Einer von bundesweit vielen Fällen: Am 30. Dezember 2022 erscheint eine Pressemitteilung des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd. Eine zu diesem Zeitpunkt unbekannte Frau hat an einem Geldautomaten im Landkreis Altötting unberechtigt mit einer gestohlenen EC-Karte in Banken Geld abgehoben und in Geschäften eingekauft. Im Anhang des Berichtes mit Bitte um Veröffentlichung findet sich ein Foto aus einer Überwachungskamera. Die Tat ereignete sich bereits Mitte Oktober, also zweieinhalb Monate vorher. Unter Umständen kann es sogar länger dauern, bis die Polizei eine sogenannte Öffentlichkeitsfahndung einleitet. Wir haben mit einem Sprecher des Polizeipräsidiums München über die Gründe für solche Verzögerungen gesprochen.

Öffentlichkeitsfahndung: Nicht alle Tatverdächtigen sucht die Polizei über Medien

User*innen fragen sich in sozialen Netzwerken immer wieder, woran es liegen könne, dass es immer wieder Monate dauert, bis das Foto eines oder einer Tatverdächtigen in den Medien veröffentlicht wird. Ist die Polizei zu langsam, haben die Medien geschlafen? Dass keines von dem zutrifft und alles seine juristische Richtigkeit hat, erklärte Christian Drexler, Pressesprecher des Polizeipräsidiums München im Interview mit uns.

"In welchen Fällen eine Öffentlichkeitsfahndung überhaupt eingeleitet wird, ist in der Strafprozessordnung (StPO, Anm. d. Red.) festgelegt", so Drexler. "Die Rechtsgrundlage ist grundsätzlich, dass es sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung' handelt." Dazu zählen zum Beispiel Tötungsdelikte, der Besitz oder die Verbreitung von Kinderpornografie oder Freiheitsberaubung. "Einzeltäter, die zum Beispiel eben EC-Kartenbetrug oder auch Ladendiebstahl begehen, kommen nicht in die Öffentlichkeitsfahndung", erklärt der Polizeisprecher. Im Gegensatz zu Verbrechenstatbeständen sieht das Gesetz solche Delikte als Vergehenstatbestände. Der Veröffentlichung von Fotos oder Videos, auf denen Tatverdächtige zu sehen sind, stehen in solchen Fällen das Persönlichkeitsrecht und das Datenschutzgesetz entgegen.

In der StPO sind allerdings keine dieser Delikte ausgeschlossen. "Wenn die Polizei Erkenntnisse hat, dass zum Beispiel bei EC-Karten-Betrug Täter*innen bandenmäßig vorgehen, liegt auch bei diesem Delikt eine Straftat von erheblicher Bedeutung' vor", so Drexler. Dann kommt auch eine solche Tat in die Öffentlichkeitsfahndung.

Bilder von Tatverdächtigen veröffentlichen: Polizei muss vorher alle anderen Möglichkeiten ausschöpfen

Ob Tatverdächtige öffentlich gesucht werden, kann die Polizei nicht selbst entscheiden. "Der Herr des Strafverfahrens ist die Staatsanwaltschaft", sagt Drexler. Die Polizei muss geplante Öffentlichkeitsfahndungen über die Staatsanwaltschaft dem Gericht vorlegen. Dieses entscheidet dann über die weiteren Schritte. "Wenn der Staatsanwalt aber sagt, dass er keinen Grund für eine öffentliche Fahndung sieht, können wir von der Polizei auch nichts machen", so der Sprecher.

"Allerdings kann der Staatsanwalt bei Gefahr im Verzug die Veröffentlichung selbst anordnen, sollte ein richterlicher Beschluss zu lange dauern." Das ist aber bei entsprechend gelagerten Betrugs- oder Diebstahlsdelikten in der Regel nicht der Fall. Das Entscheidende für die Zeitspanne von der Tat zur Öffentlichkeitsfahndung ist die sogenannte Subsidiaritätsklausel, wie Drexler erklärt: "Wir müssen vorher alle anderen Maßnahmen ausschöpfen. Die Öffentlichkeitsfahndung ist das letzte Mittel, das wir für einen Fahndungserfolg anwenden können." Die Polizei muss vor der Veröffentlichung von Fotos und Videos zum Beispiel Zeugen befragen oder den Weg des Täters durch andere Überwachungskameras nachverfolgen. "Deshalb kann es Monate dauern, bis nach Tatverdächtigen öffentlich gefahndet wird", so der Polizeisprecher.

Bei einem Tötungsdelikt mit einem unbekannten Tatverdächtigen oder ohne konkrete Anhaltspunkte werden Fotos und Videos zeitnah veröffentlicht, falls entsprechendes Material vorliegt.

Fazit

Die Veröffentlichung von Fotos und Videos von Tatverdächtigen muss ein Gericht genehmigen. Laut Strafprozessordnung dürfen nur sogenannte "Straftaten von erheblicher Bedeutung" in die Öffentlichkeitsfahndung gehen. Dazu zählt zum Beispiel Mord. Nach Betrügern wird in der Regel nicht über Medien gefahndet. Ausnahme: Es handelt sich um bandenmäßigen Betrug. Durch die Öffentlichkeitsfahndung werden in solchen Fällen weitere potenzielle Geschädigte geschützt. Die Zeit vom Tatzeitpunkt bis zu Veröffentlichung dauert deshalb so lange, weil die Polizei verpflichtet ist, vorher alle anderen Möglichkeiten zur Ergreifung des Täters oder der Täterin auszuschöpfen.

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