Gibt es für neue PV-Anlagen bald keine Möglichkeit mehr, den überschüssigen Strom ins Netz einzuspeisen? Der Netzbetreiber aus Reutlingen, FairNetz, hat im Juli bereits die Notbremse gezogen und kauft keinen überschüssigen Strom von PV-Anlagenbesitzenden mehr. Führt die Erfolgsgeschichte der PV-Anlagen letztlich zum Stopp bei der Solarenergie? 

Mit wie viel Geld weniger müssen die Kunden beim Einspeisestopp kalkulieren?

FairNetz teilte seinen Kunden Mitte Juli mit, dass er zwar weiterhin neue Solaranlagen anschließen will, diese aber nur Strom für den eigenen Haushalt liefern dürfen. Damit entfällt für Haushalte vorerst die Vergütung, die sie normalerweise für jede Kilowattstunde Solarstrom erhalten, die sie ins Stromnetz einspeisen. Aktuell bekommt eine Kleinanlage für den eingespeisten Überschussstrom noch 7,86 Cent je Kilowattstunde (bis 10 kWp bei Teileinspeisung).

Hinzu kommt, dass Hausbesitzer in Baden-Württemberg seit 2022 bei Neubauten und größeren Dachsanierungen verpflichtet sind, PV-Anlagen zu installieren (Klimaschutz- und Klimawandelanpassungsgesetz Baden-Württemberg), abgekürzt Klimagesetz Baden-Württemberg. 

Mona Keller, Leiterin Netzentwicklung von FairNetz, erklärt dazu in einer Pressmeldung des Netzbetreibers: "Wir ermöglichen unseren Kundinnen und Kunden den Bau und Betrieb ihrer Anlage für den Eigenverbrauch, auch wenn derzeit noch keine Einspeisung ins öffentliche Netz genehmigt werden kann." Der Solaranlagen-Spezialist, 1Komma5-Grad, hat errechnet, dass ohne zusätzliche Komponenten wie Batterie oder Steuerung in der Regel 70 % bis 80 % vom selbsterzeugten Strom ins Netz eingespeist werden. Fällt die Einspeisevergütung, wie im Fall Reutlingen, weg, müssen die Kunden auf 560 Euro bis knapp 600 Euro pro Jahr an Einnahmen verzichten.

Wird die Erfolgsgeschichte den Solaranlagen zum Verhängnis?

Wie in Reutlingen wächst die Zahl der Solaranlagen in ganz Deutschland schnell. Viele Stromnetze sind jedoch bislang nur auf einzelne Stromeinspeiser wie konventionelle Großkraftwerke ausgelegt – nicht aber auf eine Vielzahl von Haushalten mit eigenen Solaranlagen auf dem Dach, die zur gleichen Zeit Strom einspeisen.

Im Grunde sind die PV-Anlagen jetzt Opfer ihres eigenen Erfolgs: Deutschlandweit sind allein im Jahr 2024 rund 16 Gigawatt (GW) neue PV-Leistungen installiert worden. Damit liegt die gesamte installierte Photovoltaik-Leistung erstmals über 100 GW, Tendenz weiter steigend. Der Solarstrom deckt mittlerweile mehr als 10 % des Stromverbrauchs in Deutschland – "Eine Erfolgsgeschichte mit wachsendem Koordinationsaufwand für Verteilnetzbetreiber wie FairNetz", beschreibt Thorsten Jansing, Geschäftsführer von FairNetz, die Lage.

Und er fährt in der Pressmitteilung FairNetz fort: "Diese Entwicklung zeigt eindrucksvoll, wie stark und erfolgreich sich die dezentrale Energieerzeugung etabliert hat. Gleichzeitig bringt sie jedoch bundesweit das Stromnetz zunehmend an seine Grenzen."

Was sind die Hindernisse beim Netzausbau?

Es liegt also beim Zahlungsstopp in Reutlingen und bei FairNetz nicht am fehlenden Willen oder gar an einem Boykott der Solarenergie. Die Grenzen des Netzes sind einfach erreicht. Notwendig ist ein Netzausbau. Der dauert aber, weil die Planungs- und Genehmigungsverfahren aufwändig sind, die Ressourcen an Fachkräften und an Material knapp sind. Bislang sind die Finanzierungsperspektiven für Verteilnetze ungeklärt. 

"Wir sprechen hier nicht von kleinen Maßnahmen – wir tauschen Transformatoren, errichten neue Ortsnetzstationen und verlegen kilometerweit neue Leitungen", betont Mona Keller. Insbesondere bei der Suche nach geeigneten neuen Stellplätzen für Ortsnetzstationen stehen Verteilnetzbetreiber wie FairNetz vor Herausforderungen. 

Um bei neuen PV-Anlagen Planungssicherheit zu schaffen, hat FairNetz eine digitale Netzanschlussprüfung eingeführt. Im Internet können Interessierte in wenigen Schritten prüfen, ob am jeweiligen Hausanschluss derzeit eine Einspeisung möglich ist. Die Bundesnetzagentur in Bonn beobachtet die Entwicklung und schreibt, dass die schnell wachsende Erzeugung und Einspeisung von Solarstrom führe zu neuen Anforderungen an die "Marktintegration des Solarstroms und für die Stabilität des Stromnetzes." Das Beispiel Reutlingen zeigt, welche konkreten Probleme vor Ort das sind, die sich hinter den Beschreibungen der Netzagentur verbergen.