Satiriker Jan Böhmermann steht mittlerweile unter Polizeischutz. "Ein Streifenwagen steht vor der Tür", sagte ein Polizeisprecher am Dienstag in Köln. Man stehe auch mit anderen Sicherheitsbehörden im Kontakt. Zuvor habe es eine Beurteilung der Gefährdungslage gegeben. "Wenn man etwas nicht ausschließen kann, dann muss man etwas tun", sagte der Polizeisprecher.


"Neo Magazin Royale" fällt diese Woche aus

Die für Donnerstag geplante nächste Ausgabe des "Neo Magazin Royale" auf ZDFneo mit dem Moderator ist abgesagt worden. Die Produktionsfirma btf GmbH und Böhmermann haben entschieden, die Ausgabe nicht zu produzieren, wie sie am Dienstag mitteilten. "Grund ist die massive Berichterstattung und der damit verbundene Fokus auf die Sendung und den Moderator", hieß es in der Erklärung. Das ZDF bestätigte die Absage. Man respektiere die Entscheidung und habe Verständnis für die Begründung, erklärte der Sender.

Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Böhmermann-Affäre
Während nach Böhmermanns "Schmähgedicht" gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei der Staatsanwaltschaft Mainz immer mehr private Strafanzeigen eingehen - die Zahl liege inzwischen in deutlich dreistelliger Höhe - kann der Satiriker auf immer mehr Unterstützung aus Politik, Kultur und Medien zählen.

Einer Online-Petition zugunsten des ZDF-Moderators Jan Böhmermann haben sich inzwischen mehr als 150.000 Unterstützer (Stand Dienstagabend) angeschlossen. Die Petition für Presse- und Meinungsfreiheit wurde am Sonntagabend von der Bloggerin Christine Doering gestartet, wie die Kampagnenplattform Change.org am Dienstag mitteilte. Doering will die Unterschriften demnächst der Bundesregierung übergeben. Böhmermann hatte in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" ein Schmähgedicht auf den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vorgetragen. Er stellte allerdings voraus, dass er mit dem Text die Grenzen dessen überschreite, was Satire dürfe. Die türkische Regierung fordert eine Strafverfolgung, zusätzlich stellte Erdogan einen Strafantrag wegen Beleidigung gegen Böhmermann. Das ZDF löschte das Gedicht, in dem Böhmermann den türkischen Staatspräsidenten unter anderem "sackdoof, feige und verklemmt" genannt hatte, am 1. April aus der Mediathek.

"Die verletzten Gefühle eines Herrn Erdogan dürfen keinen Einfluss auf die Pressefreiheit in Deutschland haben", erklärte Doering in ihrem Petitionstext. Sie halte eine mögliche Strafverfolgung für unangebracht, unabhängig vom konkreten Inhalt des Gedichts.

Am Montag wurden weitere Petitionen gestartet, in denen eine mögliche Strafverfolgung des Moderators befürwortet wird. Die größte startete Selman Öz unter dem Titel "Darf die Pressefreiheit Menschen beleidigen und verleumden. Ich sage 'Nein'." Die Petition kam allerdings bis Dienstagabend nur auf knapp über 300 Unterstützer.

Solidarität mit Böhmermann bekundeten unter anderen der Vorstandsvorsitzende von Axel Springer, Mathias Döpfner, und Kabarettist Dieter Hallervorden.


Solidarität mit Böhmermann

Bayerische Kabarettisten zeigen sich solidarisch mit Jan Böhmermann. "Ich stehe völlig auf der Seite von Böhmermann", sagte der langjährige Fastenprediger auf dem Nockherberg, Michael Lerchenberg, der "Passauer Neuen Presse" (PNP/Dienstag). "Es gibt die Freiheit der Kunst", betonte er und fügte hinzu: "Stellen Sie sich mal vor, Adolf Hitler hätte Charly Chaplin wegen "Der große Diktator" verklagt."

Der Passauer Kabarettist Sigi Zimmerschied kritisierte in der PNP den "Menschenrechtslehrling" Erdogan und betonte: "Satire darf alles." Wolfgang Krebs, Imitator von Politikern wie Edmund Stoiber, Markus Söder und Horst Seehofer (alle CSU), sagte in seiner Paraderolle als Stoiber in einem Facebook-Video: "Beleidigen Sie weiter, Herr Böhmerwald! Meinen Segen haben Sie! Verteidigen Sie die Demokratie und zusätzlich auch noch Bayern! Ich bin Jan Böhmermann."

Satiriker Oliver Kalkofe (50) macht sich wegen der Diskussion um die Strafverfolgung Jan Böhmermanns Sorgen um das Recht auf Meinungsfreiheit. "Diese ganze vollkommen absurde Staatsaffäre um die kleine poetische Verbal-Entgleisung des dünnen blassen Jungen weitet sich gerade zu einer der bizarrsten, erschreckendsten und für unsere Meinungs- und Redefreiheit auch gefährlichsten Diskussionen seit langem aus", schrieb Kalkofe auf Facebook, wie "Stern.de" am Dienstag berichtete.

Man müsse die Aktion von Böhmermann nicht mögen, man dürfe sie sogar komplett misslungen finden. Wichtig sei, dass man den Fall Böhmermann deshalb nicht zur Staatsaffäre machen dürfe. Denn bei einem Prozess stände das Recht auf Satire und Meinungsfreiheit an sich vor Gericht.

"Es ist vollkommen egal, was der einzelne von Böhmermanns Gedicht hält. Es ist ebenso egal, ob es Satire ist oder nicht. Denn ja: es ist bewusst verletzend, böse und qualitativ kein Stabhochsprung", schreibt Kalkofe. "Sollte es aber auch niemals sein. Denn die satirische Plattform der ganzen Geschichte war niemals das unsinnigerweise immer wieder rezitierte und vollkommen unwichtige Gedicht, sondern die Aktion darum herum." Was gerade passiert, sei einfach unfassbar, traurig und so unendlich dumm und nicht durchdacht. "Eigentlich ist es in seiner Absurdität fast schon wieder lustig... aber darf man darüber lachen, wenn das Recht auf Satire getötet wird?"


Türkische Satiriker kritisieren Strafantrag gegen Böhmermann

Auch türkische Satiriker haben den Strafantrag von Erdogan gegen Jan Böhmermann kritisiert. "Das ist eine große Schande", sagte der Chefredakteur der Satire-Zeitschrift "Leman", Zafer Aknar, der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag in Istanbul.

Aknar erinnerte daran, dass auch Erdogan aufgrund eines Gedichts im Gefängnis saß. "Wäre ihm damals die Demokratie nicht zur Hilfe geeilt, wäre er weder Ministerpräsident noch Staatspräsident geworden"
.
Der Chefredakteur der Satire-Zeitschrift "Nokta", Cevheri Güven, sagte, Vorwürfe der Beleidigung Erdogans würden als "Schlagstock" gegen Kritiker vor allem in der Türkei missbraucht. Inzwischen habe das sogar internationale Ausmaße angenommen. Gegen Güven selbst laufen zwei Strafverfahren wegen Beleidigung des Präsidenten.

Erdogan war 1998 wegen Volksverhetzung zu zehn Monaten Haft verurteilt worden, von denen er vier absaß. Grund war eine Rede, bei der Erdogan aus einem religiösen Gedicht zitiert hatte.

Nach Angaben des Justizministeriums wurden seit Erdogans Wahl zum Staatspräsidenten im August 2014 mehr als 1800 Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung eröffnet.


Böhmermann vor Gericht? Zweifel an Strafverfahren wachsen

Möglicherweise muss der ZDF-Moderator sogar vor Gericht. Ein Strafverfahren wird im Auswärtigen Amt aber kritisch gesehen. "Wir sind skeptisch, ob das Strafrecht der richtige Weg sein kann", verlautete am Dienstag aus dem Umfeld von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Die Türkei verlangt strafrechtliche Konsequenzen. Die Bundesregierung prüft, ob sie die Staatsanwaltschaft ermächtigt, den ZDF-Satiriker wegen Beleidigung eines Staatsoberhaupts zu verfolgen.

Von einer Hängepartie hat niemand etwas", hieß es aus dem Außenministerium. Regierungssprecher Steffen Seibert hatte am Montag gesagt, die Prüfung werde ein paar Tage, aber nicht Wochen dauern. Für eine Strafverfolgung ist in Fällen der möglichen Beleidigung von Organen oder Vertretern ausländischer Staaten laut Strafgesetzbuch eine entsprechende Ermächtigung vonseiten der Bundesregierung nötig.


So reagiert die Politik

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wies am Dienstag auf die Bedeutung von Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland hin: "Diese Grundwerte gelten unbeschadet aller politischen Probleme, die wir miteinander besprechen", sagte sie mit Blick auf den mit der Türkei geschlossenen Flüchtlingspakt.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte, seine Partei sei bereit, Paragraf 103 im Strafgesetzbuch abzuschaffen, der die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter regelt. Darüber könne der Bundestag bereits in der nächsten Sitzungswoche Ende des Monats entscheiden. 

SPD-Vize Ralf Stegner forderte auf Twitter: "Finger weg von unserer Freiheit der Meinungsäußerung, Presse, Kunst und Kultur! Gilt für Potentaten anderswo, aber auch für Bundeskanzlerin!" CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt mahnte zur Mäßigung. "Ich glaube, dass wir das Ganze nicht überhöhen sollten. Das soll sich nicht zu einer Staatsaffäre ausweiten", sagte sie am Dienstag in Berlin.

Anton Hofreiter, Fraktionsvorsitzender der Bundestagsfraktion der Grünen, sagte am Dienstag: "Wer in seinem eigenen Land die Menschenrechte mit Füßen tritt und die Meinungsfreiheit einschränkt, der hat keinen Anspruch darauf, dass er Unterstützung bekommt bei der Verfolgung von Beleidigungen gegenüber seiner Person."
FDP-Vorsitzender Christian Lindner kritisierte die Bundesregierung ebenfalls: "Die Bundeskanzlerin hat Deutschland bei der Bewältigung des Zustroms von Flüchtlingen von der Türkei abhängig gemacht." Deutschland dürfe nicht länger von der Laune eines Despoten abhängig sein.


Mehrheit gegen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft

In Deutschland ist eine Mehrheit gegen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft: 54 Prozent der Befragten finden laut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov die Ermittlungen gegen den Satiriker "ganz und gar nicht angemessen". Lediglich 6 Prozent befürworten sie. Auch die Reaktion der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sehen die Befragten kritisch: 41 Prozent finden, dass Merkels Äußerung über Böhmermanns Beitrag nicht angemessen war.

Nach Einschätzung des Hamburger Medienrechtlers Stefan Engels hat der Fall das Zeug, durch alle Instanzen bis vors Bundesverfassungsgericht zu gehen. Am Ende müsse das höchste deutsche Gericht womöglich Grenzen völlig neu definieren, sagte Engels. "Ich habe einen Fall in dieser Zuspitzung noch nicht erlebt." Das Spannende daran sei, dass Böhmermann Erdogan mit seinem "Schmähgedicht" nach eigener Aussage gar nicht schmähen, sondern lediglich ein Beispiel dafür geben wollte, wie eine Schmähung aussehen würde.

Eine Klärung in Karlsruhe ist Zukunftsmusik. Zunächst könnte die Staatsanwaltschaft Mainz den Strafantrag Erdogans aber unabhängig von einer Entscheidung aus Berlin weiterverfolgen. Eine mögliche Beleidigung im Sinne des Paragrafen 185 ff. Strafgesetzbuch (StGB) sei auch ohne eine Ermächtigung der Bundesregierung verfolgbar, teilte Oberstaatsanwalt Gerd Deutschler am Dienstag mit.

Böhmermann könnten also durchaus rechtliche Schritte drohen.