- Der Schuldenberg und die Zwangshypothek
- Die FDP in Baden-Württemberg spricht von "kalter Enteignung"
- Plant die Bundesregierung einen Lastenausgleich?
- Gab es in Deutschland schon mal einen Lastenausgleich?
Seit neun Monaten erheben die Finanzämter Daten bei den Immobilienbesitzern, um die Grundsteuer (wir berichtete darüber) neu zu berechnen. Parallel gibt es im Internet, auf den einschlägigen Social-Media-Kanälen oder auf YouTube, einen gewaltigen Vorwurf: Mit der neuen Grundsteuer wollen die Politiker*innen dir nur die Wohnung oder das Haus wegnehmen. Nach den Steuerbescheiden kämen die Zwangshypotheken oder die Enteignung, weil viele die geforderten, horrenden Steuersummen nicht bezahlen können. Das ist starker Tobak. Wir prüfen die Vorwürfe und erklärt den Hintergrund.
Der Schuldenberg und die Zwangshypothek
Mit der Behauptung von drohenden Zwangshypotheken und Enteignungen durch die Grundsteuer schüren selbsternannte Aufklärer, "Querdenkende", Finanzexperten und Immobilienfachleute die Angst von Immobilienbesitzern. Viele dieser "Propheten" tummeln sich auf YouTube mit ihren Videos. Angeblich warten in Europa schon "staatliche Verwertungsagenturen" nur darauf, zuschlagen zu können. Ab wann der "Enteigungsplan" der Politiker greift, darüber streiten die "Experten": Die einen tippen auf den 01.01.2024, andere wiederum auf den 01.01.2025, dem Starttermin für die neue Grundsteuer.
Einer der Protagonisten ist Immobilieninvestor Alexander Raue, der in Costa Rica oder in der Schweiz lebt. Auf seinen Internetseiten gibt er diese beiden Orte an. Sein Immobilientagebuch auf YouTube hat 55.700 Abonnenten und sein letztes Video hatte bislang 670.000 Aufrufe. Seine These: "Am 1. Januar 2025 kommt ein neuer Lastenausgleich und du wirst 50 Prozent deines Vermögens verlieren. Immobilien, Aktien, Gold, Bitcoins und Geld auf dem Konto – die Hälfte davon ist weg." Damit das nicht eintritt, bietet Raue Coaching an, pro Stunde im Gespräch für 300 Euro netto.
Die Folien, auf der er und die anderen Krisen-Protagonisten argumentieren, ähneln sich: Erst Corona, dann die horrenden Energiekosten durch den Krieg in der Ukraine und die Inflation – auf eine Krise folgt sofort die nächste. Die Bundesregierung steuert mit milliardenschweren Entlastungspaketen dagegen (die drei Entlastungspunkte des Jahres 2022 kosten bislang 95 Milliarden Euro). Nach Schätzungen hat die Corona-Krise bislang mehr als 53 Milliarden Euro gekostet, das geht aus einer Antwort der Bundesregierung hervor, über die das ZDF berichtete. Das Problem: Irgendwann ist die Rechnung fällig - und wer zahlt die dann?
Die FDP in Baden-Württemberg spricht von klarer Enteignung
Nicht wenigen Bürgern macht die wachsende Schuldenlast des Staates Angst und sie vermuten, dass sie am Ende des Tages dafür zahlen müssen. Deshalb sind einige von ihnen empfänglich für Spekulationen und Fake-News, die den finanziellen Crash beschreiben und wie sie sich schützen können. Da sie Steuererhöhungen für unwahrscheinlich halten, spekulieren sie über einen umfassenden Lastenausgleich, der ab 2025 kommt. Erwischen soll es als Erstes die Immobilien- und Grundstückbesitzer. Deshalb passt die neue Grundsteuer, die ab dem 01.01.2025 zu zahlen ist, so wunderbar in diese Fantasiespiele. Vielfach ist von Zwangsenteignung die Rede.
Das Thema erreichte im April den Landtag in Baden-Württemberg, Gisela Splett (Grüne), Staatssekretärin im Finanzministerium, räumte ein, dass viel Emotionalität im Spiel sei. Für den Abgeordneten Klaus Hoher (FDP) steht fest, dass die neue Grundsteuer zu einer "kalten Enteignung" führt. Was er meinte, erläutert er am Beispiel eines älteren Ehepaars, dessen Haus auf einem teuren Grundstück am Bodensee steht. Sie seien gezwungen, zu verkaufen und ins Hinterland zu ziehen. Nur noch reiche Leute könnten es sich leisten, am See zu wohnen. Es werde nicht berücksichtigt, welches Gebäude auf dem Grundstück stehe. Deshalb habe die FDP Zweifel an der Rechtssicherheit der Bewertung der Grundsteuer in Baden-Württemberg. Was MdL-Hoher da im Landtag berichtete, ist aber nicht mehr als eine Vermutung. Denn Grundsteuerbescheide gibt es auch in Baden-Württemberg noch nicht. Gerade in diesen Monaten geht es darum, die Daten zu erfassen, vielleicht gibt es sogar eine Verlängerung. Nachrichten dieser Art sind natürlich ein gefundenes Fressen für Fake-News-Erfinder.
Derzeit ist noch völlig unklar, welche konkreten Auswirkungen die neue Grundsteuer auf die zu zahlenden Beträge hat. Das Bundesfinanzministerium (BMF) wird nicht müde zu betonen, dass die Veränderungen insgesamt aufkommensneutral ausgestaltet sind. Trotzdem können sich Steuerbeträge verändern. Einige werden mehr Grundsteuer bezahlen, andere weniger. Viele Netz-User trauen der Politik trotz aller Beteuerungen nicht und spekulieren weiter.
Plant die Bundesregierung einen Lastenausgleich?
Das Gerücht, die Bundesregierung plane einen Lastenausgleich mithilfe der Grundsteuer, verknüpft sich mit dem Starttermin der Grundsteuer und der Bundestagswahl in 2025. Beide Ereignisse sind ein guter Nährboden für Fantasien und Fake-News. Die Bundesregierung dementiert im Deutschen Bundestag eine entsprechende Anfrage der AfD-Fraktion. Sie erklärt, sie plane keinen Lastenausgleich: "Der von den Regierungsparteien getragene Koalitionsvertrag enthält weder eine Vereinbarung zur Einführung einer Vermögensabgabe noch zur Wiederbelebung der Vermögenssteuer noch zur Einführung eines Lastenausgleichs."
Die Klarstellung der Bundesregierung heißt aber nicht, dass es nicht immer wieder Politiker gibt, die eine Vermögenssteuer oder einen andere Varianten eines Lastenausgleichs fordern. So hatte Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel schon zu Anfang der Corona-Krise eine Vermögensabgabe ins Spiel gebracht. "Wir stehen vor einer dramatischen Entwicklung in unserer Wirtschaft“, untermauerte er seine Forderung im April 2020. Da es nur zwei Optionen gibt, den großen Schuldenberg in Zukunft zu bezahlen – staatliche Ausgaben kürzen oder staatliche Einnahmen erhöhen – plädierte er für eine Art Vermögensumverteilung nach der Krise.
Die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Yasmin Fahimi, machte sich ebenfalls im Mai 2022 laut Bericht des Redaktionsnetzwerks Deutschland für einen solchen Schritt stark. "Ich denke an Vermögen über eine Million Euro, die man mit einer Abgabe von einem Prozent versehen könnte", skizzierte sie ihre Idee. Es gibt also einzelne Stimmen, die sich für eine Vermögensabgabe starkmachen. Zwangshypotheken oder Enteignungen im Rahmen der neuen Grundsteuer zur Tilgung der Staatsschulden hat jedenfalls noch kein wichtiger Politiker gefordert.
Gab es in Deutschland schon mal einen Lastenausgleich?
Blickt man in die Geschichte der Republik, zeigt sich, dass die Idee gar nicht so neu ist. Schon 1952 gab es einen Lastenausgleich. Damals trat das Gesetz zur Entschädigung für Verluste durch den Zweiten Weltkrieg in Kraft. Ziel war damals: "Diejenigen, die ihr Vermögen und ihre wirtschaftliche Existenz über den Krieg gerettet hatten, sollten die materiellen Lasten derjenigen ausgleichen, die fast alles verloren hatten", erklärte Henning Bartels, Vizepräsident des Bundesausgleichsamts, in einem Vortrag. Damals ging es darum, den Opfern von Bombardierungen, Vertreibung und Währungsreform zu helfen. Das Geld mussten die Bürger aufbringen, die ihren Besitz im Krieg nicht verloren hatten.
Konkret sah das dann so aus: Der Staat belegte bei einem Vermögen von über 5000 D-Mark eine Abgabe in Höhe von 50 Prozent. Allerdings war es möglich, die Zahlungen über 30 Jahre zu strecken. Auf diese Weise betrug die Belastung der Betroffenen durch den Lastenausgleich lediglich 1,67 Prozent pro Jahr. So kamen etwa 150 Milliarden D-Mark zusammen. Der Lastenausgleich von 1952 war ein völlig anderer als er jetzt an die Wand gemalt wird.
Der wissenschaftliche Beirat des Bundesfinanzministeriums (BMF) hat die Idee des Lastenausgleichs im Mai 2021 im Rahmen-Gutachten geprüft (Sollte wegen der Corona-Krise eine einmalige Vermögensabgabe erhoben werden?). Darin stellen die Wissenschaftler fest, dass eine "einmalige Vermögensabgabe erhebliche wirtschaftliche Schäden verursacht, weil sie das Vertrauen von Sparern und Investoren erschüttert." Der Vergleich mit der Vermögensabgabe nach dem Zweiten Weltkrieg sei ebenfalls nicht zielführend. "Denn die Größenordnung der kriegs- und vertreibungsbedingten Vermögensverluste nach 1945 war ungleich größer als die Einkommensausfälle im Zuge der Corona-Krise." In diesem Gutachten ist keine Rede von Enteignung oder Zwangshypotheken.
Fazit
Die völlig berechtigte Frage, wie mit den angehäuften Schuldenbergen zukünftig umzugehen ist, gilt es strikt von der neuen Grundsteuer zu trennen. Das "Gerechtigkeitsprojekt Grundsteuer" angestoßen vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG), hat nichts mit der hohen Staatsverschuldung zu tun. Beide Sachverhalte zu einem Brei zu vermengen, führt in die Irre.