- Was ist Typ-1-Diabetes überhaupt?
- Was konnten die Forscher*innen herausfinden?
- Entwicklungsschritte des Medikamentes
- Was bedeutet dies für die Zukunft?
Eine Typ-1-Diabetes-Erkrankung beginnt meist in frühem Alter. Verschieben konnte man den Ausbruch der Krankheit bisher nicht; doch nun wurde in den USA erstmals eine Antikörpertherapie zugelassen, die genau das erreichen soll. Was dies für die zukünftige Therapie bedeuten könnte und was genau die Forschenden herausgefunden haben:
Typ-1-Diabetes: Das steckt hinter der Erkrankung
Typ-1-Diabetes ist keine Seltenheit. Allein in Deutschland leben rund 373.000 Menschen mit der Erkrankung. Darunter sind rund 32.000 Kinder und Jugendliche. Wie die Gesundheitsinformation des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) verrät, erkranken jährlich etwa 2 von 10.000 Kindern neu. In den meisten Fällen beginnt die Erkrankung bereits in der Kindheit, der Jugend oder im jungen Erwachsenenalter. Häufig wird Typ-1-Diabetes deshalb auch juveniler, also jugendlicher, Diabetes genannt.
Bei Diabetes handelt es sich grundlegend um einen Überbegriff für verschiedene Erkrankungen des Stoffwechsels. Die verschiedenen Diabetes-Formen haben gemeinsam, dass Patient*innen durch einen Insulin-Mangel und/oder eine verminderte Insulinwirkung erhöhte Blutzuckerwerte haben.
Typ-1-Diabetes wird durch einen absoluten Mangel des Hormons Insulin verursacht. Diese Diabetes-Form wird durch ein Versagen der Zellen in der Bauchspeicheldrüse verursacht. Diese produzieren normalerweise das Hormon Insulin. Insulin gehört zu den 6 wichtigen Hormonen, die unseren Körper hauptsächlich steuern. Bislang ist Typ-1-Diabetes nicht heilbar, weshalb sich Patient*innen ihr Leben lang Insulin spritzen müssen. Mehrfach täglich muss der Blutzucker gemessen werden. Für Betroffene ist es wichtig, dass sie ihre Ernährung auf die Insulindosierung abstimmen, um Blutzuckerschwankungen vorzubeugen.
Medikament gegen den Ausbruch von Typ-1-Diabetes
In den USA wurde nun eine Antikörpertherapie zugelassen, welche ermöglichen soll, den Ausbruch der Krankheit Typ-1-Diabetes hinauszuzögern. Wie unter anderem die Zeitschrift Spektrum berichtet, kann die 21-jährige Mikayla aus Idaho durch die Behandlung aktuell frei von Diabetes leben. Bei ihr wurde ein stark erhöhtes Erkrankungsrisiko festgestellt, woraufhin sie sich einer Behandlung mit dem Medikament Teplizumab unterzog. Der Wirkstoff ist darauf ausgerichtet, diejenigen T-Zellen in unserem Immunsystem zurückzuhalten, welche die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstören.
Mikayla war eine von insgesamt 76 Proband*innen, die zwischen 2011 und 2018 jeweils zweiwöchige Behandlungen mit Teplizumab im Rahmen einer klinischen Studie erhielten. Einige der Studienteilnehmer*innen erhielten tatsächlich den Wirkstoff, andere nur ein Placebo. Das Ergebnis: Im Durchschnitt entwickelten diejenigen Proband*innen, welche mit Teplizumab behandelt wurden, erst nach etwa fünf Jahren Diabetes-Symptome. Dazu gehören beispielsweise extremer Durst, eine starke ungewollte Gewichtsabnahme, ein auffälliger Leistungsabfall, gehäufte Infektionen, Sehstörungen, Konzentrationsstörungen und Übelkeit sowie Bauchschmerzen. Bei denen, die ein Placebo erhielten, traten Symptome bereits nach 2 Jahren auf.
Die bei der Erkrankung sonst notwendige Insulin-Therapie mussten einige Studienteilnehmer*innen ein Jahrzehnt oder länger nicht beginnen. Für Mikayla sind es mittlerweile sechseinhalb Jahre. Das Medikament wurde im November 2022 durch die Arzneimittelbehörden in den USA zugelassen. Die Zulassung von Teplizumab gilt für Menschen ab acht Jahren. In Deutschland wurde das Medikament bisher noch nicht zugelassen.
Entwicklung von Teplizumab: Erste Schritte
Der Wirkstoff Teplizumab geht auf das Pharmaunternehmen Ortho Pharmaceutical in New Jersey zurück. Hier wurde eine erste Version des Antikörpers von Wissenschaftler*innen entwickelt. Diese Wirkstoff-Version trug noch den Namen OKT3. Das Molekül stammt ursprünglich von Mäusen und besitzt die Fähigkeit, sich an die Oberfläche von T-Zellen zu heften. Dadurch wird das zelltötende Potenzial dieser T-Zellen vermindert. Bereits 1986 wurde das OKT3 als erster therapeutischer Antikörper zugelassen, um die Abstoßung von Organen nach Nierentransplantationen zu verhindern.
OKT3 funktionierte jedoch nicht optimal, sondern löste in hohen Dosen lebensbedrohliche Komplikationen aus. Die Wissenschaftler*innen vermuteten als Ursache, dass das menschliche Immunsystem den ursprünglich von Mäusen stammenden Antikörper als fremd erkennt und bekämpft. Außerhalb des Unternehmens begann die Suche nach der Formel des Antikörpers. Schon bald konnte Teplizumab entwickelt werden.
1999 wurde der Antikörper als Behandlung für Menschen in klinischen Studien getestet. Hierfür wurden Proband*innen gewählt, bei denen Typ-1-Diabetes neu diagnostiziert wurde. Die Studie fand unter der Leitung von Kevan Herold, einem Immunologen, statt. Sein Ergebnis: Nur eine einzige Behandlung konnte den Betroffenen helfen, ihre Insulinaktivität über Jahre hinweg aufrechtzuerhalten oder sogar zu steigern.
So ging die Suche nach dem Wirkstoff weiter
Die Studie unter Kevan Herold war sehr klein, weshalb eine größere Studie folgte. Diese hingegen endete mit einer Enttäuschung: Teplizumab erwies sich nicht wirksamer als das Placebo. Außerdem getestet wurde ein ähnliches Medikament namens Otelixizumab. Auch dieses Medikament konnte keine Wirkung in der Studie zeigen, sodass beide Therapien fallen gelassen wurden. Diese Studie war für die gesamte Diabetes-Forschung ein Niederschlag; jedoch wurde nicht aufgegeben.
In verschiedenen Experimenten mit dem Medikament konnte das Team herausfinden, dass Teplizumab diejenigen T-Zellen in Erschöpfung versetzt, die gegen die Zellen der Bauchspeicheldrüse gerichtet sind. Dadurch kann die Bauchspeicheldrüse vor weiteren Angriffen geschützt werden. Insbesondere Patient*innen, bei denen die Erkrankung erst wenig fortgeschritten ist, schienen von dem Medikament profitieren zu können.
Kevan Herolds Folgerung war, dass Teplizumab seine Wirkung nur dann wirklich entfalten könne, wenn es vor dem Ausbruch der Diabetes-Symptome verabreicht wird. 2011 wurde anschließend die Teplizumab-Präventionsstudie gestartet, bei welcher auch Mikayla als Risikopatientin teilnahm. Die Studienergebnisse waren überzeugend, sodass Teplizumab 2022 für diejenigen, die noch keine T1D-Diagnose haben, aber zwei oder mehr Autoantikörper gegen Inselzellen und Anzeichen eines veränderten Zuckerstoffwechsels aufweisen, zugelassen wurde.
Diese Chancen offenbart der Wirkstoff
Aaron Kowalski, der Präsident und Geschäftsführer der gemeinnützigen Forschungsorganisation JDRF in New York, welche auf Typ-1-Diabetes spezialisiert ist, betonte gegenüber Spektrum, dass dies ein sehr großer Fortschritt in dem Bereich sei. Es handele sich hierbei um die erste krankheitsmodifizierende Therapie überhaupt, die es für Typ-1-Diabetes gibt.
Darüber hinaus ist der Wirkstoff der erste, welcher nachweislich den Ausbruch einer Autoimmunkrankheit verzögern kann. In diesem Sinne könnte das Medikament wegweisend für weitere Medikamente gegen andere Autoimmunerkrankungen sein. Dazu gehören beispielsweise die rheumatoide Arthritis oder die Multiple Sklerose.
Teplizumab kann Typ-1-Diabetes nur verzögern und nicht gänzlich verhindern. Die Forscher*innen sind deshalb noch nicht am Ende ihrer Forschung, sondern suchen weiter nach einem Mittel, welches die Erkrankung vielleicht gänzlich verhindern könnte. Für diejenigen, die das Medikament bekommen, kann dies jedoch einige Jahre mehr einer unbeschwerten Kindheit beziehungsweise Jugend bedeuten. Tritt die Erkrankung erst später auf, bedeutet dies für die Betroffenen weniger Stress. Ein Grund dafür ist, dass die Blutzuckerwerte nicht ständig gemessen werden müssen. Darüber hinaus bedeuten sehr hohe Blutzuckerwerte auch für Blutgefäße, Nerven und andere Organsysteme Stress, welcher somit zumindest zeitweise vermieden werden kann.
Fazit - Therapie hat ihren Preis
Für Kinder und Jugendliche kann der Aufschub von Typ-1-Diabetes um einige Jahre eine große Erleichterung sein. Bisher ist das Medikament nur in den USA zugelassen und nur für Menschen, die noch keine Typ-1-Diabetes-Diagnose haben, aber zwei oder mehr Autoantikörper gegen Inselzellen und Anzeichen eines veränderten Zuckerstoffwechsels aufweisen. Ob das Medikament auch in Deutschland zugelassen wird, ist unklar und hängt maßgeblich davon ab, was in den USA mit Teplizumab geschieht. Für die Diabetes-Forschung besteht jedoch weiterhin der Anreiz, ein Medikament zu finden, welches Typ-1-Diabetes gänzlich verhindern kann. Andere Forschungsgruppen untersuchen außerdem mehrere weitere Medikamente, welche beispielsweise auch für Menschen mit einer Erkrankung im Stadium 2 geeignet sind.
Zu bedenken ist jedoch auch, dass die Behandlung alles andere als günstig und für jede*n bezahlbar ist. Eine einmalige Behandlung kostet etwa 194.000 US-Dollar; dazu kommen Kosten für die Infusionen und das anfängliche Screening. Für den Arzneimittelhersteller ist die hohe Bepreisung laut Spektrum angemessen, da es sich immerhin um ein bahnbrechendes Medikament handle.
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