Nach außen schienen die Pelicots das perfekte Ehepaar zu sein: Dominique und Giselè gingen auch nach 50 Jahren Ehe noch Arm in Arm durch ihren Heimatort Mazan in Südfrankreich spazieren und schienen verliebt wie am ersten Tag. Doch hinter der Fassade spielte sich zehn Jahre lang ein Albtraum ab.
Der Ehemann betäubt seine Frau Gisèle, vergewaltigt sie und lädt fremde Männer ein, ihr dasselbe anzutun. Nur durch einen Zufall kommt die Wahrheit 2020 ans Licht. Das ZDF beleuchtet in "Ein Opfer. Viele Täter. Der Fall Gisèle Pelicot" den ganzen Fall und stellt die Frage: Hätte Gisèle Pelicots Leid verhindert werden können?
Dominique Pelicot galt als "ein unbeschriebenes Blatt"
Es ist ein ganz normaler Samstag im September 2020, als Sicherheitsleuten in einem Supermarkt ein älterer Mann auffällt, der anscheinend versucht, unter den Röcken von Frauen zu filmen. Bereitwillig gibt der Rentner seine Personalien an: Dominique Pelicot, 68 Jahre alt.
Er habe das getan, weil er seine Frau vermisse, und außerdem sei es das erste Mal gewesen, behauptet er. Pelicot taucht zu diesem Zeitpunkt in keiner Datenbank der Polizei auf. Er sei "ein unbeschriebenes Blatt" gewesen, erklärt der französische Journalist François Barrère in der ZDF-Doku.
Pelicot bleibt erst einmal auf freiem Fuß. Doch wie in Frankreich üblich wird eine DNA-Probe des 68-Jährigen genommen und sein Haus durchsucht. Dort stellt die Polizei Datenträger wie USB-Sticks. Handys, Laptops und Kameras sicher. Als Gisèle wenige Tage später nach Hause kommt, gesteht ihr Mann, was er in dem Supermarkt getan hat. Sie vergibt ihm.
Zehn Jahre lang wurde Gisèle Pelicot betäubt und vergewaltigt
Fast zwei Monate später wird Dominique Pelicot erneut zur Befragung geladen. Dieses Mal soll auch seine Frau mitkommen. In dieser Vernehmung bricht die nur scheinbar heile Welt aus 50 Jahren Ehe in sich zusammen: Ein Ermittler und ein Psychologe zeigen Gisèle Aufnahmen, die sie auf den Geräten ihres Mannes gefunden haben.
Zusammen mit seinen Chatverläufen beweisen diese eindeutig, dass er Gisèle jahrelang Betäubungsmittel ins Essen gemischt hat und er und völlig fremde Männer sie vergewaltigt haben. Plötzlich wird Gisèle klar, warum sie sich in den vergangenen Jahren oft krank und müde gefühlt hat.
Dominique Pelicot gesteht seine Taten, als ihn die Polizei mit den erdrückenden Beweisen konfrontiert. Er sei ein Opfer seiner Fantasien, behauptet der 68-Jährige, streitet jedoch ab, Geld von den anderen Tätern verlangt zu haben. "Da kann also einer kommen und gratis seine Frau vergewaltigen - kein Problem", kommentiert die Gerichtsreporterin Delphine Welter in der Doku verächtlich.
"Es ist die aktive Teilnahme an einer Vergewaltigung"
Während Pelicot in Haft kommt, forscht die Polizei weiter. Was die Ermittlerinnen und Ermittler ans Licht bringen, macht ganz Frankreich fassungslos. Auf den Aufnahmen sind 90 unterschiedliche Männer zu erkennen, 50 davon können zweifelsfrei identifiziert werden - ein Feuerwehrmann, ein Soldat, ein Handwerker. Die Männer sind zum Tatzeitpunkt zwischen 21 und 68 Jahre alt und stammen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten.
In Befragungen behaupten die meisten von ihnen, sie hätten gegdacht, die Handlungen seien einvernehmlich. "Völlig absurd!", findet das Welter. "Auf dem Bildmaterial sieht es aus, als sei sie tot." Barrère stellt klar: "Es ist die aktive Teilnahme an einer Vergewaltigung."
Um sich und den anderen Männern die Vergewaltigungen zu ermöglichen, richtete "das Monster von Mazan", wie ihn die französische Presse nennt, ein eigenes Internetforum ein, in dem er genaue Anweisungen vorgab: Die Männer mussten bei einer nahegelegenen Schule parken, sich in der Küche ausziehen, durften nicht rauchen und kein Parfüm tragen und mussten ihre Hände unter heißem Wasser waschen - alles, damit Gisèle nichts mitbekam.
Hat Dominique Pelicot auch andere Frauen vergewaltigt?
Während immer neue, schreckliche Details ans Licht kommen, entdeckt die Polizei eine weitere Spur: Ein DNA-Abgleich bringt Dominique Pelicot mit einer versuchten Vergewaltigung in Paris im Jahr 1999 in Verbindung. Ein Unbekannter überwältigte eine junge Frau bei einer Wohnungsbesichtigung, fesselte sie und versuchte, sie mit Äther zu betäuben und zu vergewaltigen. Doch die Frau, die in den Medien "Marion" genannt wird, konnte sich wehren. Dabei landete ein kleiner Blutspritzer des Mannes auf ihrem Schuh - die DNA-Spur, die später zu Pelicot führen wird.
Obwohl "Marion" sofort Anzeige erstattete, konnte der Täter nicht gefunden werden. Doch sie hatte sich das Gesicht gemerkt und erkennt es auch nach über 20 Jahren wieder: Dominique Pelicot. Der streitet 2022 die Tat zunächst ab, behauptet dann aber, er habe das Opfer nicht vergewaltigen wollen und könne sich auch nicht erinnern, woher der Äther oder die Seile kamen.
Anwältin verteidigt Dominique Pelicot: "Er ist kein Mörder"
Bei weiteren Nachforschungen in den Akten findet die Polizei heraus, dass Pelicot bei seiner Festnahme 2020 keineswegs ein "unbeschriebenes Blatt" war. Da ist zum einen ein Vorfall aus dem Jahr 2010, in dem er Frauen schon einmal unter die Röcke gefilmt hatte. Die genommene DNA-Probe konnte damals auch dem Fall "Marion" zugeordnet werden, doch diese Information ist angeblich nie bei der Staatsanwaltschaft angekommen. "Dieses Versäumnis ist empörend", prangert der Journalist Mathieu Fourquet in der ZDF-Doku an.
Zum anderen weist die versuchte Vergewaltigung aus dem Jahr 1999 auffällig viele Ähnlichkeiten zur Vergewaltigung und Ermordung von Sophie Norme 1991 auf. "Beide junge Frauen waren in ihren Zwanzigern, beide arbeiteten bei einem Immobilienmakler, beide hatten ein Büro mit Fensterfront zur Straße, von wo man hineinschauen konnte", zählt Fourquet auf. Florence Rault, die im Prozess von Pelicot die Nebenklage und die Familie Norme vertritt, erklärt: "Beide werden angegriffen, mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden gefesselt, die Hände nach hinten auf dem Rücken. Es wirkt tatsächlich wie Copy and Paste."
Zwar wurde auch in diesem Fall eine DNA-Spur gesichert, doch diese wird schon wenige Tage später im Labor versehentlich zerstört. Dominique Pelicot leugnet, die Tat begangen zu haben. Seine Anwältin Béatrice Zavarro sagt dazu in der ZDF-Doku: "Jeder mag von ihm denken, was er will, aber er ist kein Mörder." Die Ermittlungen in den Fällen "Marion" und Sophie Norme dauern an.
Auch Dominique Pelicots Tochter wirft ihm Missbrauch vor
"Wir haben es mit einem gewieften Manipulator zu tun", denkt der Journalist Barrère über Pelicot. "Es geht um Macht", glaubt Welter, "um die totale Unterwerfung der Frau." Warum er Gisèle immer wieder betäubte und vergewaltigen ließ, kann sich auch seine Familie nicht erklären. 2024 äußert sich seine Tochter Caroline Darian in einem seltenen Interview. "Nie im Leben hätten wir uns so etwas von unserem Vater vorstellen können", erklärt sie und stellt sich hinter ihre Mutter: Die Taten ihres Vaters und der 90 fremden Männer nennt sie "eine beispiellose Gewalttat".
Im Dezember 2024 werden Pelicot und 50 weitere Männer verurteilt. Letztere erhalten Haftstrafen zwischen drei und 15 Jahren. Der mittlerweile 72-jährige Pelicot muss für 20 Jahre ins Gefängnis. Im Jahr 2025 zeigt Darian ihren Vater an: Sie wirft ihm vor, auch sie betäubt und missbraucht zu haben. Die Ermittlungen sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen.
"Ein Opfer. Viele Täter. Der Fall Gisèle Pelicot" ist am Freitag, 10. Oktober, um 21 Uhr bei ZDFinfo und bereits jetzt in der Mediathek zu sehen.