- Was ist die "Online-AU-Krankschreibung" aus dem Internet?
- Was hat das Landesarbeitsgericht entschieden?
- Ist eine "Online-AU ohne Arztgespräch" zulässig?
- Wie funktioniert die telefonische Krankschreibung?
- Wie geht es weiter mit der "Online-AU"?
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) aus dem Internet, die sogenannte Online-AU, kann den Job kosten. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm hat entschieden, dass die Firma zu Recht die Kündigung für einen Mitarbeiter aussprechen durfte, der eine AU vorlegte, die er im Internet gekauft hatte. Was war passiert und wie unterscheidet sich die Online-AU von der telefonischen Krankschreibung?
Was ist die "Online-AU-Krankschreibung" aus dem Internet?
Eine Krankschreibung (AU) kannst du im Internet gegen Zahlung einer Gebühr (oftmals für unter 30 Euro) kaufen. Das geht relativ einfach, unkompliziert und ohne Gespräch mit dem Arzt oder der Ärztin – weder persönlich noch telefonisch oder per Video-Call. Stattdessen tragen die Patientinnen und Patienten ihre Symptome in ein Onlineformular ein, zahlen eine Gebühr und erhalten kurz darauf die AU-Bescheinigung per WhatsApp oder E-Mail.
Einige Anbieter im Netz unterscheiden zwischen einer teureren "Krankschreibung mit Arztgespräch" und einer preiswerteren "ohne Gespräch", die nur auf Grundlage des ausgefüllten Fragebogens erstellt wird. Die AU ist die Voraussetzung für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch deinen Arbeitgeber.
Das Problem dabei ist folgendes: Nach der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (§ 4 Abs. 1 AU-RL) darf eine AU nur auf Grundlage einer ärztlichen Untersuchung erfolgen. Nur in begründeten Ausnahmefällen kann das auch per Video oder telefonisch erfolgen. Das setzt immer voraus, dass es zu einem realen Kontakt zwischen Arzt und Patient kommt. Fehlt der persönliche Kontakt, liegt keine ordnungsgemäße AU vor. Der Arbeitgeber muss die Krankschreibung also nicht anerkennen. Konkret führt das dazu, dass die Firma für die Krankheitstage keine Entgeltfortzahlung leisten muss. Die AU ist in diesem Fall kein Beweismittel im Sinne von § 5 Abs. 1 S. 2 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) und der Arbeitgeber ist berechtigt, die Entgeltzahlung einzustellen.
Was hat das Landesarbeitsgericht entschieden?
Ein IT-Mitarbeiter einer Firma entschied sich für eine AU "ohne Gespräch", um sie von einem Anbieter im Ausland zu kaufen. Laut der Bescheinigung war er von einem "Privatarzt per Telemedizin" für vier Tage krankgeschrieben. Er sei "arbeitsunfähig aufgrund Fernuntersuchung", teilte er seinem Arbeitgeber mit. Nach einer internen Prüfung kündigte ihm sein Arbeitgeber außerordentlich und fristlos. Es kam zur Klage vor dem Arbeitsgericht.
Im konkreten Fall hatte sich der Mitarbeiter über eine Internetplattform eine Bescheinigung ausstellen lassen, nachdem er lediglich einen digitalen Fragebogen ausgefüllt hatte. Das Gericht sah darin eine Täuschung und befand: Eine solche Bescheinigung hat keinen Beweiswert, weil keine ärztliche Untersuchung oder Anamnese stattgefunden hat.
Die Richter bestätigten damit die fristlose Kündigung des IT-Spezialisten und hoben eine frühere anderslautende Entscheidung des Arbeitsgerichts Dortmund auf. Fazit des Gerichts: Eine reine Online-Bescheinigung ohne Gespräch oder Video-Kontakt genügt den medizinischen Standards nicht.
Ist eine "Online-AU ohne Arztgespräch" zulässig?
Die 14. Kammer des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm (Urteil vom 5.9.2025, Az.: 14 SLa 145/25) warf dem IT-Arbeitnehmer vor, "bewusst wahrheitswidrig" suggeriert zu haben, er habe für die Krankschreibung Kontakt zu einem Arzt gehabt.
Die Verwendung des Begriffs "Fernuntersuchung" spreche für eine tatsächliche Anamnese im Wege einer Kommunikation. Das werde durch das äußere Erscheinungsbild der Bescheinigung noch einmal verstärkt. Sie sah einer echten AU täuschend ähnlich. Optisch entsprach sie dem Vordruck der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
Sie trug den Hinweis "Privatarzt per Telemedizin" und eine deutsche WhatsApp-Nummer – tatsächlich hatte aber kein Gespräch mit einem Arzt stattgefunden, wie das LAG in der Beweisaufnahme feststellte. Die Richter entschieden deshalb, dass eine "Online-AU ohne Arztgespräch" nicht zulässig ist und sogar die fristlose Kündigung durch die Firma gerechtfertigt ist.
Wie funktioniert die telefonische Krankschreibung?
Von der Online-AU zu unterscheiden ist die umstrittene, aber rechtlich zulässige telefonische Krankschreibung. Sie kam in der Zeit der Corona-Pandemie in die AU-RL. Anstatt in die Arztpraxis zu gehen, können sich erkrankte Beschäftigte auch per Telefon eine Arbeitsunfähigkeit bescheinigen lassen. Sie galt zunächst übergangsweise, um die Arztpraxen zu entlasten und das Infektionsrisiko zu verringern. Inzwischen ist eine dauerhafte Regelung in der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (§ 4 Abs. 5 AU-RL) beschlossen.
Dabei gelten bestimmte Voraussetzungen:
- Eine Krankschreibung per Telefon ist erlaubt, wenn die Patientin oder der Patient der Praxis persönlich bekannt ist (z. B. durch früheren Besuch),
- eine leichte, absehbar vorübergehende Erkrankung vorliegt (z. B. Erkältung, Magen-Darm-Infekt) und
- die Ärztin oder der Arzt nach fachlicher Einschätzung eine telefonische Anamnese für ausreichend hält.
Die Bescheinigung kann der Mediziner nur für bis zu fünf Kalendertage ausstellen. Eine Verlängerung ist nur nach einem persönlichen Arztkontakt (in der Praxis oder per Video) möglich. Diese Regelung gilt auch für Eltern, die ein krankes Kind betreuen, sofern die Kinderarztpraxis das Kind kennt und nur eine leichte Erkrankung besteht.
Wie geht es weiter mit der "Online-AU"?
Die telefonische AU ist allerdings umstritten. So fordert der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, in der FAZ, sie vollständig abzuschaffen. Sein Argument: "Steigende Kosten für Lohnfortzahlungen sind ein erheblicher Ballast, der den Weg raus aus der Rezession erschwert", so der Arbeitgeberpräsident. Außerdem befürchtet die BDA einen verstärkten Missbrauch und Betrug. BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter kritisiert die telefonische Krankschreibung als eine "Fehlleistung der Gesundheitspolitik".
Ärztefunktionär Andreas Gassen von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) plädiert dagegen dafür, die Regeln bei der Krankmeldung weiter zu lockern. Im RedaktionsNetzwerk Deutschland forderte er, dass Arbeitgeber bei kurzen Erkrankungen kein Attest mehr verlangen sollten. Derzeit ist ein Attest in den ersten drei Tagen nicht unbedingt vorgesehen, Arbeitgeber können es aber verlangen. Dieses Recht will Gassen streichen und schlägt vor, den Zeitraum sogar auf vier oder fünf Tage auszudehnen.
Die Schwarz-Rot-Regierungskoalition hat sich im Koalitionsvertrag zur telefonischen Krankschreibung geäußert. Sie will die Regelung beibehalten, dass bis zu fünf Kalendertage bei leichten Erkrankungen die telefonische Krankschreibung möglich ist. Allerdings wollen die Koalitionäre die Regelungen so verändern, dass Missbrauch künftig ausgeschlossen ist. Konkret genannt ist die "Online-Krankschreibung durch private Online-Plattformen".