Mindestens zehn Prozent Einsparungen beim Bürgergeld müssten her, sonst sei der Sozialstaat nicht weiter finanzierbar. Mit dieser Forderung wandte sich Bundeskanzler Friedrich Merz jüngst an seine Arbeitsministerin Bärbel Bas - und trat damit eine kontrovers geführte Debatte innerhalb der Koalition los. Im Sommerinterview von SAT.1 sagte Merz, dass sich fünf Milliarden Euro einsparen lassen müssten.
Grünen-Politikerin Britta Haßelmann warf dem Kanzler am Donnerstagabend bei "Markus Lanz" deshalb vor, Ankündigungen "ohne Sinn und Verstand" zu machen und prognostizierte: "Niemals wird diese Koalition fünf Milliarden Euro im Bürgergeld einsparen." Außerdem äußerte sie sich besorgt zum Betriebsklima innerhalb der Regierung: Dieses erinnere sie an die Stimmungslage am Ende der Ampel-Koalition. Haßelmann forderte von Schwarz-Rot, "dass man nicht mit markigen Sprüchen operiert, sondern dass man sich der Sache einfach mal annimmt",
Journalist Michael Bröcker verortete das Problem dagegen eher bei Bundesarbeitsministerin Bas. Er erklärte, dass er es "fast unverschämt" finde, dass Bas die Reformbedürftigkeit des Sozialstaates bezweifle. "Das Sozialbudget ist seit 1992 verdreifacht (...) - in einer Volkswirtschaft, wo 900.000 Boomer früher in Rente gehen, als sie eigentlich in Rente gehen müssten, weil sie gerne auch die Rente mit 63 mitnehmen", stellte Bröcker mit strenger Miene klar. Dementsprechend sah er die Bürgergeld-Debatte nur als kleinen "Mosaikstein beim Thema Leistungsgerechtigkeit".
Journalist echauffiert sich über das Bürgergeld: "Die Debatte gab es gar nicht"
Dass Haßelmann nun Kanzler Merz für seine Bürgergeld-Forderung kritisiere, konnte Bröcker nur teilweise nachvollziehen: "Niemand sagt, das Bürgergeld ist jetzt die Rettung der Haushaltslöcher. Niemand sagt, die Kinder und die Familien im Bürgergeld, das seien Schmarotzer, da müsse man dringend mal die Regelsätze kürzen." Dennoch prangerte die Grünen-Politikerin weiter den Fokus auf die Einsparungen im Bürgergeld an. Daraufhin wurde Michael Bröcker deutlich und stellte klar, dass die Ampel "die Debatte um das Bürgergeld begonnen" habe.
"Ich würde so gerne endlich mal über Kürzungen im Gesundheitssystem reden, über Rentenreformen, die nicht angepackt sind, über Vereinbarkeit von Beruf und Familie, über Kita-Investitionen als echtes Konjunkturprogramm. (...) Das sind die relevanten Debatten für die Zukunft dieses Standorts", zählte der Journalist auf. Er fügte hinzu: "Was hat die Ampel gemacht? Sie hat das Bürgergeld erfunden! (...) Sie hat plötzlich gemeint, man müsse weniger fordern, mehr fördern. Die Debatte gab es gar nicht in Deutschland. (...) Und Sie sagen jetzt, wir reden alle übers Bürgergeld!"
JU-Vorsitzender Johannes Winkel fordert Ende von Rente mit 63
Doch nicht nur über die einstige Ampel-Regierung zog Bröcker vom Leder. Auch die schwarz-rote Koalition habe laut des Journalisten eine offensichtliche "Ambitionslosigkeit (...) bei den Gesundheitsreformen und vor allem bei der Rentenreform". Daraufhin fragte Markus Lanz nach dem angekündigten "Herbst der Reformen": "Wo machen wir den großen Cut?"
Der JU-Vorsitzende Johannes Winkel sagte zunächst knapp, dass das Arbeiten bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter wichtig sei, denn: "Das ist schon mal ein riesengroßes Problem in Deutschland, dass der Staat in einem demografischen Wandel noch Frühverrentungsprogramme subventioniert." Winkel forderte deshalb: "Wir müssen die Rente mit 63 entweder abschaffen oder auf diejenigen beschränken, die ein ärztliches Attest haben."
Mit dem konkreten Vorschlag überraschte der JU-Vorsitzende den ZDF-Moderator: "Wird die abgeschafft?" Johannes Winkel antwortete ehrlich: "Meine Forderung ist es, natürlich." Dennoch reagierte Lanz skeptisch und sagte: "Sie werden wahrscheinlich ein weiteres Mal enttäuscht werden von Ihrem eigenen Kanzler." Darauf wollte Winkel nur bedingt eingehen.
Stattdessen warnte er: "Wir müssen es in diesen dreieinhalb Jahren hinbekommen. Wir müssen es! (...) Wir müssen in diesen Kommissionen Ergebnisse liefern. Ansonsten werden die Einschnitte so brutal in den 30er-Jahren, dass es dann wirklich zu einem Problem kommt. (...) Wir müssen aufpassen, dass das demografische Problem nicht irgendwann zum demokratischen Problem wird." Dem musste auch Michael Bröcker zustimmen. Er ergänzte: "Wir haben eben diese Zeit jetzt nicht mehr, zu warten, bis noch mehr Rezessionszahlen rauskommen, bis noch mehr Beschäftigungsprobleme am Horizont sichtbar werden. Das ist eigentlich traurig, dass wir nicht proaktiv mal Reformen angehen in diesem Land."