Die bayerischen Handwerksbetriebe sind sauer auf Bundeskanzler Friedrich Merz und sein Regierungsteam. Nach 100 Tagen im Amt kritisieren die Präsidenten des Handwerks, Franz Xaver Peteranderl, Chef des bayerischen Handwerkstages (BHT) und Jörg Dittrich, Chef des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), die Bundesregierung massiv. Vor allem die versprochene, aber nicht umgesetzte, Senkung der Stromsteuer, verärgert das Handwerk. Allerdings: Bei der Anhebung des Renteneintrittsalters auf 70 oder gar 75 Jahre ist es aus mit der Einigkeit.

Warum hat die ausgebliebene Senkung der Stromsteuer die Handwerksbetriebe verärgert?

Maßlos enttäuscht zeigte sich der BHT-Präsident Franz Xaver Peteranderl vor allem darüber, dass die Bundesregierung die für die Handwerksbetriebe versprochene Senkung der Stromsteuer wieder einkassiert hat. "Hier wurde unnötig Vertrauen zerstört. Die Handwerksbetriebe hatten sich darauf verlassen, in der schwierigen wirtschaftlichen Lage mit international wettbewerbsfähigen Energiekosten planen zu können. Verlässlichkeit ist gerade in Zeiten wie diesen besonders wichtig und die Grundlage für Investitionen."

Viel Porzellan hat die Bundesregierung damit zerschlagen, dass sie die Stromsteuer nur für große Industriekonzerne senkt, nicht aber für kleine Betriebe. Energieintensive Handwerke, wie z. B. Bäckereien, KFZ-Betriebe, Metallhandwerker, Friseure oder Textilreinigungen bräuchten ebenso bezahlbare Energie, wie industriell geprägte Großunternehmen.

Peteranderl: "Nur einzelne Teile der Wirtschaft zu entlasten, ist ungerecht und verzerrt den Wettbewerb. Das bayerische Handwerk fordert die Bundesregierung daher auf, ihre Entscheidung zu korrigieren und alle unsere Gewerke bei der Strompreiskompensation zu berücksichtigen." Schließlich hätten die Handwerker auf diese Zusage vertraut und sie bei ihren Planungen einbezogen "und darauf basierend unternehmerische Entscheidungen getroffen", ergänzt ZDH-Präsident Dittrich auf der Nachrichtenseite handwerk.com.

Wie groß ist die Wut bei den Handwerksbetrieben?

Die Stimmung im Handwerk scheint auf dem Nullpunkt angekommen zu sein. Nach der Entscheidung des Koalitionsausschusses, die Stromsteuer für alle vorerst nicht abzusenken, hat das Handwerk der Bundesregierung sogar Wortbruch vorgeworfen. "Es gibt Wut bei vielen Leuten. Ich bekomme viele Anrufe dazu", sagte Dittrich im Interview mit der Bild-Zeitung, das der ZDH veröffentlichte.

Frank Hüpers, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Handwerkstags (BHT), relativiert im Gespräch mit BR2, allerdings die Aussage des Präsidenten, dass die Wut groß sei. Vereinzelt möge es schon Wut geben, aber pauschal könne er davon nicht berichten. Trotzdem fasst ZDH-Präsident Dittrich fasst seine Kritik in einem plakativen Bild so zusammen: "Wir sitzen in einem Schiff, das am Rumpf ein Leck hat. Wenn wir dieses nicht bald abdichten, wird der Kahn komplett untergehen." 

Nach den gewaltigen Schritten in die Verteidigung, sei jetzt "mehr Mut erforderlich, um die dringend nötigen Strukturreformen anzupacken", so der BHT-Präsident. Franz Xaver Peteranderl fordert, "die Senkung der Körperschaftsteuer", und zwar noch in diesem Jahr. "Da der größte Teil unserer Betriebe Einzelunternehmen und Personengesellschaften sind, braucht es zusätzlich eine Senkung der Einkommensteuer.

Unterschiedliche Positionen: Rente erst mit 70 oder gar mit 75 Jahren?

Ein großes Problem sieht der bayerische Handwerkstag im Sozialsystem (Rente, Pflege oder Krankenkassen). Was aus Wirtschaftssicht gar nicht gehe, sei, die Beiträge weiter anzuheben. Dadurch würden nur die Lohnnebenkosten weiter steigen. Frank Hüpers fordert deshalb, dass die Politik ehrlich über Leistungskürzungen debattieren muss.

Dazu könne, laut Frank Hüpers, auch zählen, dass sich die Rente deutlich nach hinten verschiebt, auf 70 oder auch 75 Jahre. Hierzu gibt es allerdings im Handwerk unterschiedliche Meinungen. Jens-Norbert Schmidt, Dachdeckermeister und Innungsobermeister aus Teuchern in Sachsen-Anhalt, wird im Focus zitiert, dass er eine Erhöhung des Rentenalters grundsätzlich für notwendig hält. "Dass wir das Rentenalter auf 70 erhöhen müssen, und zwar für alle, ist ein Muss. Daran führt aus meiner Sicht überhaupt kein Weg vorbei. Das ist allein eine mathematische Frage, keine politische." Schmidt hat einen Betrieb mit mehr als 40 Mitarbeitenden.

Anders sieht das Otto Peetz, Inhaber eines Dachdeckerbetriebs in Tübingen mit ebenfalls mehr als 40 Mitarbeitern. Auch er hält die Rente mit 70 für unvermeidlich, bezeichnet sie aber für seine Branche als "absolut utopisch". Ebenfalls zu Focus sagt er: "Die wenigsten schaffen es in unserem Job, bis 65 durchzuarbeiten. Nach 40 Jahren ist man im Baugewerbe einfach körperlich kaputt." Deshalb fordert Peetz: "Wer 45 Jahre im Bauhauptgewerbe gearbeitet hat, sollte abschlagsfrei in Rente gehen können – unabhängig vom Alter. Das wäre fair." 

Kommt das Sofortprogramm zum Abbau von Berichtspflichten und Nachweisen?

Auch bei der Reduktion der Abgabenlast drängt das Handwerk auf schnelle Fortschritte: "Steigende Lohnkosten sind im arbeitsintensiven Handwerk einer der Hauptkostentreiber. Um Betriebe und Beschäftigte finanziell zu entlasten, müssen die Sozialabgaben deutlich gesenkt werden. Um die sozialen Sicherungssysteme generationengerecht auszugestalten, müssen wir ehrlich sagen, was notwendig und dauerhaft finanzierbar ist", fordert Peteranderl.

Ebenso erwartet das bayerische Handwerk, dass den Ankündigungen zum Bürokratieabbau auch mutige Taten folgen. Der BHT-Präsident: "Wir fordern ein Sofortprogramm zum Abbau von Berichtspflichten und Nachweisen."

Besonders wichtig ist dem BHT, den Investitionsstau in den Bildungsstätten des Handwerks aufzulösen. Dafür sind jährlich 250 Millionen Euro vom Staat erforderlich. Auch die Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung (ÜLU) brauche eine verlässliche Drittelfinanzierung vom Bund – mit 100 Millionen Euro jährlich, so die Forderung von Peteranderl.