• Was sind Tics?
  • Wie Tics entstehen, mögliche Ursachen 
  • Wie Betroffene darunter leiden und wie stark Tics das Leben einschränken können
  • Neueste Forschungsergebnisse und Methoden - Nicht Herz-, sondern Hirnschrittmacher

Einem Forschungsteam der Charité Berlin ist es vor kurzem gelungen, ein neuronales Netzwerk zu identifizieren, das wohl für die Entstehung von Tic-Störungen (von französich "tic", was ein nervöses Zucken bezeichnet; im Deutschen ist auch die Schreibweise "Tick" geläufig) verantwortlich ist. Eine Reizung dieses Netzwerks durch tiefe Hirnstimulation hat bei Menschen mit einem ausgeprägten Tourette-Syndrom zur Linderung der Symptome geführt. Die Ergebnisse wurden bereits in Fachmagazinen veröffentlicht und könnten die Basis für eine bessere Therapie von schweren Tic-Störungen bilden. Doch was sind Tics überhaupt und wie entstehen sie? Gibt es Behandlungsmöglichkeiten und worauf müssen Betroffene achten?

Was sind Tics?

Als Tics werden im medizinischen Sinn unwillkürliche, nicht zweckgebundene Bewegungen und/oder Lautäußerungen von Menschen verstanden, die sich unregelmäßig wiederholen und von den Betroffenen nur schwer oder gar nicht gesteuert werden können. Tics beginnen meist im Grundschulalter, können jedoch auch wesentlich früher oder später auftreten. Sie werden entsprechend ihrer Ausprägung in motorische oder vokale Tics, sowie in einfache oder komplexe Tics unterteilt.

Häufig bricht die Erkrankung bereits im Grundschulalter aus und verläuft zunächst schleichend.
CC0 / Pixabay / steveriot1

Die transiente, oder auch vorübergehende, Tic-Störung geht mit motorischen und/oder vokalen Tics einher, die weniger als ein Jahr andauern. Sie ist eine häufige Störung des Kindesalters und geht größtenteils nur mit gering ausgeprägten einfachen motorischen Tics einher. Diese Diagnose kann nur rückblickend gestellt werden. Dagegen gibt es die chronischen Tic-Störungen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Tics über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr vorhanden sind und einen Beginn im Kindes- und Jugendalter haben.

Motorische Tics sind abrupt einsetzende und mitunter sehr heftige Bewegungen, die unwillkürlich ablaufen und nicht zweckgebunden sind, wobei die Bewegungen oft wiederholt in immer gleicherweise stattfinden, dabei aber nicht rhythmisch sind und einzeln oder in Serie auftreten können. Bei schweren Ausprägungen können sich komplexe, kombinierte motorische Tics einstellen, bei denen mehrere Muskelgruppen beteiligt sind oder bei denen scheinbar zweckgerichtete Bewegungen ausgeführt werden, wie beispielsweise Hüpfen, Drehungen oder Aufstampfen. Motorische Tics finden sich am häufigsten im Gesicht und am Kopf, sie können sich zum Beispiel in Form von Augenblinzeln, Kopfrucken und Schulterrucken äußern. Die chronische motorische Tic-Störung unterscheidet sich beispielsweise vom Tourette-Syndrom lediglich durch das Fehlen vokaler Tics. Meist sind aber auch die motorischen Tics schwächer ausgeprägt, auch die Häufigkeit und Schwere der psychiatrischen Komorbiditäten ist geringer. 

Komplexe Tics

Besondere Formen komplexer motorischer Tics sind die Kopropraxie und die Echopraxie. Unter Kopropraxie versteht man das Ausführen unwillkürlicher, nicht zweckgebundener obszöner Bewegungen und Gesten. Häufige Symptome können das Berühren des eigenen Genitals, Masturbationsbewegungen, das Herausstrecken der Zunge oder das Zeigen des Mittelfingers sein.

Vokale Tics stellen sich dagegen durch das unwillkürliche Äußern von Lauten und Geräuschen dar, wie beispielsweise Räuspern, Schniefen, Grunzen, Quieken und in seltenen Fällen lautem Schreien. Besondere Formen der komplexen vokalen Tics sind die Koprolalie, die Echolalie und die Palilalie. Als Koprolalie wird eine komplexe, vokale Ticstörung bezeichnet, bei der Betroffene sozial unangebrachte oder obszöne Wörter oder Wortsalven aussprechen. Die chronische vokale Tic-Störung ist durch das anhaltende Auftreten ausschließlich vokaler Tics gekennzeichnet, allerdings ist diese Diagnose überaus selten und setzt eine äußerst sorgfältige, differenzialdiagnostische Abklärung voraus.

Treten komplexe vokale und multiple motorische Tics kombiniert auf, so spricht man von dem sogenannten Tourette-Syndrom, die wohl bekannteste Tic-Störung. Hierunter fallen auch Tic-Störungen, die mehrmals täglich, ohne Rückbildung und über die Dauer eines Jahres auftreten und sich vor dem 18. Lebensjahr manifestiert haben. Benannt ist das Syndrom nach dem französischen Arzt Georges Gilles de la Tourette, der die Symptomatik erstmals um 1885 auf wissenschaftlicher Basis beschrieb. Vor allem die vokale Ticstörung der Koprolalie ist den meisten durch Filme und Dokumentationen bekannt, allerdings kommt diese nur bei 10 bis 20 Prozent der Patienten mit Tourette-Syndrom vor. Das Tourette-Syndrom geht bei einem Großteil der Betroffenen mit weiteren Störungen einher, wie beispielsweise Zwangsstörungen, affektive Störungen, Angststörungen oder ADHS, lediglich 10 bis 20 Prozent der Kinder mit Tourette-Syndrom weisen keine weiteren kinder- und jugendpsychiatrischen Probleme auf. Schätzungen zufolge sind bis zu vier Prozent aller Kinder betroffen, etwa jedes hundertste Kind erfüllt die diagnostischen Kriterien eines Tourette-Syndroms. Oftmals, aber nicht immer, schwächen sich die Symptome spätestens im Erwachsenenalter ab.

Wie Tics entstehen und mögliche Ursachen

Bis heute ist leider nur wenig darüber bekannt, wie Tics im Gehirn eigentlich entstehen. Hierfür muss zunächst unterschieden werden, ob es sich um einen angeborenen Tic handelt oder etwa um eine seltene Schädigung der Nerven nach einem Unfall oder Trauma.

Bei der Entwicklung von Tic-Störungen können weitere verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Unter anderem können genetische Ursachen zugrunde liegen, welche weiter von verschiedenen Risiko-Genen bestimmt werden. Daneben gibt es Tics, welche durch bakterielle Infektionen mit Streptokokken der Gruppe A ausgelöst und verursacht werden können. Weiter haben Studien gezeigt, dass psychosozialer Stress, Medikamente, Rauchen, Alkoholkonsum und andere Drogen während der Schwangerschaft Tics beim Kind begünstigen können, auch Frühgeburten und Sauerstoffmangel bei der Geburt zählen zu den möglichen Risikofaktoren.

Die Ursachen des Tourette-Syndroms sind bislang nur ansatzweise erforscht. Man geht jedoch ebenfalls davon aus, dass es zum größten Teil genetisch veranlagt ist. So ist das Tourette-Risiko für Kinder, deren Eltern das Syndrom haben, zehn- bis hundertmal höher. Damit es sich entwickelt, müssen zusätzliche Auslöser in der Umwelt hinzukommen. Dazu zählen zum Beispiel negative Faktoren während der Schwangerschaft und Geburt. Die Entstehung des Tourette-Syndroms wird auf eine Störung im Botenstoffwechsel des Gehirns zurückgeführt. Insbesondere der Neurotransmitter Dopamin steht im Fokus der Forschung, da dieser im Gehirn für das Weiterleiten von Informationen wichtig ist. Bei Patienten mit Tourette-Syndrom ist beispielsweise die Zahl der Dopamin Rezeptoren erhöht. Weiter scheinen jedoch auch ein gestörter Serotonin-, Noradrenalin-, Glutamin- und Opioid Haushalt, sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen Stoffen eine Rolle zu spielen, denn die Störungen manifestieren sich vor allem in den sogenannten Basalganglien. Diese Hirnareale befinden sich in den tieferen Strukturen beider Gehirnhälften und erfüllen eine Art Filterfunktion. Sie regulieren, welche Impulse ein Mensch in Handlungen umsetzt und welche eben nicht.

Wie Betroffene darunter leiden und wie stark Tics das Leben einschränken können

Der psychische Leidensdruck der Betroffenen ist in der Regel hoch. Aufgrund der auffälligen, nicht kontrollierbaren Symptome, insbesondere beim Tourette-Syndrom, verspüren Patienten oft Scham und auch Ärger, häufig erleben sie Zurückweisung und Unverständnis, vor allem Kinder und Jugendliche, die an einem Tic leiden, sind oft Opfer von Spott. Einige Betroffene sind dagegen sozial gut integriert, sofern die Symptomatik nicht zu ausgeprägt ist oder sie in einem aufgeklärten Umfeld aufwachsen. Häufig bemerken die betroffenen Kinder ihre Tics zunächst gar nicht. Meistens werden Eltern oder Erzieher auf diese Verhaltensauffälligkeiten aufmerksam, auch wenn die sonstige Entwicklung der Kinder gut verläuft.

Besonders Kinder und Jugendliche leidern nicht nur unter den Tics, vor allem stoßen sie oft auf Unverständnis und werden wegen ihrer Tics ausgegrenzt.
CC0 / Pixabay / Shlomaster

Tics beginnen meist im Grundschulalter, erkrankte Kinder sind in der Regel zwischen 6 und 8 Jahre alt, wobei die Symptome am stärksten zwischen dem 10. und 12. Lebensjahr ausgeprägt sind. Jungen entwickeln drei bis vier Mal häufiger Tics als Mädchen. Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 10 und 15 Prozent aller Grundschulkinder vorübergehend betroffen sind, wobei das Tourette-Syndrom hier mit einer Häufigkeit von 1 % angenommen wird. Manchmal kündigen sich die Tics durch sensomotorische Vorzeichen, wie beispielsweise Kribbeln oder Spannungsgefühle an. Diese unangenehmen Empfindungen verschwinden dann, sobald der Tic ausgeführt wird. In der Regel bemerken jedoch die Betroffenen den Tic erst mit seinem Auftauchen. Tics haben typischerweise einen schwankenden Verlauf in Bezug auf Häufigkeit, Stärke und Art, wobei für die längerfristigen Schwankungen noch keine Ursache bekannt ist. Durch sogenannte Schwellensituationen, wie individuelle Stresssituationen, können Tics kurz- bis mittelfristig verstärkt werden.

Einer Forschungsgruppe der Charité Berlin ist es nun gelungen, die Therapie bei Zwangsstörungen zu verbessern und die Ergebnisse auf Patienten mit Tics zu transferieren und für einen weiteren Therapieansatz zu nutzen. Durch die Bestimmung der genauen Position der Stimulationselektroden im Gehirn von Patienten, konnte so ein präziser Fasertrakt identifiziert werden, der mit optimalen klinischen Ergebnissen bei der Hirnstimulation zusammenhängt. Bei einer Zwangserkrankung erleben Betroffene einen Drang, bestimmte Dinge zu tun oder zu denken, dem sie willentlich nur schwer oder gar nicht widerstehen können, von Zwangshandlungen sind über zwei Prozent der Bevölkerung betroffen. Eine Behandlungsmöglichkeit in schweren Fällen ist hierfür die sogenannte tiefe Hirnstimulation, die auch bei anderen Erkrankungen wie dem Parkinson-Syndrom angewendet wird. Dafür werden feine Elektroden in tief gelegene Hirnstrukturen implantiert und senden dort sehr schwache elektrische Signale aus, um die gestörte Hirnaktivität ins Gleichgewicht zu bringen. Die Stimulation verschiedener Bereiche kann in einigen Fällen die klinischen Symptome verbessern. Um Erfolge zu erzielen, ist jedoch eine exakte Platzierung der Elektroden wichtig, hierfür können nun die aktuellen Ergebnisse genutzt werden, indem der entsprechende Fasertrakt als optimales Zielgebiet herausgefunden wurde. Die Stimulationselektrode wurde mittels Kernspin-Tomografie-Methodik gesetzt und die umliegenden Fasertrakte sichtbar gemacht. Es konnte überprüft werden, welche Fasertrakte selektiv durch die Elektroden stimuliert wurden. Allein durch die Lokalisation der Stimulationselektroden konnten die Forschenden das Behandlungsergebnis zuverlässig vorhersagen. Durch die Studienergebnisse kann nun eine gezielte und verfeinerte Therapie ausgearbeitet werden und für zukünftige Erkrankungen genutzt werden.

Neueste Forschungsergebnisse und Methoden - Nicht Herz-, sondern Hirnschrittmacher

Neben den klassischen Therapieansätzen gibt es neuere Methoden wie den Hirnschrittmacher, der allerdings aktuell nur in besonders schweren Fällen eingefügt wird. In den vergangenen Jahren hat die neurologische Forschung bereits verschiedene Bereiche des Gehirns identifiziert, die für Tics verantwortlich sind. Bislang konnte allerdings noch nicht bestätigt werden, welche Hirnareale explizit die Tics auslösen und welche die fehlerhaften Prozesse kompensieren. Durch die aktuellen Studien konnten die Wissenschaftler*innen jedoch herausfinden, dass Tics auf eine Fehlfunktion in einem Netzwerk verschiedener Areale im Gehirn zurückzuführen ist und keine einzelne Hirnregion die Ursache bildet.

Ein aktueller Therapieansatz bei schweren Tics ist der Einsatz eines Hirnschrittmachers.
CC0 / Pixabay / geralt

Grundlage der Berliner Studie bildeten Patienten, deren Tic-Störungen eine äußerst seltene Ursache besitzen und auf eine erworbene Schädigung der Hirnsubstanz zurückzuführen sind, wie beispielsweise durch einen Schlaganfall oder einen Unfall. Hier entstanden die Tics also eindeutig durch das verletzte Hirnareal. Durch eine genaue Lokalisation der betreffenden, verletzten Areale konnte festgestellt werden, mit welchen anderen Hirnbereichen dieser Ort normalerweise über Nervenfasern verbunden wäre. Trotz unterschiedlicher Lokalisation der Hirnschädigungen sind alle Teil eines gemeinsamen Nervengeflechts, welches verschiedenste Bereiche des Gehirns, wie die Inselrinde, die Gürtelwindung, das Striatum, den Globus pallidus internus, den Thalamus sowie das Kleinhirn umfasst. Diese Strukturen sind praktisch über das gesamte Gehirn verteilt und haben unterschiedlichste Funktionen, von der Steuerung der Motorik bis zur Verarbeitung von Emotionen. Diese Hirnbereiche bilden somit ein Netzwerk und gelten als mögliche Auslöser für Tics.

Die Behandlungsmöglichkeiten mit Stimulation betreffen nun auch Patienten mit Tourette-Syndrom. Durch die Implantierung von Hirnschrittmachern mit unterschiedlich platzierten Elektroden kann nun der herkömmliche verhaltenstherapeutische und medikamentöse Ansatz erweitert werden und vor allem in besonders schweren Fällen kann eine solch tiefe Hirnstimulation zum Einsatz kommen. Je präziser die Elektroden das Tic-Netzwerk stimulieren, desto erfolgversprechender ist die Behandlung durch Stimulation des neuronalen Netzwerks. Unter Berücksichtigung des Tic-Netzwerkes beim Einsatz des Hirnschrittmachers hoffen die Forscher, Betroffenen ein weitestgehend selbstbestimmtes und sozial erfülltes Leben zu ermöglichen und den Leidensdruck zu mindern. Die Klinik für Neurologie mit experimenteller Neurologie unterhält seit 2017 am Charité Campus Berlin-Mitte eine Ambulanz für Tic-Störungen. Sie bietet Betroffenen eine umfassende Beratung und Behandlung, die auf aktuellen neurologischen, psychiatrischen und verhaltenspsychologischen Erkenntnissen beruht und auch zusätzlich bestehende Störungen berücksichtigt. Zu den therapeutischen Angeboten gehört neben der medikamentösen und verhaltenstherapeutischen Behandlung auch die tiefe Hirnstimulation.