- Wie funktioniert die mRNA-Technolgie?
- Was hat COVID-19 mit der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen Krebs zu tun?
- Welche Tumoren könnten behandelt werden?
- Wann kommt die Impfung gegen Krebs?
Die Abkürzung mRNA (messenger ribonucleic acid) oder Boten-RNA war vielen Menschen vor Auftreten des neuartigen Coronavirus gänzlich unbekannt. Die mRNA-Impfstoffe haben jedoch in der Corona-Pandemie enorm an Bedeutung gewonnen. Allerdings wird die mRNA-Technologie schon seit mehreren Jahrzehnten zur Behandlung von Krebs getestet. Welche neuen Möglichkeiten bietet dieses Verfahren und welchen Herausforderungen müssen sich Forschende stellen? Professor Dr. med. Dirk Arnold ist einer der federführenden Onkologen einer aktuellen Biontech-Studie gegen Dickdarmkrebs und erklärt die Hintergründe.
Erforschung der mRNA-Technolgie
Bereits Ende der 1980er Jahre entwickelten Wissenschaftler*innen die Idee für einen mRNA-Impfstoff. Sie fanden heraus, dass man mit dieser Technologie menschlichen Zellen den genetischen Bauplan für bestimmte Eiweiße injizieren kann. Dadurch beginnen die Zellen damit, Antigene (körperfremde Stoffe) zu produzieren und diese werden dem körpereigenen Immunsystem präsentiert. Daraufhin kann der Körper mit der Produktion von Antikörpern gegen diese speziellen Antigene beginnen und sie bekämpfen.
Diese bereits 30 Jahre alte Forschung stellte die Grundlage für die Corona-Impfstoffe dar, sodass sie innerhalb weniger Monate entwickelt, getestet und produziert werden konnten. Trotzdem sollte nicht vergessen werden, dass insgesamt hunderte Forscherinnen und Forscher in den vergangenen 30 Jahren damit beschäftigt waren, die Entwicklung von mRNA-Impfstoff voranzutreiben. Nun können sich Forschende wieder ihrem ursprünglichen Ziel widmen: der Entwicklung eines Impfstoffes gegen Krebs. Rein chemisch betrachtet unterscheidet sich die mRNA nur unwesentlich von der DNA (Desoxyribonukleinsäure), auf der sich unsere Gene mit wichtigen Informationen für die Zellfunktionen befinden. Die DNA enthält sozusagen die Bauanleitungen für sämtliche Proteine, die der Körper benötigt. Wenn jetzt ein bestimmtes Protein produziert werden soll, wird ein Teil des genetischen Codes aus dem Zellkern kopiert - eine mRNA entsteht. Diese mRNA ist somit der "Postbote", der den Bauplan für das Protein übermittelt.
Die mRNA-Technologie macht sich diese Postboten-Funktion zunutze. Sie verpackt die Erbinformation bestimmter Proteine, die z.B. auf der Oberfläche von Viren sitzen, in eine mRNA. Diese mRNA wird in eine Nano-Lipidhülle eingeschlossen, da sie sonst bei Eindringen in den Körper sofort zerfallen würde. Diese Hülle kann man sich wie eine Ansammlung künstlicher Fetttröpfchen vorstellen. Die jetzt verpackte mRNA wird mittels einer Impfung in den Körper injiziert, wobei die Lipidhülle die mRNA schützt und beim Eindringen in die Zelle behilflich ist. Innerhalb der Zelle entlässt die Hülle die mRNA durch chemische Prozesse und die Produktion der benötigten Proteine kann beginnen. Wichtig zu wissen: mRNA kann nicht in die DNA einer Zelle eingebaut werden und wird relativ schnell vom Körper abgebaut. Eine Veränderung des Erbguts kann damit nicht stattfinden.
Was hat COVID-19 mit der Entwicklung von mRNA-Impfstoffen gegen Krebs zu tun?
Der Durchbruch der Covid-Impfstoffe hat bei der Entwicklung von mRNA gegen Krebs enorm weitergeholfen. Zahlreiche klinische Studien und Daten aus millionenfachen Impfungen haben hier wichtige Erkenntnisse hinsichtlich Nebenwirkungen und Verträglichkeit hervorgebracht. Diese können jetzt der Entwicklung innovativer Krebstherapien zugutekommen. Die Idee dahinter ist, dass das Immunsystem von krebskranken Menschen mithilfe von mRNA-Impfstoffen lernen kann, bestimmte Eiweiße von Tumorzellen als fremd zu erkennen. Krebszellen, die der Körper bisher übersehen hat, könnten somit abgetötet werden. Denn tagtäglich entstehen in jedem menschlichen Körper Vorläufer von Krebszellen, zum Beispiel durch Mutationen, die im Laufe der Zellteilungsprozesse auftreten. Normalerweise ist das Immunsystem in der Lage, solche Zellen als fremd zu erkennen und zu zerstören. Manche Krebsvorläuferzellen sind jedoch sehr geschickt darin, sich zu tarnen und dem Immunsystem zu entkommen. Hier kann eine Impfung das Immunsystem gezielt unterstützen.
Laut Prof. Arnold muss die mRNA-Impfung gegen Krebs einen anderen Ansatz verfolgen, als es bei den mRNA-Impfstoffen gegen das neuartige Coronavirus der Fall war. Denn ein Virus dringt von außen in den Körper ein. Bei einer Krebsimpfung sollen hingegen körpereigene Strukturen abgetötet werden, nämlich entartete Zellen. Es muss also genau erfasst werden, welche Informationen dem Immunsystem mit der Impfung präsentiert werden müssen, damit die Krebszellen auch als solche erkannt werden.
Die Injektionen müssen dabei speziell auf jeden einzelnen Patienten zugeschnitten werden, da sich die meisten Krebsarten von Mensch zu Mensch unterscheiden. Dazu wird zunächst analysiert, welche Eiweiße als Ziel dienen sollen, woraufhin der Bauplan für diese Eiweiße angepasst werden kann. Nach der Impfung wird der Körper dazu angeregt, das fremde Eiweiß, das auf der Oberfläche dieses speziellen Tumors sitzt, selbst herzustellen, denn mit der geimpften mRNA hat es ja den Bauplan dafür erhalten. Das Immunsystem bekommt nun diese Fremdeiweiße präsentiert, bildet entsprechende Antikörper und kann dann auch die bisher unentdeckten Krebszellen eliminieren. Problematisch ist allerdings, dass die Mutationen in den Krebszellen sich sehr stark voneinander unterscheiden. Teilweise liegen bis zu 200 Mutationen vor. Mittels künstlicher Intelligenz werden jedoch die Mutationen bestimmt, von denen man annimmt, dass das Immunsystem sie am besten erkennt. Denn nur so kann eine starke Immunantwort hervorgerufen werden. Somit entsteht ein individueller Impfstoff für jeden Patienten, der innerhalb von sechs Wochen hergestellt und verabreicht werden kann. Der mRNA-Krebsimpfstoffe haben aufgrund der hohen Wirksamkeit, sicheren Verfügbarkeit, schnellen Entwicklungspotenziale und kostengünstigen Herstellung einen Vorteil gegenüber herkömmlichen Impfstoffen. Zudem bieten sie eine spezifische, sichere und erträgliche Behandlung in Kombination mit anderen Krebstherapien.
Welche Tumoren könnten behandelt werden?
Aller Wahrscheinlichkeit nach eignet sich der Ansatz der mRNA-Technologie nicht für jede Art von Krebs. Zudem kann sie auch nicht in jedem Krankheitsstadium eingesetzt werden. Problematisch ist, wenn die Erkrankung bereits zu weit fortgeschritten und das Immunsystem der Patient*innen vielleicht auch durch die bisherige Krebsbehandlung sehr geschwächt ist. Dann ist das Immunsystem nicht stark genug, um den Kampf aufzunehmen. Zudem kann es vorkommen, dass Krebszellen in Bereichen wachsen, die das Immunsystem schwer erreichen kann. Dies ist zum Beispiel bei Bauchspeicheldrüsenkrebs der Fall. Außerdem kann es zu Problemen kommen, wenn der Tumor keine entsprechenden Veränderungen aufweist, die mit diesem Ansatz angreifbar wären. Patienten haben allerdings eine gute Chance, wenn noch Zellen im Körper kursieren, die das Immunsystem zwar erreichen kann, bisher aber noch nicht erkannt hat. Dann können die Abwehrzellen mit der Impfung auf spezielle Eiweiße der Krebszellen trainiert werden und diese dann erkennen und abtöten.
Krebszellen mögen keine Himbeeren: Den Bestseller auf Thalia ansehenSeit November 2021 wird berichtet, dass eine Immuntherapie von Biontech gegen Hautkrebs ("BNT 111") in den USA ein beschleunigtes Zulassungsverfahren erhalten soll. Momentan befindet sich der Wirkstoff in Phase II der klinischen Studien. Hierhin befinden sich meist 100 bis 300 Teilnehmende, an denen zum ersten Mal ein Medikament überprüft wird. Dadurch soll schließlich die optimale Dosierung ermittelt werden.
Zusätzlich arbeitet Biontech an einem Impfstoff gegen Dickdarmkrebs. ("BNT 122"). Anders als bei der Corona-Impfung werden diese Medikamente erst bei einer bereits entstandenen Erkrankung eingesetzt und nicht vorbeugend. In verschiedenen Behandlungszentren werden bereits Darmkrebs-Patienten für die Teilnahme an einer Studie gescreent. Professor Arnold erklärt hierzu, dass Patienten ein bestimmtes Risikoprofil aufweisen müssen. So muss der Darmtumor bereits operativ entfernt worden sein, er musste sich bereits in einem weit fortgeschrittenen Stadium befunden haben und Tumor-DNA muss im Blut zirkulieren. Das bedeutet, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehen muss, dass der Krebs zurückkehrt und ein sogenanntes Rezidiv entwickelt. Damit das Risiko eines Rezidivs gesenkt wird, erhalten die etwa 200 Patient*innen in Europa und den USA zu Beginn eine Chemotherapie. Im Anschluss wird einem Teil von ihnen eine mRNA-Impfung injiziert, die den Bauplan für ein Protein enthält, das im Tumorgeschehen der Patient*innen eine wichtige Rolle einnimmt. Das Ziel der Studie ist, das Wiederaufflammen einer Tumorerkrankung mit der Impfung zu verhindern. Die Forscher rechnen in etwa drei Jahren mit ersten Ergebnissen.
Daneben arbeitet auch das amerikanische Konkurrenzunternehmen Moderna an therapeutisch wirksamen Krebsmedikamenten gegen Lymphome, Urothelkarzinome, Hautkrebs und Eierstockkrebs. Ein anderes deutsches Unternehmen, das Startup Abalos aus Nordrhein-Westfalen, setzt hingegen auf spezielle Viren aus der Gruppe der Arenaviren, die das Immunsystem von Patient*innen aktivieren sollen. Auch dieser Wirkstoff soll individuell an die jeweiligen Tumorzellen angepasst werden, damit gesunde Zellen verschont bleiben.
Kommt die Impfung gegen Krebs schon 2023?
Bei mRNA-Impfstoffen, die in der Entwicklung schon weit vorangeschritten sind, ist eine Produktion im Jahr 2023 durchaus im Rahmen des Möglichen, erklärt Professor Arnold weiter. Zurzeit entsteht die erste Anlage weltweit von Biontech, die individuelle Medikamente für Krebs-Immuntherapien ab 2023 herstellen soll.
Sie könnten besonders gut bei Tumorerkrankungen wirken, bei denen das Immunsystem bereits in besonderem Maße das Tumorwachstum, aber auch die Tumorkontrolle beeinflusst. Ein gutes Beispiel ist der schwarze Hautkrebs (Melanom). Das Bestreben der Forscher ist es aber, das Immunsystem auch bei Tumoren zu stimulieren, die bisher einer weniger starken Kontrolle durch das Immunsystem unterliegen. Vor diesem Hintergrund wird ein mRNA-Impfstoff gegen Hautkrebs wahrscheinlich bald zur Verfügung stehen, bei Dickdarmkrebs werden noch einige Jahre lang klinische Studien erforderlich sein.
Professor Arnold vermutet, dass die mRNA-Technolgie als alleinige Behandlungsmethode wahrscheinlich nicht ausreichen wird. In Kombination mit gängigen Krebstherapien wie Operation, Bestrahlung und Chemotherapie und anderen Immuntherapien kann sie jedoch ein wichtiger Baustein sein. Hier müssen jedoch weitere klinische Studien abgewartet werden.
Blick in die Zukunft: Die mRNA-Technologie als Therapie bei Autoimmun- und Herzerkrankungen
Es ist laut Prof. Arnold zudem denkbar, dass mRNA-Impfstoffe auch im Kampf gegen infektiöse Erreger wie das Epstein-Barr-Virus (EBV) wirksam sein könnten. Insbesondere deshalb, weil EBV in Verdacht steht, die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose auszulösen. Hier wäre der Ansatz, dass das Immunsystem mitgeteilt bekommt, was es nicht tun soll.
Prinzipiell kann bei allen Krankheiten, von denen bekannt ist, welche Zellen Ansätze für eine "Reparatur" bieten, die mRNA-Technolgie eingesetzt werden. Denn damit könnte speziell auf diese Krankheit bezogen Zellreparaturen in Gang gesetzt werden können. Dies könnte zum Beispiel durch frühere oder vermehrte Aktivierung von Zellen über deren Erbinformation passieren, die für diese Reparaturen benötigt werden. Professor Arnold führt hier das Beispiel des Herzinfarkts an. Hierbei stirbt Herzmuskelgewebe ab, das durch Reparaturzellen wieder ersetzt werden muss. Würden diese Zellen nun über ihre Steuerung im Immunsystem besser antrainiert, könnte die Wiederherstellung des Gewebes schneller und nachhaltiger vonstattengehen. Aktuell erforscht das Unternehmen Astrazeneca an einer mRNA-Technologie, die die Bildung neuer Blutgefäße nach einem Herzinfarkt unterstützt.
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