Das 16-jährige Heimkind Lilly-Marie (Dilara Aylin Ziem) wird tot aus einem See geborgen. In der Nacht zuvor war das Mädchen mit ihrem Freund und Heimkollegen Pascal (Florian Geißelmann) aus der Wohnanlage ausgebüxt. Das Kinderheim unter der Leitung von Saskia Rühe (Silvina Buchbauer) heißt ebenso wie dieser Fall. Der "Tatort"-Krimi "Siebenschläfer" ist der erste Dresdener Fall ohne die im Februar ausgeschiedene Karin Gorniak (Karin Hanczewski). Sie hat das Format mit dem "Tatort: Herz der Dunkelheit" verlassen. Wie man auch an der vor kurzem gestarteten deutschen Disney-Serie "Call My Agent: Berlin" sehen kann, in der Hanczewski eine Schauspielagentin zum Niederknien spielt, ist es ein großer Verlust für den Dresden-Krimi. Der hat im Plot aber noch ganz andere Probleme: Es herrscht Fachkräftemangel, wohin man schaut. Weil Schnabel (Martin Brambach) keinen Ersatz für Gorniak bekommt, muss er selbst mit Kommissarin Winkler (Cornelia Gröschel) rausfahren und Zeugen befragen. Dass sich der sächselnde Chef im Kinderheim alles andere als wohlfühlt, wird auch schnell offenbar.

Das "Siebenschläfer" wäre wohl ein Vorzeigeheim, hätte es nicht mit krassen Personalproblemen zu kämpfen. Neben Chefin Saskia Rühe kümmern sich noch Erzieherin Jasmin Hoffmann (Aysha Joy Samuel) und der knorrige alte Hausmeister Erwin Miersch (Elmar Gutmann) um die Kinder. Obwohl diese relativ ruhig scheinen (bis auf den unberechenbaren Pascal, den kaum jemand leiden konnte), sucht man händeringend nach Verstärkung.

Winkler und Schnabel ermitteln bei der gebrochenen Mutter (Milena Dreißig) des toten Mädchens, der man das Kind vor einigen Jahren weggenommen hat. Die Polizei fahndet nach dem flüchtigen Pascal, er ist der Hauptverdächtige im Fall Lilly-Marie. Inmitten der klassisch kriminalistischen Ermittlung taucht bald ein roter Faden im Drehbuch von Silke Zertz und Frauke Hunfeld ("Lauchhammer - Tod in der Lausitz") auf. Auf ihm steht geschrieben: In diesem Deutschland sind es die Systemrelevanten, die ächzen und wanken.

9.200 Euro pro Monat für ein Heimkind?

Auf dem Revier wird Chef Schnabel von Mitarbeiterin Winkler genervt, dass der ihr gegenüberliegende Platz von Gorniak wohl weiterhin frei bleibt. Eine neue Kollegin, die eigentlich kommen sollte, hat abgesagt, weil sie keinen Kita-Platz in Dresden findet. Die Kitas wiederum könnten keine neuen Kinder aufnehmen, weil es ihnen an Erzieherinnen fehlt. Deshalb findet auch die Polizei keine Verstärkung, und so beißt sich die Job-Katze selbst in den Schwanz.

Man fragt sich beim Zuschauen: Warum werden eigentlich ausgerechnet systemrelevante Jobs so schlecht bezahlt, dass sie keiner machen will? Der Leiter des Jugendamtes (Peter Moltzen) wird von den Kommissaren gefragt, wie viel so ein Heimkind pro Monat kostet. Die Antwort fällt überraschend aus: rund 7.000 Euro zahlt der Staat für ein Durchschnitts-Kind wie Pascal, bei der toten Lilly-Marie, die noch weitere Therapien erhielt, waren es sogar 9.200 Euro - pro Monat. Es sind Aussagen und Zahlen aus dem TV-Krimi wohlgemerkt.

Was stimmt nicht in einem System, das offenbar ordentlich Geld einsetzt, aber wenig erreicht? Und was hat Psychiater Lukas Brückner (Hanno Koffler) mit all dem zu tun? Er steht dem Jugendheim beratend zur Seite und scheint als einziger in diesem 90-Minuten-Krimi weder Geld- noch Personalsorgen zu haben.

Regisseur Thomas Sieben ("Prey") hat nach der Buchvorlage von Zertz und Hunfeld einen klassischen Sozialkrimi gedreht, der das Milieu Kinderheim und die mit ihm verbandelten Institutionen durchleuchtet. Dabei bekommt Martin Brambach deutlich mehr Bildschirmzeit als bisher. Er hat sogar eine der besten Szenen dieser Folge, als er sich ungewohnt persönlich mit einem schwierigen Jugendlichen unterhält, den der ansonsten gern mal emotional ungelenke Mann auf rührende Weise väterlich näherkommt.

Am Ende ist "Tatort: Siebenschläfer" ein wenig zu formelhaft - sowohl als Krimi wie auch als kritisches Sozialstück. Trotzdem ist der Blick ins ramponierte Innere des deutschen Sozialstaates alles in allem erschreckend. Dass es in anderen Ländern vielleicht noch schlechter aussieht, sollte dabei kein Trost sein.

Tatort: Siebenschläfer - So. 12.10. - ARD: 20.15 Uhr