New York
Krebstherapie

Medikament gegen Darmkrebs macht Hoffnung: Alle Studienteilnehmer geheilt

Eine kleine Studie aus den USA lieferte "einmalige" Ergebnisse, wie Expertinnen und Experten bestätigen. Alle Teilnehmenden an der Studie konnten komplett von Darmkrebs befreit werden, ohne schwerwiegende Nebenwirkungen.
In einer Studie ist es Forschenden gelungen, Menschen mit einer bestimmten Mutation von Darmkrebs ohne Chemotherapie oder Operation komplett vom Krebs zu befreien. Pixabay (Symbolfoto)

Eine kleine Studie mit gerade einmal 18 Teilnehmerinnen und Teilnehmern sorgt weltweit für Wirbel. Es geht darin um die Behandlung von Darmkrebspatientinnen und Darmkrebspatienten. Bei allen verschwand der Krebs und konnte weder durch eine Untersuchung, Endoskopie, PET-Scans, noch durch MRT-Scans nachgewiesen werden.

Die Ergebnisse fassten die Autorinnen und Autoren der Studie vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center im New England Journal of Medicine zusammen. Die Studie wurde am Sonntag, 05. Juni 2022 veröffentlicht. Einer der Studienautorinnen und -autoren, der Onkologe Luis Alberto Diaz, sagte: "Ich glaube, dass dies das erste Mal in der Geschichte des Krebses ist, dass wir eine 100-prozentige Erfolgsquote haben." Alan Venook, Darmkrebsspezialist der Universität Kalifornien in San Francisco, der nicht an der Studie beteiligt war, bestätigte diese Einschätzung. Er bezeichnete die Ergebnisse als ein „Novum“. Eine vollständige Remission bei Krebspatienten sei „einmalig“.

"Einmalige" Ergebnisse bei Studie gegen Darmkrebs

Und das, obwohl die Studie unter keinen guten Vorzeichen stattfand. Wie die Ärztinnen und Ärzte der Studie schilderten, begannen die Patientinnen und Patienten mit der Aussicht auf eine anschließende Chemotherapie, Bestrahlung und höchstwahrscheinlich lebensverändernde Operationen, die zu Darm-, Harn- und Sexualfunktionsstörungen führen können. Bei einigen soll sogar ein künstlicher Darmausgang (Kolostomie) geplant gewesen sein. Nach der Studie dann die große Überraschung: Alle Studienteilnehmerinnen und Studienteilnehmer benötigten keine weitere Behandlung.

"Es gab viele Freudentränen", sagte Dr. Andrea Cercek, Onkologin am Memorial Sloan Kettering Cancer Center. Sie ist Mitverfasserin der Studie und stellte die Ergebnisse vergangenen Sonntag, 05. Juni 2022, auf der Jahrestagung der „American Society of Clinical Oncology“ vor. Sie erklärte, dass bei keinem der Patientinnen und Patienten bedeutsame Komplikationen aufgetreten seien. Durchschnittlich entwickelte einer von fünf Studienteilnehmenden eine unerwünschte Reaktion auf Medikamente, wie das im Rahmen der Studie verabreichte Präparat „Dostarlimab“. Das ist auch als sogenannter „Checkpoint-Inhibitor“ bekannt. Das ist wichtig, weil alle Darmkrebspatientinnen und Patienten an einer spezifischen genetischen Ausprägung des Darmkrebses litten, dem sogenannten „Mismatch-Reparatur-defizient (MMRd)“ oder „Mikrosatelliteninstabilität (MSI)“.  

Forschende gehen davon aus, dass zwischen fünf und zehn Prozent aller Darmkrebspatientinnen und Patienten an MMRd-Tumoren leiden. Weltweit geht man derzeit von 2,2 Millionen Darmkrebserkrankungen im Jahr 2030 aus. "Ein MMRd-Tumor entwickelt einen Defekt. Er kann dann keine bestimmten Arten von Mutationen, die in Zellen auftreten, reparieren. Wenn sich diese Mutationen im Tumor ansammeln, stimulieren sie das Immunsystem, das die mutierten Krebszellen angreift", sagt Dr. Diaz, Leiter der MSK-Abteilung für Tumor-Onkologie. Der Krebs greift daher auf einen Trick zurück, um sich vor dem Immunsystem zu schützen. Immunzellen haben einen Schutzmechanismus, einen „Checkpoint“, der sie daran hindert, normale Zellen anzugreifen. Krebszellen wiederum können diesen Schutz und damit Immunzellen ausschalten. So kann sich der Tumor verstecken und wachsen.

Darmkrebs-Behandlung: Immunzellen bekämpfen den Krebs effektiv

Mit der Immuntherapie kann dieser Trick des Tumors jedoch ausgehebelt werden. Ein Immuntherapeutikum, ein „Checkpoint-Inhibitor“, löst den Schutzmechanismus der Krebszellen auf und ermöglicht den Immunzellen, Krebszellen zu erkennen und anzugreifen. "Wenn der Schutz der Krebszellen aufgehoben ist, sehen MMRd-Zellen besonders seltsam aus, weil sie so viele Mutationen aufweisen. Daher greifen die Immunzellen mit viel mehr Kraft an", erklärt Dr. Cercek.

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Die bahnbrechenden Forschungsarbeiten von Dr. Diaz zur Behandlung von Krebs mit Immuntherapie zeigen, dass Checkpoint-Inhibitoren "Menschen mit MMRd-Darmtumoren, die sich ausgebreitet haben, helfen können", sagt er. "Wir dachten: 'Versuchen wir es, bevor der Krebs Metastasen bildet, als erste Behandlungslinie'." Das Medikament wurde alle Teilnehmenden der Studie sechs Monate lang alle drei Wochen verabreicht. Es kostet pro Dosis etwa 11.000 Dollar. Die meisten Nebenwirkungen waren für die Forschenden einfach zu kontrollieren. Bei etwa drei bis fünf Prozent traten schwerere Komplikationen auf. Die führten in einigen Fällen zu Muskelschwäche und Schwierigkeiten beim Schlucken und Kauen. Laut Dr. Venook seien das aber keine „signifikanten“ Nebenwirkungen. Dass diese bislang fehlten, bedeute "dass entweder nicht genug Patienten behandelt wurden oder dass diese Krebsarten einfach anders sind".

Eine Forscherin des Lineberger Comprehensive Cancer Center der University of North Carolina, Dr. Hanna K. Sanoff, die nicht an der Studie beteiligt war, nannte die Studie in dem begleitenden Leitartikel "klein, aber überzeugend". Sie merkte jedoch an, dass es nicht klar sei, ob die Patientinnen und Patienten geheilt werden. "Es ist sehr wenig darüber bekannt, wie lange es dauert, bis man herausfindet, ob ein klinisch vollständiges Ansprechen auf Dostarlimab gleichbedeutend mit Heilung ist", mahnte sie. Die Darmkrebsexpertin der Harvard Medical School Dr. Kimmie Ng, nannte die Ergebnisse der Studie „bemerkenswert“ und "beispiellos", jedoch müssten sie zur Validierung wiederholt werden.

Vorherige Studie lieferte Indizien auf Wirksamkeit

Stein des Anstoßes für die Darmkrebsstudie war eine Studie von Dr. Diaz aus dem Jahr 2017, die vom Arzneimittelhersteller Merck finanziert wurde. Damals nahmen 86 Menschen mit metastasierendem Krebs an der Studie teil. Auch damals hatten alle Teilnehmenden eine gemeinsame Genmutation. Die hinderte die Zellen daran, DNA-Schäden zu reparieren. Eine solche Mutation tritt bei rund vier Prozent aller Krebspatientinnen und Krebspatienten auf. Die Teilnehmenden der Studie erhielten bis zu zwei Jahre lang einen Checkpoint-Inhibitor von Merck, Pembrolizumab. Bei bis zu der Hälfte aller Teilnehmenden schrumpften die Tumore oder stabilisierten sich. Bei zehn Prozent der Studienteilnehmenden verschwanden die Tumore. Die Erkenntnis brachte Cercek und Diaz zu der Frage, was passieren würde, wenn das Medikament schon früher im Krankheitsverlauf eingesetzt würde.

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Eine der ersten Patientinnen und Patienten war Sascha Roth. Die damals 38-Jährige schilderte 2019 erstmals Blut im Stuhl festgestellt zu haben. Damals fühlte sie sich jedoch gut. Die passionierte Läuferin und Geschäftsfrau sei während einer Sigmoidoskopie, als ihr gesagt wurde, dass es sich um Krebs handele, regelrecht zusammengebrochen. Kurz darauf sollte sie mit einer Chemotherapie an der Georgetown University beginnen. „Ein Freund hat darauf bestanden, dass ich zuerst Dr. Philip Paty von Memorial Sloan Kettering aufsuche“, wird sie in der Mitteilung des Memorial Sloan Kettering Cancer Center zitiert. Dabei sagte ihr Dr. Paty, dass er sich „fast sicher“ sei, dass ihr Krebs eben jene Mutation aufweise, welche eine wirksame Chemotherapie unwahrscheinlich mache. Sie sei dadurch jedoch gut für die Teilnahme an der klinischen Studie geeignet gewesen, da sie noch nicht mit einer Chemotherapie begonnen hatte.

Weil Roth Zweifel an dem Ergebnis der Studie gehabt habe, hatte sie bereits geplant, im Anschluss an die Studie zur Bestrahlung, Chemotherapie und Operation nach New York zu reisen. Um ihre Fruchtbarkeit nach der für sie erwarteten Bestrahlung zu behalten, ließ sich die damals 38-Jährige ihre Eierstöcke entfernen und unter die Rippen legen. Doch es sollte anders kommen. "Dr. Cercek sagte mir, dass ein Ärzteteam meine Tests untersuchte", sagte Sascha. "Wie sie keine Anzeichen von Krebs finden konnten, sagte Dr. Cercek, es gäbe keinen Grund, mich einer Strahlentherapie zu unterziehen." In allen Fällen der Studienteilnehmenden verschwand der Darmkrebs nach der Immuntherapie - ohne dass die Standardbehandlungen wie Bestrahlung, Operation oder Chemotherapie erforderlich waren. Der Krebs ist bei keinem der Patienten, die nun seit bis zu zwei Jahren krebsfrei sind, zurückgekehrt. "Es ist unglaublich erfüllend zu sehen, wie glücklich die Patientinnen und Patienten auf die Studie reagieren", sagte Dr. Cercek.

Studie nimmt weiter Patientinnen und Patienten auf

Er ergänzte: "Das Aufregendste ist, dass jeder einzelne unserer Patienten nur eine Immuntherapie benötigte. Wir haben niemanden bestrahlt und niemanden operiert. Alle behalten ihre normale Darmfunktion, Blasenfunktion, Sexualfunktion und Fruchtbarkeit. Das ist bemerkenswert." Die Verantwortlichen der Studie, Dr. Cercek und Dr. Diaz betonen, dass Menschen mit Darmkrebstumoren, die MMRd sind, wissen sollten, dass die Studie weiterhin Patienten aufnimmt und wächst. Dr. Diaz sagte: "Unsere Botschaft lautet: Lassen Sie sich testen, wenn Sie Darmkrebs haben, um festzustellen, ob der Tumor MMRd ist. Egal, in welchem Stadium der Krebs ist, wir haben eine Studie bei MSK, die Ihnen helfen kann.

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