Kündigungsschutz hat jeder Beschäftigte? Stimmt nicht. Der ist in Deutschland weit weniger verbreitet, als man denkt. Von den rund 3,2 Mio. Betrieben hatten 2021 knapp 2,6 weniger als 10 Beschäftigte. In diesen Betrieben arbeiteten im Jahr 2020 ca. 5,38 Mio. Arbeitnehmer. Für sie gilt das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nicht. Sind wir also auf dem Weg zu amerikanischen Verhältnissen, in denen "Hire and Fire" der Beschäftigten an der Tagesordnung ist?  

Die Besonderheit für Kleinstbetriebe bis zehn Beschäftigte

Zunächst einmal zu den Fakten: Der Betrieb, in dem du arbeitest, hat nicht mehr als zehn Beschäftigte? In diesem Fall kann die Chefin oder der Chef dich in der Regel ohne Angabe von Gründen entlassen. Bei einer ordentlichen Kündigung hast du keinen Anspruch, etwas zu den Beweggründen zu erfahren. Anders als in größeren Unternehmen greift das Kündigungsschutzgesetz in Kleinstbetrieben (bis zu 10 Beschäftigte, § 23 KSchG) nicht. Aber: "Bei der fristlosen Kündigung aus wichtigem Grund muss der Arbeitgeber dem Kündigenden den Kündigungsgrund auf dessen Verlangen unverzüglich schriftlich mitteilen", heißt es auf der Internetseite der Industrie- und Handelskammer (IHK) Essen.

Die Ermittlung des Schwellenwerts von bis zu 10 ist keineswegs banal. Diese Aufgabe muss der Betrieb erledigen. Wie dabei zu rechnen ist, erklärt die IHK Essen: Klar: Eine Vollzeitbeschäftigung schlägt mit dem Faktor eins zu Buche. Wer bis zu 30 Arbeitsstunden pro Woche Teilzeit arbeitet, ist mit 0,75 anzusetzen. Bei nicht mehr als 20 Arbeitsstunden pro Woche beträgt der Wert 0,5. Auszubildende, Praktikanten und die Chefin oder der Chef bleiben bei der Berechnung der Betriebsgröße unberücksichtigt.  

Eine Besonderheit ergibt sich aus der Geschichte des KSchG, betont die IHK. Zum Jahresende 2003 gab es eine Gesetzesänderung, die den damaligen Schwellenwert von fünf Mitarbeitern auf zehn heraufsetzte. Diese Verschlechterung beim Kündigungsschutz betrifft allerdings nicht die Beschäftigten, die am 31.12.2003 schon in einem Betrieb mit mehr als fünf Mitarbeitern beschäftigt waren. Sie genießen so lange Kündigungsschutz nach dem KSchG, wie mehr als fünf Alt-Arbeitnehmer in dem Betrieb beschäftigt sind. Allerdings müssen sie ebenfalls bereits zu diesem Datum dort beschäftigt gewesen sein (Bestandsschutz). Die neueren Mitarbeiter dagegen genießen keinen Kündigungsschutz.

Es gibt Grenzen, die Kleinstbetriebe berücksichtigen müssen

Zwar kann ein Kleinstbetrieb jedem Arbeitnehmer jederzeit kündigen. Aber: Von diesem Grundsatz gibt es Ausnahmen, die wieder Grenzen setzen. Verbot der treuwidrigen Kündigung: Arbeitgebende dürfen sich bei der Kündigung nicht von willkürlichen oder sachfremden Gründen leiten lassen. Kann der Betroffene nachweisen, dass er oder sie aufgrund von Geschlecht, Abstammung, ethnischer Herkunft oder Religion gekündigt wird, ist das vor dem Arbeitsgericht angreifbar. 

Die guten Sitten: Verwerfliche Motive wie Rachsucht oder eine durch den Arbeitgeber selbst herbeigeführte Krankheit sind sittenwidrig, deshalb nicht erlaubt und haben ebenfalls bei einem Arbeitsgerichtsprozess keinen Bestand. 

Das "Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme": Jede Kündigung, auch die in einem Kleinstbetrieb, bedarf nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts (BAG) (Urteil vom 21.2.2001, Az.: 2 AZR 15/00) ein Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme. Deshalb darf die Chefin oder der Chef nicht einen langjährigen Mitarbeiter mit drei Kindern und einer schwer kranken Frau vor die Türe setzen. Wenn er gleichzeitig einen gerade eingestellten Single weiter beschäftigt, der keinerlei Unterhaltsverpflichtungen hat. 

Kündigungsfristen gelten auch für Kleinstbetriebe

Kündigungsfristen gelten auch für Kleinstbetriebe und sind abhängig von der Dauer der Betriebszugehörigkeit. Bei einer Betriebszugehörigkeit von unter zwei Jahren beträgt die Kündigungsfrist nach § 622 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) beispielsweise vier Wochen zum 15. oder zum Monatsende. Ist ein Beschäftigter seit über 20 Jahren in einem Betrieb tätig, liegt die Kündigungsfrist bei sieben Monaten zum Monatsende. Während einer vertraglich vereinbarten Probezeit, die höchstens sechs Monate dauern darf, gilt eine Kündigungsfrist von zwei Wochen. Die Kündigungsfristen betragen, wenn das Arbeitsverhältnis

  • zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats,
  • fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
  • acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
  • zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats,
  • zwölf Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats,
  • 15 Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats,
  • 20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats.

Im Arbeitsvertrag können auch längere Kündigungsfristen vereinbart sein. Bei wichtigen Gründen kann auch der Kleinstbetrieb fristlos kündigen (außerordentliche oder fristlose Kündigung, § 626 BGB). Das Arbeitsverhältnis ist dann mit sofortiger Wirkung gelöst. Bei einer sog. verhaltensbedingten Kündigung ist in vielen Fällen allerdings (mindestens) eine vorherige Abmahnung erforderlich.

Unbedingt auf Formfehler achten

Für bestimmte Arbeitnehmergruppen kann auch in Kleinstbetrieben ein besonderer Kündigungsschutz gelten. Dazu gehören Azubis nach der Probezeit, Schwerbehinderte, Schwangere, Beschäftigte in Elternzeit und Betriebsratsmitglieder. In 12 % aller Kündigungen schleichen sich Fehler ein, welche das Entlassungsschreiben für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anfechtbar machen. Das hat die Anwaltskanzlei Ratis aus Passau mithilfe des Data Science Unternehmen One Logic, ebenfalls aus Passau, bereits 2018 in einer Erhebung festgestellt. Damals ging es um 785 Kündigungsfälle. Der Hauptgrund: Bei 7 % der untersuchten Kündigungen kam es fälschlicherweise zu Entlassung von Mitarbeitern, die einen besonderen Kündigungsschutz haben. 

Viele Arbeitgeber machen also Formfehler bei der Kündigung, die den Rauswurf hinfällig machen. Eine Kündigung muss zum Beispiel stets schriftlich mit einer Original-Unterschrift erfolgen. "Das bedeutet: Kein Fax, keine E-Mail, auch keine farbige PDF-Kopie, was bisweilen passiert", erklärt Peter Meyer, Fachanwalt für Arbeitsrecht, der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Wenn ein Geschäftsführer zum Beispiel im Ausland ist, kann das schon mal knifflig werden", so Meyer. 

Der gekündigte Arbeitnehmer muss solche Fehler allerdings innerhalb einer Woche nach Zugang der Kündigung rügen. Zwar kann der Arbeitgeber in der Regel gleich noch einmal (und diesmal korrekt) kündigen. Aber wenn die fristgerechte Kündigung eventuell erst einen Monat später erfolgen kann, bleibt den geschassten Mitarbeitern zumindest etwas länger Zeit, um sich einen neuen Job zu suchen.

Lockerung des Kündigungsschutzes hatte geringe Wirkung

Die gesetzliche Regelung erleichtert es dem Kleinstbetrieb, sich schneller von Personal zu trennen. Für eine ordentliche Kündigung sind dafür keine personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Gründe anzuführen. Das erleichtert z. B. die Trennung von Beschäftigten, die häufig krank sind (die Gesundheitsprognose entfällt) oder im Vergleich zu den anderen Beschäftigten schlechtere Leistungen (Low Performer) erbringen. Auch Abfindungen sind in kleinen Unternehmen selten ein Thema. 

Welche Wirkung der gelockerte Kündigungsschutz in den Folgejahren nach 2004 auf die Beschäftigungschancen und auf Kündigungen hatte, untersuchte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Das Fazit: Die Änderungen der Schwellenwerte im deutschen Kündigungsschutzrecht hatten weder auf die Zahl der Einstellungen noch auf die Zahl der Kündigungen einen messbaren Einfluss. 

Angesichts der sich durch Fachkräfteengpässe immer weiter verschärfenden Lage auf dem Arbeitsmarkt, setzen Unternehmen zunehmend auf eine langfristige Bindung. Dazu passt keine "Hire and Fire-Strategie", auch nicht in Kleinstbetrieben. Arbeitsmarktforscher Philipp Grunau vom IAB verweist im Interview mit dem Regio-Manager auf Studien, die belegen, dass ein wahrgenommener unsicherer Arbeitsplatz mit geringerer Jobzufriedenheit, Verbundenheit mit dem Arbeitgeber und Produktivität einhergeht. "Insbesondere in Bereichen mit ausgeprägten Fachkräfteengpässen zahlt es sich, selbst bei moderaten Nachfrageschwankungen bei den Aufträgen, langfristig aus, für sichere Arbeitsplätze zu sorgen."