Als Michaela Zeller (Anna Drexler) den Nachlass ihres verstorbenen Vaters in einer Garage sichtet, macht sie einen grausigen Fund. Der ruft die Ermittler Maryam Azadi (Melika Foroutan) und Hamza Kulina (Edin Hasanovic) auf den Plan, die sich im Keller des Frankfurter Polizeipräsidiums mit Altfällen beschäftigen. War Michaela Zellers scheinbar harmloser Vater ein Serienkiller? Einer, der über Jahrzehnte sein Unwesen in Frankfurt und Umgebung trieb? Mit dem neuen hessischen Ermittler-Team geht die Kultreihe einen neuen Weg. Nicht nur in ihrem Debütfall "Tatort: Dunkelheit", sondern wohl auch in Zukunft, sieht man die beiden Ermittler in der Vergangenheit herumstochern und Puzzleteile zusammenlegen. Es sind zwei Nerds, beide mit Migrationshintergrund, die neben einem großen Pflichtgefühl ihren Fällen gegenüber auch Empathie mit den Opfern empfinden.
Die mittelalte Azadi hat einen persischen Hintergrund. Der Anfangdreißiger Kulina ist Bosnier. Regelmäßig besucht der junge Kommissar seine alleinstehende Mutter Emina (Gordana Boban), die schon lange um Hamzas älteren Bruder trauert. In diesen Szenen wird untertiteltes Bosnisch gesprochen.
Bald sind sich die beiden Kellerassel-Kommissare sicher, dass der Verstorbene tatsächlich ein Mörder ist. Könnte es sich bei ihm sogar um den sogenannten "Main Ripper" handeln, eine fast mythische Figur der lokalen Kriminalgeschichte. Mit mehreren unaufgeklärten Morden wird sie in Verbindung gebracht. "Tatort: Dunkelheit" erinnert stark an die wahre Geschichte von Manfred Seel, geboren 1946 in Königstein im Taunus. Auch er wurde nach seinem Ableben als mutmaßlicher Serienmörder enttarnt und von der Presse "Hessen-Ripper" oder "Jack the Ripper von Schwalbach" getauft. Im Rhein-Main-Gebiet soll er mindestens fünf Morde begangen haben, weitere Taten sind nicht ausgeschlossen.
Wird hier die echte Geschichte des "Hessen-Rippers" erzählt?
In der fiktionalen Variante des True Crime-Falles mit den Ermittlern Azadi und Kulina entsteht ein großer Teil der Spanung durchs akribische Ermitteln in der Vergangenheit und dem Zusammensetzen von Puzzelteilen, die aus vier bis fünf Jahrzehnten stammen. In der Anfangssequenz sieht man Szenen aus dem Frankfurter Stadtleben aus eben jenen vier bis fünf Jahrzehnten, die mit kriminalistischen Fundorten aus den entsprechenden Jahren gegengeschnitten sind. Ein sehr stimmungsvoller Einstieg. Die Idee mit der Abteilung für Altfälle ist freilich nicht neu. Bei Netflix startete vor kurzem die gelobte englischsprachige Serie "Dept. Q", die wiederum auf einer dänischen Filmreihe nach Jussi Adler-Olsen beruht. Auch hier sitzt eine Abteilung für Altfälle im Keller - was den durchaus gelungenen Übertrag auf ein deutsches "Tatort"-Setting keineswegs schmälern soll.
Im Gegenteil. Regisseur Stefan Schaller (auch Co-Autor) hat mit "Tatort"-Folgen wie "Damian" (Schwarzwald), dem mit dem Grimme-Preis prämierten Rostocker "Poliuzeiruf 110: Sabine" oder der Berliner Solofolge "Das Opfer" mit Mark Waschke nach Meret Beckers Ausstieg bereits einige herausragend gute Sonntagabendkrimis fürs Erste gedreht. Beim Drehbuch unterstützten Schaller "Tatort"-Spezialist Erol Yesilkaya und Senad Halilbašić ("7500").
Was die Autoren, alle preisgekrönt, anders machen als beim normalen Krimi: Sie geben den Opfern und der Trauer der Angehörigen Raum. So empfangen Azadi und Kulina - unter Zeitdruck wegen einer bereits angekündigten Pressekonferenz der Frankfurter Polizei zum Main-Ripper - die Angehörigen jener Toten aus mehreren Jahrzehnten. Es gilt, die Menschen vorab zu informieren.
Respekt für die Opfer und ihre Angehörigen
Jene Szenen gehören mit zum Besten, was man seit längerer Zeit im "Tatort" gesehen hat. Von Umarmungen mit trauernden Eltern und Partnern, die nun endlich wissen, was aus ihrem geliebten Menschen geworden ist, bis hin zu einem alten dementen Mann, in dessen Kopf das tote Kind immer noch lebendig ist - hier gelingen starke Bilder und Szenen. Sogar der Völkermord im bosnischen Srebrenica, der sich im Juli 2025 zum 30. Mal jährte, kommt im "Tatort" vor - wenn auch nicht als Teil der Mordserie. Den Kreativen Schaller, Yesilkaya und Halilbašić ist mit dem gewohnt kreativen Hessischen Rundfunk die Umsetzung einer starken neuen "Tatort"-Idee gelungen, die endlich mal die Opfer der Mordtaten und den Verlust der Angehörigen betrauert.
Es geht um tote Menschen, die nicht nur dem Crime-Rätsel einen anonymen Körper schenken, sondern zutiefst menschliche Geschichten von Verlust anstoßen. Und die Ermittler? Melika Foroutan bekommt mit 49 Jahren endlich jene Aufmerksamkeit, die diese hervorragende Schauspielerin seit ihrer Rolle in "KDD - Kriminaldauerdienst" (drei Staffeln, 2007 bis 2010, ZDF) schon lange verdient. Damals ebenfalls im Cast der immer wieder preisgekrönten, aber viel zu wenig geschauten ZDF-Serie, die ihrer Zeit voraus war: Edin Hasanovic, heute 33, als jugendlicher Straftäter mit gutem Kern. Manchmal sieht man sich zweimal im Leben!
Tatort: Dunkelheit - So. 05.10. - ARD: 20.15 Uhr