Was als nüchterne Haushaltsveröffentlichung begann, hat in Kanada eine unerwartete Welle ausgelöst: Im Entwurf für den Staatshaushalt findet sich zwischen Sparplänen und Verteidigungsausgaben ein Satz, der aufhorchen lässt: Kanada denkt darüber nach, beim Eurovision Song Contest mitzumachen.

In einem Abschnitt des Budgets, der sich mit dem Schutz des kulturellen Guts des nationalen Senders CBC befasst, wird der Wettbewerb ausdrücklich erwähnt. Dort heißt es: "Die Regierung wird eine Modernisierung des Auftrags von CBC/Radio-Canada prüfen, um dessen Unabhängigkeit zu stärken, und arbeitet gemeinsam mit CBC/Radio Canada daran, eine Teilnahme am Eurovision Song Contest zu prüfen."

Damit wird erstmals offiziell festgehalten, was bislang nur Gerüchten entsprach: Ottawa erwägt ernsthaft, die Bühne des größten Live-Musik-Events der Welt zu betreten.

Kanadischer Finanzminister: "Eine Plattform, auf der Kanada glänzen kann"

Finanzminister François-Philippe Champagne sagte gegenüber "The Guardian", dass "Idee von Leuten kommt, die damit beschäftigt sind". Auf wen er sich dabei genau bezog, blieb offen - ob auf einzelne Länder oder die Europäische Rundfunkunion (EBU), die den Wettbewerb organisiert. CBC/Radio-Canada ist bereits assoziiertes EBU-Mitglied - so wie einst Australien, das 2015 erstmals zur Teilnahme eingeladen wurde.

Champagne selbst befürwortet den Plan offenbar. Er sieht in einer Eurovision-Teilnahme eine Chance, Kanadas kulturelle Stärke global zu zeigen. "Ich denke, es ist eine Plattform, auf der Kanada glänzen kann", sagte er dem Sender "Global News". Es gehe darum, die eigene Identität zu schützen, aber auch Künstlern aus Film und Musik mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. "Wir als Kanadier haben viel zu bieten."

Mit Céline Dion gewann bereits eine Kanadierin den ESC

Hinter dem Vorstoß steckt auch eine politische Dimension. Seit Donald Trump neue Zölle gegen Kanada verhängt und die Souveränität des Landes infrage gestellt hat, sucht Ottawa verstärkt den Schulterschluss mit Europa. Premierminister Mark Carney, der lange in Großbritannien lebte und einst Chef der Bank of England war, sprach im März bei Besuchen in Paris und London davon, Kanada sei das "europäischste der nicht-europäischen Länder". Laut Regierungsquellen ist Carney selbst in die Bemühungen um eine mögliche Eurovision-Teilnahme eingebunden.

Vonseiten der EBU kommt vorsichtige Zustimmung. Eurovision-Chef Martin Green bestätigte die Gespräche: "Die Gespräche mit CBC/Radio-Canada befinden sich noch in einem sehr frühen Stadium, und wir freuen uns darauf, sie fortzusetzen." Man freue sich immer über Sender, "die Teil der weltweit größten Live-Musikshow sein wollen".

In Kanada selbst wird der mögliche Einstieg kontrovers diskutiert. Einige Beobachter feiern den Vorstoß als kreativen Coup, andere warnen vor hohen Kosten. Schon 2022 hatte CBC erklärt, man habe eine Teilnahme als "unerschwinglich teuer" verworfen.

Ganz unerfahren wäre Kanada auf der Eurovision-Bühne nicht. Mehrere kanadische Künstler haben bereits ESC-Geschichte geschrieben: Céline Dion gewann 1988 für die Schweiz mit "Ne Partez Pas Sans Moi", Natasha St-Pier trat 2001 für Frankreich an, ihre Landsfrau La Zarra wurde 2023 von der Grande Nation ins Rennen geschickt.

Quelle: teleschau – der mediendienst