Nach dem Gong ist Hannah schnell nach Hause gerannt. Nicht um ins Wochenende zu starten. Diesmal hat die 17-Jährige ihren Rucksack gepackt, um bei einem Schüler-Kongress in Nürnberg gemeinsam mit 400 Leidensgenossen aus ganz Bayern über Schule zu diskutieren.

"Die Euphorie, in die Schule zu gehen, endet irgendwann in der 2. Klasse", sagt Hannah Imhoff. Später sei nur noch der Abschluss das Ziel. Der Spaß an Schule bleibe auf der Strecke, sagt die 17-jährige Gymnasiastin und stellt ihren Rucksack in der Löhe-Schule in Nürnberg auf den Boden der Aula. "Ich finde, die Schüler müssen für ihre eigene Motivation etwas mehr tun." Hannah hat auch schon eine Idee, wie das funktionieren könnte. "Wir Schüler müssen mehr mitbestimmen und mitgestalten können", ist sich Hannah sicher. Deshalb sei sie extra aus Gröbenzell bei München nach Nürnberg gefahren, um sich dafür einzusetzen. Sie wolle schließlich nicht gefragt werden, ob die Schul-Cafeteria grün oder rot gestrichen werden soll. Sie wolle viel lieber mit am Tisch sitzen, wenn entschieden wird, welcher Lehrer kommen oder besser gehen soll, sagt Hannah selbstbewusst und begrüßt einen "alten Bekannten".

Schülersprecher und Abiturienten

Man kennt sich. "Es sind schon immer die gleichen, die sich engagieren. Ich bin Schülersprecherin an meiner Schule", sagt Hannah und begrüßt den "Kollegen" freundlich. "Ich bin auch Schülersprecher. Wir verbringen so viel Zeit an der Schule, deswegen will ich, dass Schule noch besser wird", sagt Jan Beyer. Viele Teilnehmer des Bildungskongresses, den die Landesschülervereinigung seit 1998 jährlich organisiert, haben schon häufiger mitgemacht. Mitmachen darf freilich prinzipiell jeder in diesem Verein. In der Praxis seien zukünftige Abiturienten aber in der absoluten Mehrheit. Spektakuläre Erfolge kann sich der Verein offensichtlich nicht auf die eigenen Fahnen schreiben. "Ich bin ja schon länger dabei bei den Schüler-Kongressen. Wir haben immer große Forderung gehabt, aber die sind halt schwer umzusetzen. Positive Veränderungen gibt es meistens nur im Kleinen", gibt Viktoria Rösch, die mittlerweile schon an der Uni ist, offen zu.

Hannah kennt das Dilemma. Die Schüler-Generationen kommen und gehen viel schneller, als dass sich in der Politik etwas bewegen würde. Die 17-Jährige will sich davon nicht entmutigen lassen. "Die Schule gehört den Schülern. Das vergessen Lehrer und Politiker leider zu häufig", findet Hannah und formuliert anschließend in gemeinsamen Workshops mit den anderen die konkreten Forderungen an Schule und Politik für mehr Mitbestimmung.

Am Sonntag haben die Schüler prominente Landespolitiker aller Parteien mit ihren Wünschen konfrontiert. Große Zugeständnisse, da bleibt Hannah realistisch, wird es auch diesmal nicht geben. Aber immerhin würden die Politiker vielleicht ein paar Anregungen mitnehmen. Er sei gern zum Schülerkongress gekommen, sagt beispielsweise Georg Eisenreich (CSU). Mehr als warme Worte hat der Staatssekretär im Kultusministerium aber nicht wirklich für die Schüler mitgebracht. Aufgeben werden die trotzdem nicht so schnell. Schließlich mache es ja auch Spaß, sich für Veränderungen einzusetzen, gibt Hannah gerne zu. "Die gemeinsame Party gehört einfach auch dazu. Wir sind eben Schüler", sagt Hannah zum Abschied und macht sich mit ihren Rucksack auf den Heimweg.


Interview mit Otto Herz

Otto Herz setzt sich seit Jahrzehnten für eine andere Lernkultur an deutschen Schulen ein. Der bekannte Reformpädagoge hält nicht viel von Noten und plädiert für mehr Spaß im Unterricht und ein längeres gemeinsames Lernen. Das Lebensmotto des 70-Jährigen lautet: Im Leben lernen, im Lernen leben. Wir haben mit dem Pädagogen am Rande des bayerischen Schülerkongresses am Wochenende in Nürnberg über seine Ideen für eine bessere Schule gesprochen.

Die 400 Schüler hier beim Schülerkongress fordern mehr Mitbestimmung: Warum unterstützen Sie diesen Wunsch?
Otto Herz: Weil der Mensch ein Recht auf Selbstbestimmung hat. Und wer nicht mitbestimmen darf, wird behindert in seiner Möglichkeit der Selbstbestimmung.

Schüler sollten bei der Auswahl des Unterrichtsstoffs beispielsweise auch mitreden dürfen?
Schüler sollten über alles mitreden dürfen. Über den Stoff, über den Stil und über die Unterrichtszeiten. Ja sogar über die Einrichtung der Unterrichtsräume. Über alles müssten die Schüler mitentscheiden dürfen. In der UN-Kinderrechtekonvention ist das als Menschenrecht formuliert. Und die Schulen müssen sich an die Menschenrechte halten.

Woran krankt das Schulsystem ihrer Meinung nach besonders?
Das Hauptproblem ist die Selektion. Stattdessen sollte die wichtigste Aufgabe für Schule heute sein, den Schülern das Zusammenleben zu lernen. Lernen muss eine gute Erfahrung sein. Sonst will das auch niemand machen.
Was ließe sich das am einfachsten umsetzen?
Man müsste den Schülern mehr Einfluss geben auf ihr Lern- und ihr Schulleben. Die kommen wirklich auf sehr gute Gedanken. Die Schüler sollten auch bei der Auswahl der Lehrkräfte einen gewichtiges Wörtchen mitreden dürfen.

Was läuft gut an Bayerns Schulen?
Es gibt auch viel Gutes. Diese 400 Schüler hier in Nürnberg sind ein blendender Beweis für die Qualität der Schulen in Bayern.