Neurowissenschaftlich betrachtet, können negativ behaftete Worte gegenüber Kindern eine enorme psychische Belastung auslösen und das sogar langfristig. Neurowissenschaftler*innen haben sich seit langer Zeit mit den Auswirkungen beschäftigt – wir stellen dir im Folgenden die Ergebnisse vor.

Emotionale Gewalt gefährdet Kinder in ihrer Entwicklung

Wenn du mit deinem Kind schimpfst, dann kannst du es dadurch tief verletzen und sogar in seiner Entwicklung beeinträchtigen. Um zu ermitteln, wie verbale Gewalt im Gehirn wirkt, setzen Neurowissenschaftler*innen sogenannte fMRT-Scans ein. Wenn verbale Gewalt erzeugt wird, dann machen sich die Areale im Gehirn bemerkbar, die für Stress, Aufregung und Angst zuständig sind. Dadurch wird wiederum eine körperliche Reaktion erzeugt, was emotionale Gewalt genauso bedrohlich wie körperliche Gewalt macht.

Wenn du dein Kind also anschreist oder es beschämst, dann findet in diesem Moment eine Gewalttat statt, aus der das Kind nicht flüchten kann. Das kann sogar zu einem Trauma führen. Martin Teichert von der Harvard Medical School hat gemeinsam mit einem Team insgesamt 73 Männer und 120 Frauen im Alter von 18–25 Jahren im Rahmen einer Studie untersucht. Die Gruppe wurde nach Misshandlungen verschiedenster Art gefragt, beispielsweise körperliche Gewalt, Beschimpfungen oder emotionale Vernachlässigung.

Von den befragten Personen hatten 46 % keine Erfahrungen damit gemacht, während 16 % sogar über drei oder mehr Formen von Gewalt berichteten. Anschließend wurden die Gehirne der Proband*innen untersucht und der Hippocampus vermessen. In vorangegangenen Studien wurde bereits bewiesen, dass dort ansässige Zellen ein Hormon als Reaktion auf Stress ausschütten, wenn das Gehirn noch nicht ausgereift ist. Dadurch werden die Nervenzellen des Hippocampus gestört und im Vergleich zu Menschen ohne Gewalterfahrungen bleibt der Hippocampus kleiner. Doch gerade dieser Teil ist es, der für die Steuerung und Bewertung von Emotionen sowie dem Umgang damit zuständig ist. Ebenso ist der Hippocampus ausschlaggebend für das Auftreten psychische Erkrankungen.

Worte wirken wie Pfeile

Worte haben in der Erziehung also enorme Auswirkungen. Die Molekularbiologin Elizabeth Blackburn hat zudem in ihrem Buch "Worte wie Pfeile: Über emotionale Gewalt an unseren Kindern und wie wir sie verhindern*" nachgewiesen, dass durch frühkindlichen Stress nachteilige Gene aktiviert werden. Die Entwicklung wird also negativ beeinflusst.

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Das beginnt bereits, bevor wir selbst sprechen können. Schimpft jemand mit einem Kleinkind, dann wird eine Kette von körperlichen Reaktionen in Gang gesetzt. Kinder, die emotionaler Gewalt ausgesetzt sind, erfahren massiven Stress, was seelische Narben hinterlässt. Die kindliche Welt, die eigentlich durch Geborgenheit und Sicherheit geprägt ist, wird massiv bedroht.

Viele der betroffenen Kinder fühlen sich später wertlos, ohnmächtig, verlieren das Vertrauen in Erwachsene und sich selbst, entwickeln weniger Selbstvertrauen und leiden unter Ängsten oder sogar Depressionen. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass pro Jahr etwa 1 Milliarde Kinder und Jugendliche zwischen 2 und 17 Jahren von physischer, sexualisierter oder psychischer Gewalt betroffen sind. Auch in Deutschland berichten etwa 31 % der Befragten, dass sie eine Form von Misshandlung mit mindestens moderatem Schweregrad erfahren haben, so eine Untersuchung aus dem Jahr 2017.

Psychische Gewalt beginnt bereits bei kleinen Drohungen

Es ist nicht ganz einfach, festzustellen, ab wann psychische Gewalt stattfindet. Während physische Übergriffe auch juristisch klar definiert sind, ist die Grenze bei verbaler Gewalt häufig fließend. Ein klassischer Fall ist jedoch die Rollenumkehr, wenn beispielsweise die Kinder sich um das Frühstück kümmern müssen oder selbst dafür verantwortlich sind, pünktlich in der Schule zu sein, erklärt Psychiater Lars Otto White von der Uni Leipzig gegenüber der Tagesschau.

Oder aber auch, wenn Kinder alleinstehende Eltern als Partnerersatz dienen müssen. Ebenso zu psychischer Gewalt gehört die Drohung, dass Eltern dem Kind sagen, es "wegzugeben", wenn es sich nicht wie gewünscht verhält.

Doch auch Beschimpfungen, die den Selbstwert des Kindes kränken, zählen laut dem Psychiater dazu. Darüber hinaus können sich traumatische Erfahrungen im Laufe des Lebens aufsummieren, je häufiger verbale Gewalt stattfindet, desto höher die Wahrscheinlichkeit für eine psychische Erkrankung. Neben einem verkleinerten Hippocampus kann auch eine erhöhte Reaktivität der Amygdala die Folge sein, das ist das Angst- und Alarmzentrum des Gehirns, bestätigt der Psychiater Udo Dannlowski von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Münster im Gespräch mit der Tagesschau.

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