- Die Glücksforschung
- Im Alter am zufriedensten?
- Warum die Glückskurve U-förmig verlaufen soll
Studien von Neurobiolog*innen, Psycholog*innen, Sozialwissenschaftler*innen oder Ökonom*innen befassen sich mit Forschung zu Zufriedenheit und Glück. Der World Happiness Report sagt uns, wo auf der Welt die zufriedensten, und wo die unglücklichsten Menschen leben. Der Glücksatlas 2022 zeigt uns die Zufriedenheit der Deutschen in Ost und West, nach Geschlecht, Einkommen oder regionalen Unterschieden: In Schleswig-Holstein leben die glücklichsten Deutschen. Kann man Glück überhaupt messen? Wissenschaftler*innen sagen: ja - und stellen das menschliche Glück grafisch dar.
Die U-förmige Glückskurve
Dass die unbeschwerte Kindheit und Jugend die glücklichste Zeit im Leben ist, ist eine weit verbreitete Ansicht. Auswertungen von Umfrageergebnissen zeigen, dass viele Menschen in ihrer Kindheit und Jugend tatsächlich besonders glücklich sind. Das hält etwa bis Mitte 20 an. Danach nimmt das Glück kontinuierlich ab. Erstaunlicherweise steigt es nach dem 60. Lebensjahr wieder an. Wissenschaftler*innen haben diese Ergebnisse grafisch dargestellt; so entstand eine U-förmige Glückskurve: Das Glück ist im ersten Lebensabschnitt hoch. In der Mitte sinkt es ab und steigt dann wieder zu einem zweiten Hoch. Im Alter sind wir demnach wieder so glücklich, wie in der Jugend.
Erforscht wurden dabei nicht kurze Momente der Hochstimmung. Es ging vielmehr um eine längerfristige Zufriedenheit in verschiedenen Phasen des Lebens. Fragebögen zu Themen wie Einkommen, Familie, Arbeit, Wohnen oder Gesundheit wurden ausgewertet. Die Befragten sollten sich selbst einschätzen: "Wie zufrieden sind Sie gerade alles in allem mit Ihrem Leben auf einer Skala von null bis zehn?" Verwendet wurden beispielsweise Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Das ist die größte sozialwissenschaftliche Reihenuntersuchung in Deutschland.
Es gibt dazu auch internationale Studien. So veröffentlichte David Blanchflower vom Dartmouth College in Hanover (USA) 2020 seine Studie "Ist das Glück überall U-förmig?". Er wertete Befragungen aus 145 Ländern aus, darunter 109 Entwicklungsländer. Laut Blanchflower scheint die U-förmige Glücks-Kurve weltweit zu gelten; und das unabhängig von Faktoren, wie Regierungsformen oder Reichtum der Länder, in denen die Befragten leben. Überall fand Blanchflower einen Tiefpunkt des Wohlbefindens in der Lebensmitte.
Auf und Ab des Glücks
Wissenschaftler*innen bieten verschiedene Erklärungsversuche für den Verlauf der "Glücks-Kurve" an: Als Jugendliche haben wir noch wenig Verantwortung zu tragen. Es scheinen uns alle Möglichkeiten offenzustehen. Doch mit den Jahren wächst die Verantwortung in Job und Familie, der Leistungsdruck nimmt zu. Entsprechend geht es mit der Glückskurve bergab. Zwischen 30 und 50 bestimmen Karriere, Partner*innensuche, Familiengründung und "Nestbau" das Leben der meisten Menschen. Manche Forscher*innen führen an, dass wir ab etwa 30 auch merkten, dass unsere Jugendträume nicht alle wahr werden. Die Enttäuschung darüber lasse die Lebenszufriedenheit nach und nach sinken. Tiefpunkt dieser Entwicklung ist für viele die sogenannte Midlifecrisis.
Danach geht die Kurve wieder nach oben: Im Job strampeln wir uns nicht mehr so ab, die Kinder sind aus dem Haus. Dann ruhen wir uns auf dem Erreichten aus und besinnen uns wieder mehr auf uns selbst. Im Rentenalter folgt dann ein zweites Hoch. Wir genießen das Erreichte und haben genügend Lebenserfahrung und Weisheit, um zufrieden zu sein. In westlichen Gesellschaften kommt noch hinzu, dass Senioren heute fitter und gesünder denn je sind.
Die Neurobiologie liefert eine biochemische Erklärung für den Verlauf der Kurve: Die unterschiedliche Konzentration körpereigener Botenstoffe (Neurotransmitter) wie Dopamin, Adrenalin und Morphium im Gehirn ist hierfür entscheidend. Das Gehirn junger Menschen setze besonders viel Dopamin frei, was Gefühle wie Begeisterung und Aufbruchsstimmung verursache. Im mittleren Alter würden vermehrt Stresshormone ausgeschüttet (wie Adrenalin). Und im Alter spüren wir möglicherweise Effekte des vermehrten Morphiums im Gehirn. Diese Theorie ist allerdings bisher nicht bewiesen.
Was ist Glück?
In der Auswertung der erhobenen Daten sind sich nicht alle Forscher*innen einig. Dr. Fabian Kratz vom Institut für Soziologie der LMU spricht vom "Mythos der U-Kurve". Seine eigene Auswertung von Daten des deutschen sozioökonomischen Panels ergab: Die glücklichste Zeit im Leben ist schon mit 18 Jahren. Er bezweifelt, dass wir im Alter nochmal so glücklich sind. Denn Krankheiten, Schmerzen und Verlust nahestehender Menschen nehmen im Alter zu. Die U-förmige Kurve vieler Studien erklärt er sich unter anderem so: "Wenn dann behauptet wird, die Menschen würden im Alter glücklicher, liegt das daran, dass die Unglücklichen schon gestorben sind."
Die Befragten hatten in allen Studien bereits Kriterien für Zufriedenheit vorgegeben: Job, Geld, Familie, Wohnung, Gesundheit. Doch auch weitere oder andere Kriterien wären vorstellbar: soziales Engagement, Umweltschutz, kreatives Tun, Selbstverwirklichung oder Religion. Die genauen physiologischen Prozesse, die im Gehirn bei Glücksempfinden ablaufen, sind noch nicht völlig erforscht. Glück entsteht jedenfalls durch die Ausschüttung gehirneigener Botenstoffe wie Endorphine. Dies sorgt für ein momentanes Hochempfinden, hat mit dauerhafter Zufriedenheit aber nicht unbedingt etwas zu tun. Die Fähigkeit, glücklich zu sein, ist - laut Wissenschaft - etwa zur Hälfte genetisch bedingt. Auch Erfahrungen in der Kindheit spielen eine Rolle. Und äußere Umstände und Ereignisse wie Pandemie, Wirtschaftskrise, Krieg oder Katastrophen? Verläuft das Glück daher wirklich überall auf der Welt gleich?
Grundsätzlich präsentiert Forschung immer Durchschnittswerte. Sie sind hilfreich, um beispielsweise wirtschafts- oder sozialpolitische Maßnahmen ergreifen zu können. Über dein individuelles Leben ist damit allerdings noch nichts gesagt. Deine geerbten Anlagen kannst du nicht ändern. Die äußeren Umstände nur manchmal. Du kannst aber dein Glücksempfinden beeinflussen. Indem du soziale Beziehungen pflegst und Dinge tust, die dir Freude bereiten, kannst du dein Gehirn anregen, mehr Glücks-Botenstoffe auszuschütten. Und das in jedem Alter.