Die Nürnberger Prozesse gelten bis heute als Geburtsstunde des modernen Völkerrechts. Am 20. November 1945 wurden erstmals hochrangige Politiker und Militärangehörige des NS-Regimes für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen. Unter ihnen: Hans Frank, der als "Generalgouverneur" im von Deutschland besetzten Polen tätig war und schließlich als "Schlächter von Polen" in Nürnberg zum Tode verurteilt wurde. Bei "Markus Lanz" erinnerte sich Niklas Frank, der Sohn von Hans Frank, an die damalige Zeit und bezeichnete seinen Vater mehrfach als Lügner.

Er offenbarte im Gespräch mit dem ZDF-Moderator, dass er keinerlei Verständnis für seinen Vater habe: "Warum hast du mitgemacht? Das werde ich mein Leben lang nicht verstehen." Laut Niklas Frank habe sein Vater die Verbrechen des Nazi-Regimes nicht nur mitgetragen, sondern auch aktiv "vorangebracht". Eine Einsicht oder Zeichen der Reue habe es jedoch bis zu seinem Tod nie gegeben.

Stattdessen soll Hans Frank in Briefen an seine Familie geschrieben haben mit Aussagen wie: "Ich war niemals ein Verbrecher" und "Eines Tages wird die Wahrheit über mich herauskommen". Niklas Frank war damals sieben Jahre alt und habe laut eigener Aussage "eine unheimliche Enttäuschung" empfunden.

Völkerrechtler Kai Ambos: "Nürnberg ist eine ganz große Leistung"

Obwohl Niklas Frank bei "Markus Lanz" deutlich machte, dass er grundsätzlich gegen die Todesstrafe sei, gab er zu: "Meinem Vater gönne ich sie rundherum." Journalist Ronen Steinke konnte das Gefühl des Autors zwar nachempfinden, er sagte jedoch auch, dass er selbst "ein Gefühl der Unbefriedigtheit" in sich trage. Der Grund? "Nichts kann ja irgendwie die Welt wieder ins Lot bringen nach einem solchen Massenmord."

Hinzu komme laut Steinke, dass es innerhalb der deutschen Bevölkerung lange kein Verständnis und auch keine Unterstützung für die Nürnberger Prozesse gegeben habe. "Die Westdeutschen (...) haben sich komplett vernagelt gezeigt und das eigentlich abgetan, als sei das keine richtige Justiz. (...) Es gab komplett eine Verweigerung", sagte der Journalist bei Lanz.

Laut Ronen Steinke haben die Mehrheit der Bevölkerung die Botschaft von Nürnberg "erst in den 90er-Jahren richtig akzeptiert". Eine späte Einsicht, da der weltweite Diskurs laut des Journalisten schon viel früher ein anderer war und der Konsens gewesen sei, dass vor Ort "vielleicht das wichtigste Urteil der Weltgeschichte" gefällt wurde.

Völkerrechtler Kai Ambos konnte dem nur zustimmen: "Nürnberg ist eine ganz große Leistung." Trotzdem machte er keinen Hehl daraus, dass vor Ort nicht alles rund gelaufen sei. Laut Ambos sei der Prozess in Nürnberg "absolut eingekürzt" gewesen. Das habe auch zu einer "Retraumatisierung bestimmter Opfer" geführt - "zum Beispiel jüdischer Opfer, die dann nicht aussagen konnten", so Ambos.

Ronen Steinke warnt: "Das macht mir auch große Sorge"

Wie es dazu kommen konnte? Laut der Historikerin Henrike Claussen seien von den knapp 140 Zeugen nur 29 Zeugen der Anklage gewesen sein. "Die meisten Zeugen im Verfahren sind Zeugen der Verteidigung", referierte Claussen im ZDF-Talk. Ronen Steinke ergänzte dazu, dass teilweise viel zu sanft mit den Straftätern umgegangen worden sei, da einige von ihnen bis zum Schluss ihre Uniformen tragen durften: "Man hat denen weiterhin erlaubt, sich zu inszenieren für die Nachwelt."

Grund genug für Markus Lanz, abschließend zu fragen, wie groß die heutige Gefahr sei, "ein demokratisches System so langsam aber sicher von innen auszuhöhlen".

Eine Frage, auf die Ronen Steinke zunächst mit dem Hinweis antwortete, dass es heutzutage immerhin "einen internationalen Strafgerichtshof" gebe. In Bezug auf Bundeskanzler Friederich Merz fügte er hinzu, dass es dennoch einige Falltüren gebe. Der Kanzler selbst habe nämlich angekündigt, den internationalen Haftbefehl gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ignorieren zu wollen. "Das macht mir auch große Sorge. Das ist eine Erosion des Respekts vor dem Völkerrecht, die den Deutschen am allerschlechtesten zu Gesicht steht", sagte der Journalist streng.

Quelle: teleschau – der mediendienst