch einige Jahre länger finanziert, sei "wishful thinking". Dabei müsse längst begriffen worden sein: "Putin unter Druck setzen ist wie Al Capone einen Drohbrief schreiben - es führt zu einer Trotzreaktion."

Überhaupt komme die Entscheidung, das russischen Vermögen zu nutzen, dem deutschen Steuerzahler teuer: "Es gibt über 100 Milliarden Vermögenswerte der deutschen Wirtschaft, die in Russland geparkt sind, die sind am nächsten Tag nach dieser Entscheidung futsch", unkte er, zudem stünden "Reparationszahlungen in der Höhe von 200 Milliarden Euro an, die keiner hat. Wir ruinieren unsere Volkswirtschaft mit dieser Entscheidung."

"Mit 200 Milliarden zum Glück noch nicht", ging auch dieses Weltverständnis für die Moderatorin etwas zu weit. "Wir haben schon eine Billion Verschuldung gemacht. 200 Milliarden erschrecken mich nicht", zeigte sich auch SPD-Politiker Sigmar Gabriel unbeeindruckt. Teurer würde, wenn Russland diesen Krieg gewinne und den nächsten Konflikt anzetten würde. "Wenn Europa zeigt, es ist gespalten, dann sind wir die letzten Vegetarier in der Welt der Fleischfresser und dann werden wir auch gefressen", kenne er keine Alternative zur finanziellen Unterstützung der Ukraine.

Politikwissenschaftlerin Liana Fix: "Trump will den Frieden mehr als Putin"

"Die Alternative besteht darin, dass wir Putin ernsthaft anbieten, über eine Nachkriegsarchitektur zu sprechen unter Berücksichtigung der russischen Sicherheitsinteressen", widersprach Precht und bezichtigte Europa, bislang keine "diplomatische Großoffensive" gestartet zu haben. Genau das hätte man bisher "verbockt": Europa hätte den 28-Punkte-Plan auf 20 Punkte reduziert und keine Initative gezeigt, mit Russland zu verhandeln - erklärte er, und erntete Protest von allen Seiten.

"Stimmt nicht, Herr Precht", kam der lauteste Widerspruch von Politikwissenschaftlerin Liana Fix, "wenn man Ihnen zuhört hat man den Eindruck, dass ein Gorbatschow im Kreml sitzt, nicht ein Putin." Sie verwies auch darauf, dass die aktuelle US-Administration die "russlandfreundlichste seit der Existenz der USA" sei und Putin die blühenden Landschaften verspreche: "Trump will den Frieden mehr als Putin", meinte sie, "und selbst Trump läuft gegen die Wand bei Putin".

Zudem dürfte man nicht vergessen, dass mit einem Frieden in der Ukraine noch lange keine Ruhe herrsche. Dann sei der Rest Europas bedroht, denn "wir haben einen russischen Präsidenten im Blick, der die Ukraine und die Nato im Blick hat und damit unsere Sicherheit", warnte sie. Zwar seien die "russischen Vermögenswerte keine gute (Option), aber immerhin noch besser als die schlechteste Option", lenkte sie ein und fügte hinzu: "Ein Kollaps der Ukraine ist die schlechteste Option für uns. (...) Das Gespräch, das Sie mit Putin führen wollen, ist kein Gespräch, das Putin mit uns führen will."

"Woher wissen Sie denn das alles, Sie haben nie mit ihm geredet", wollte Precht sich nicht belehren lassen und wurde regelrecht patzig, "Das ist super, ich höre das immer in Talkshows, alle wissen das." - "Ja, dafür arbeitet man zu diesem Thema, Herr Precht", konterte Fix schlagfertig.

"Wissen Sie, was die schlechteste Möglichkeit überhaupt ist", griff Precht die Rhetorik auf, "dass wir noch ein, zwei Jahre den Krieg länger am Kochen halten mit dem Ergebnis, dass 10.000 Russen, 10.000 Ukrainer in diesem Krieg sterben, dass Putin noch mehr Gebiete erobert, mühselig und blutig - und am Ende sind die Voraussetzungen für die Ukraine für Verhandlungen noch schlechter." Dass der nächste Krieg komme oder Europa in Gefahr sei, "halte ich für Blödsinn", legte sich Precht fest.

"Da spricht der Philosoph gegen die Erfahrung aus der Geschichte Europas", entgegnete Gabriel, und Fix zeichnete noch ein positives Szenario: Würde Putin den in Berlin ausgehandelten Plan ausschlagen, könne ein neues Momentum entstehen und Trump Druck auf Moskau aufbauen.

"Wir müssen ganz anders denken", betonte die ukrainische Autorin Kateryna Mishchenko. Statt zu überlegen, welche Boni man Putin anbieten könne, um zu Verhandlungen zu kommen, sollte man zurück zum Völkerrecht: "Wie kann man diesen Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen, das ist die zentrale Frage", stellte sie klar, "in dem Moment, wo Schritte überlegt und gemacht werden, passiert vielleicht ein Wunder und er kommt selbst und sagt: Ich möchte verhandeln", appellierte sie an Europa, Stärke zu zeigen.

Quelle: teleschau – der mediendienst