Alexander Thal ist Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats in Nürnberg.

Was hält der Flüchtlingsrat von den geplanten Transitzentren?
Alexander Thal: Die Flüchtlingszahlen sind massiv zurückgegangen, es gibt aktuell keinerlei Handlungsbedarf. Dass der Union dennoch Großlager für Flüchtlinge zur Lösung ihres hausinternen Krachs einfallen, ist einfach nur erbärmlich.

Teilen Sie den Eindruck, dass eine von der Flüchtlingskrise verunsicherte Bevölkerung ein Signal wünscht?

Nein. Die große Mehrheit der Bevölkerung erwartet, dass die Politik bestehende Probleme löst. Es gibt aber derzeit keine Probleme, die einen Masterplan mit 63 Punkten rechtfertigen, der vor allem auf Abschreckung, Abschiebung und miese Lebensbedingungen setzt. Vor allem die CSU beschwört mit Blick auf die Landtagswahl im Herbst künstlich eine krisenhafte Situation herauf, die mit der Realität in diesem Land nichts zu tun hat, und schürt Angst und Verunsicherung.

Wollen Sie behaupten, dass es keine Probleme gibt? Wo hakt es im deutschen Asylsystem?
Natürlich haben wir Probleme, besonders in den großen Sammellagern in Bayern wie in Bamberg, Manching, aber auch in Donauwörth, Deggendorf oder Waldkraiburg. Die Zunahme von gewalttätigen Konflikten ist nicht von der Hand zu weisen, sind aber hausgemacht. Ja, wir brauchen Erstaufnahmeeinrichtungen in Bayern, wir können ja die Flüchtlinge nicht auf der Straße stehen lassen. Aber wir sollten die Menschen anschließend schnell in kleinere Unterkünfte verteilen, denn je kleiner die Unterkunft, desto geringer das Konfliktpotenzial im Inneren und desto größer die Akzeptanz bei den Nachbarn. Allein in Bayern gibt es derzeit 50 000 freie Plätze. Umso fataler ist es, dass Bayern und Innenminister Seehofer mit den geplanten Ankerzentren den genau entgegengesetzten Weg gehen wollen.

Bei Problemen denken die meisten Deutschen wahrscheinlich eher an den Fall der jungen Susanna, die von einem abgelehnten Asylbewerber getötet worden ist.
Ein grauenhafter Fall. Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das muss durchgesetzt werden, keine Frage! Der Täter muss dem deutschen Recht entsprechend bestraft werden. Ich wehre mich allerdings gegen jeden Versuch, aus diesem schrecklichen Verbrechen einen Generalverdacht gegen Flüchtlinge zu konstruieren. Das Recht auf körperliche Unversehrheit gilt allerdings für alle, von Angriffen auf Flüchtlinge, die es auch in Bayern unverändert fast täglich gibt, redet dagegen keiner mehr. Im Fall des toten Mädchens wird ein Verbrechen instrumentalisiert, um gegen Flüchtlinge Stimmung zu machen. Ich halte das im Übrigen auch gegenüber dem Opfer als unanständig.

Wann haben Sie denn das letzte Mal mit einem CSU-Politiker gesprochen?
Das müsste im Februar 2016 gewesen sein. Seitdem gibt es keine Gesprächsgrundlage mehr. Versuche des Bayerischen Flüchtlingsrats, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen, blockiert die Staatsregierung. Stattdessen werden wir als "selbsternannter" und "sogenannter" Flüchtlingsrat abgewertet und als aggressive Anti-Abschiebe-Industrie verleumdet. Es geht der CSU meiner Ansicht nach vor allem darum, uns und alle in der Flüchtlingsarbeit ehren- und hauptamtlich Engagierten zu diskreditieren. Uns selbst wird sogar vorgeworfen, von Abschiebung Bedrohten aktiv beim Untertauchen zu helfen.

Und, tun Sie?
Nein, tun wir nicht. Wir beraten Flüchtlinge, die unsere Hilfe und unsere rechtliche Expertise suchen. Das ist unser Job: ergebnisoffene Beratung. Wie die Betroffenen mit unseren Auskünften umgehen, ist allein ihre Entscheidung.

Allerdings findet sich auf Ihrer Homepage der Rat, im Zweifel für einige Tage unterzutauchen.
Das tut es nicht, denn untertauchen löst keine Probleme, sondern schafft viele neue. Allerdings ist es wichtig zu wissen, ab wann eine Abwesenheit als Untertauchen gilt. Deshalb informieren wir darüber, dass sich Flüchtlinge bis zu drei Tage und Nächte außerhalb ihrer Unterkunft aufhalten dürfen, ohne sich abmelden zu müssen.

Halten Sie Abschiebungen für legitim?
Abschiebungen entsprechen der gültigen Rechtslage, also habe ich sie zu respektieren. Der Flüchtlingsrat unterstützt die Behörden allerdings nicht dabei, sie zu vollziehen. Denn auch wenn sie legal sind, für legitim halte ich sie noch lange nicht. Lassen Sie es mich anders formulieren: Wir sind über 7 Milliarden Menschen auf unserem Planeten und wollen alle nur ein menschenwürdiges Leben führen. Ich habe nichts dazu beigetragen, in einem wohlhabenden und sicheren Land geboren worden zu sein. Ebenso kann kein Syrer etwas dafür, in einem vom Bürgerkrieg zerstörten Land geboren worden zu sein. Mit welchem Recht könnte ich denn fordern, dass nur ich in Deutschland leben darf?

Also sollten alle bleiben dürfen?
Es bleiben eh rund 80 % aller Flüchtlinge auf Dauer hier. Deshalb sollten wir das Geld, das wir derzeit für Abschiebungen und Abschreckungsmaßnahmen stecken, sondern stattdessen in die Integration investieren.

Sind Zurückweisungen an der Grenze denkbar?
Nein. Jeder Flüchtling hat Anspruch auf ein rechtsstaatliches Asylverfahren.

Ist das Dublin-Abkommen noch zu retten?
Dass Dublin gescheitert ist, ist seit Jahren kein großes Geheimnis. Man kann nicht einfach die Verantwortung für die Flüchtlinge an die Außengrenzenstaaten der EU delegieren und sichs in der Mitte gemütlich machen. Wenn Flüchtlinge in großer Zahl Schutz suchen, müssen auch die EU-Staaten ran, die keine Außengrenze haben. Da ist Solidarität gefragt. Wenn es der EU wie derzeit nicht gelingt, eine solidarische Lösung zu finden, darf man dafür nicht die Flüchtlinge verantwortlich machen.

Verstört es Sie, dass keineswegs nur die CSU derzeit lieber über Begrenzung als über Integration spricht?
Der politische Diskurs hat sich in den vergangenen Wochen brutal nach rechts verschoben. Die CSU hat die Parolen der AfD übernommen, was ihr im Übrigen überhaupt nichts nutzt, wie die letzten Umfragen zeigen. Von der Hysterie profitiert allein die AfD. Ich erwarte aber endlich eine klare Ansage der SPD, dass sie Söders und Seehofers Amoklauf nicht länger mitträgt. Die Opposition, die teilweise auf unserer Seite steht, geht in der zugespitzten Lage innerhalb der Regierungskoalition jedoch völlig unter.

Wie haben die vergangenen Wochen die Arbeit der Flüchtlingshelfer verändert?
Wir merken, dass sich die Stimmung gegen uns dreht. Von der Politik werden wir diskreditiert, gleichzeitig steigt die Zahl der Beschimpfungen und Drohungen, die uns per Mail erreichen. Das alles frustriert und kostet viel Kraft. Wenn die Dinge so weiter gehen, werden viele Flüchtlingshelfer aufgeben. Mit verbalem Dank durch Regierungsvertreter an die Ehrenamtlichen ist es halt nicht getan.

Wie kommen Sie jetzt wieder in die Offensive?
Wir setzen jetzt voll auf die Landtagswahl. Wir starten gerade zusammen mit vielen haupt- und ehrenamtlichen Flüchtlingshelfern einen Appell an die bayerischen Wählerinnen und Wähler und fordern sie auf, bei ihrer Stimmabgabe auch an das Schicksal der Flüchtlinge denken.

Das Gespräch führte
Christoph Hägele.