- Arbeit kann interessant und befriedigend sein, Ausbeutung führt aber zu Frust
- Der feine Unterschied zwischen Mehrarbeit und Überstunden
- Vergütung von Überstunden: Das regeln normalerweise Tarif- und Arbeitsverträge
- Was ist besser: Geld oder Freizeit?
- Die Krux mit der Erfassung der Überstunden
In Deutschland arbeiten die rund 45,4 Millionen Beschäftigten mehr unbezahlte als bezahlte Überstunden. In Zahlen des Statistischen Bundesamtes ausgedrückt, sieht das dann so aus: Im Jahr 2021 machten die Arbeitnehmenden in Deutschland rund 818 Millionen bezahlte und ca. 893 Millionen unbezahlte Überstunden. Warum verschenken die fleißigen Deutschen so viel Geld?
Arbeit kann befriedigend sein, Ausbeutung führt aber zu Frust
Es soll Menschen geben, die gerne Überstunden machen. Die Süddeutsche Zeitung berichtete von einem Baureferenten, der in Augsburg knapp 5.000 Überstunden angehäuft hat und jetzt darauf hofft, dass die Stadt diese bezahlt. Der Beamte im Südwesten Bayerns brennt offenbar für seinen Job.
Daran ist nichts auszusetzen. Es ist schön, wenn du gerne arbeitest. Aber dass Mitarbeitende einfach mehr arbeiten, und das alles ohne Entgelt, ist nicht akzeptabel. Oftmals ist es so, dass in der vereinbarten Arbeitszeit das Pensum nicht zu schaffen ist. In diesen Fällen ist die Arbeit neu zu organisieren und zu verteilen. Und dann gibt es auch das noch: Es ist schlicht Ausbeutung, wenn die Schicht von Paketbot*innen nicht nach acht oder neun Stunden endet, sondern erst dann vorbei ist, wenn sie alle Pakete ausgeliefert haben. Die Arbeitgebenden übertragen die Risiken des Geschäfts auf das "schwächste Glied in der Kette", die Zustellenden. Diesen Machtmechanismus erleben auch Hochqualifizierte, etwa angestellte Ärzt*innen.
In diesen klaren Fällen braucht es Schutz: verbindliche Tarifverträge, starke Vertreter*innen der Mitarbeitenden und im Ernstfall die Möglichkeit des Staates, Ausbeutung zu sanktionieren. Neben den grundsätzlichen Problemen, die hinter zu vielen Überstunden stecken, gibt es noch viele praktische Punkte, die zu beachten sind.
Der Unterschied zwischen Mehrarbeit und Überstunden
Wie viele Stunden du im Normalfall arbeiten musst, ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag oder aus dem Tarifvertrag. Diese sehen eine bestimmte Anzahl von Wochenarbeitsstunden vor – alles, was darüber hinaus geht, sind Überstunden und vertraglich nicht vereinbart.
Doch welchen Unterschied gibt es zwischen Mehrarbeit und Überstunden? Mehrarbeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes ist die Arbeitszeit, die über die tägliche Höchstarbeitszeit von 8 Stunden hinausgeht und innerhalb von 24 Wochen auszugleichen ist (tägliche Arbeitszeit). Mehrarbeit bezieht sich immer auf das Arbeitszeitrecht und hat keinen Bezug zur Vergütung. Der Begriff Überstunden beschreibt die Arbeitszeit, die über die vertraglich vereinbarte (Arbeitsvertrag) oder tarifrechtliche (Tarifvertrag) regelmäßige Arbeitszeit hinausgeht und von dem oder der Vorgesetzten entweder angeordnet oder geduldet wird. Beispiel: Ordnet dein Chef an, dass du an einem Tag sieben statt der im Arbeitsvertrag vereinbarten sechs Stunden arbeiten sollst, handelt es sich um eine Überstunde. Mehrarbeit leistest du damit aber noch nicht, da die gesetzliche Höchstarbeitszeit (8 Stunden am Tag) nicht überschritten ist.
Überstunden sind also im Grundsatz nur dann zu leisten, wenn sie zuvor vereinbart sind. Aber: Zulässig ist eine Klausel im Arbeitsvertrag, wonach sich die Weisungsbefugnis der Arbeitgebenden auch auf die Anordnung von Überstunden erstreckt.
Vergütung von Überstunden: Tarif- und Arbeitsverträge
Die Vergütung von Arbeit (und damit auch von Überstunden) ist kein Thema von Arbeitszeitgesetzen. Aber keine Regel ohne Ausnahme: Bei Nachtarbeit schreibt das Arbeitszeitgesetz einen angemessenen Zuschlag vor. Zwischen 23 und 6 Uhr findet das Bundesarbeitsgericht (BAG) 25 Prozent in Ordnung, bei Dauernachtarbeit 30 Prozent (BAG, Urteil vom 9.12.2015, Az.: 10 AZR 423/14).
Geleistete Überstunden sind nicht in jedem Fall höher zu vergüten. Der Mehrbetrag ist im Tarifvertrag oder Arbeitsvertrag geregelt. Sind Zuschläge vereinbart, liegen diese oft in der Größenordnung zwischen 10 und 25 Prozent gegenüber dem sonst üblichen Entgelt. Aber ebenso ist eine unentgeltliche "Überstunden-Klausel" im Arbeitsvertrag möglich. Daraus muss hervorgehen, wie viele Überstunden mit dem Gehalt abgegolten sind. Mit einer Überstundenabgeltung von zehn Prozent der Arbeitszeit dürfte eine angemessene Regelung vorliegen (Urteil Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm vom 16.11.2004, Az.: 19 Sa 1424/05; bestätigt durch BAG vom 16.5.2012, Az.: 5 AZR 331/11).
Pauschale Regelungen sind unzulässig. Einzelvertragliche Klauseln sind nur wirksam, wenn sie transparent und verständlich formuliert sind.Aus der Formulierung im Arbeitsvertrag muss zahlenmäßig hervorgehen, wie viele Überstunden konkret mit dem Grundgehalt abgedeckt sind, so die Vorgabe der Arbeitsgerichte.
Was ist besser: Geld oder Freizeit?
Tarifverträge eröffnen manchmal bei der Abgeltung von Überstunden ein Wahlrecht: Entgelt oder Freizeit. Wenn im Betrieb, in dem du arbeitest, eine solche Regelung besteht, ist dies deine Entscheidung. Die meisten Beschäftigten wählen die Auszahlung, insbesondere, wenn Zuschläge vereinbart sind.
Amazon-Buchtipp: Rich Dad Poor Dad - Was die Reichen ihren Kindern über Geld beibringenAllerdings führt ein höheres Monats-Brutto automatisch zu einem höheren zu versteuernden Einkommen, sodass trotz der Zuschläge die mehr geleistete Arbeitsstunde faktisch geringer bezahlt ist. Dagegen ist ein zusätzlicher freier Tag quasi "steuerfrei“.
Hier musst du selbst entscheiden, was für dich günstiger ist. Einige Tarifverträge sehen einen Vorrang für Freizeitausgleich vor. In diesem Fall kommen nur die Zuschläge, nicht die Überstunden selbst, zur Auszahlung.
Die Krux mit der Erfassung der Überstunden
Zu vergüten sind Überstunden allerdings nur, wenn sie angeordnet oder mit Wissen der Arbeitgebenden geleistet worden sind. Eine Duldung durch die Arbeitgebenden ist nur dann anzunehmen, wenn diese von den Überstunden Kenntnis hatten. Im Streitfall müssen die Arbeitnehmenden darlegen und beweisen, dass
- über die gesetzlich oder tariflich zulässige Arbeitszeit hinausgearbeitet wurde
- die Überstunden von den Arbeitgebenden angeordnet oder geduldet worden sind.
Wenn du einfach nur freiwillig länger arbeitest, ohne den Chef oder die Chefin zu informieren, hast du schlechte Karten. Das sind streng genommen keine Überstunden. Diese liegen nur vor, wenn sie angeordnet wurden oder bekannt waren und stillschweigend geduldet wurden. Das ist auch der Fall, wenn der Chef oder die Chefin den Mitarbeitenden so viel Arbeit hinlegt, dass diese nur mit Überstunden zu bewältigen ist (BAG, Urteil vom 10.4.2013, Az.: 5 AZR 122/12).
Wer Überstunden macht, sollte rechtzeitig die Vorgesetzten informieren und sich das Einverständnis holen. Das geht auch per E-Mail. Im Streitfall müssen die Arbeitnehmenden nachweisen:
- Dass die Arbeitgebenden wissen, wann welche Überstunden zu leisten waren (Kenntnis).
- Dass die Arbeitgebenden aber nicht eingeschritten sind, als weitere Überstunden anfielen (Hinnahme).
- Dass die Arbeitgebenden nicht nachweisen können, welche Maßnahmen sie zur Unterbindung (evtl. nicht gewollter Überstunden) ergriffen haben.
Klagen vor Gericht scheitern häufig daran, dass Arbeitnehmende geleistete Überstunden nicht nachweisen können. Wenn es kein Zeiterfassungssystem gibt, solltest du die Zeiten genau aufschreiben, ebenso, welche zusätzlichen Aufgaben du erledigt hast. Du musst im Streitfall darlegen, an welchem Tag, zu welcher Uhrzeit und warum Überstunden anfielen (BAG, Urteil vom 16.5.2012, Az.: 5 AZR 347/11). Bestreitet der Chef oder die Chefin die Angaben, reicht mitunter nicht einmal das. Am besten lässt du deine Stunden möglichst zeitnah abzeichnen.
Fazit
Überstunden gehören zum Arbeitsleben dazu. Sie ganz auszuschließen, ist fast unmöglich. Sind es übermäßig viele, ist es nur mehr als fair, wenn die Arbeitgebenden sie bezahlen. Beim Nachweis der Stunden könnte vieles leichter sein, wenn die Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 14.5. 2019, Az.:C-55/18) hierzulande umgesetzt würde. Sie verpflichtet Arbeitgeber*innen dazu, verlässliche Systeme einzurichten, mit denen die tägliche Arbeitszeit ihrer Mitarbeitenden erfasst wird. Die Frage nach Normalarbeitszeit oder Überstunden, wäre damit klar zu beantworten.
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