Es war schön inszeniert. Das Anliegen hatte Tiefe und der Umgang damit auch. Pastoralreferent Josef Ellner wertete 2017 über Monate hinweg Besuchereinträge in den Büchern der Staffelberger Adelgundiskapelle aus. Was Menschen dort loswurden bzw. den Anliegenbüchern anvertrauten, fesselte am Sonntag über 30 Zuhörer im evangelischen Gemeindehaus.
Sonntagabend, kurz nach 19 Uhr: Pfarrerin Anja Bautz weiß geschickt auf das Kommende einzustimmen. Sie spricht davon, dass die größte Gemeinde die stumme Gemeinde sei und eben aus den Menschen bestehe, die sich frech und fromm, beladen und erleichtert in den Fürbitten-Büchern der Kapelle am Staffelberg ein Anliegen einschreiben und dabei vorwiegend aus der Ferne stammen. Eben dieser Anliegen nahm sich Ellner an, ein Mann, der häufig für die ökumenische Kur- und Urlauberseelsorge Wanderungen zum Staffelberg anbietet und mit der Adelgundiskapelle vertraut ist.


Asche nach Nordfrankreich

Denn irgendwann zu Anfang 2017 kam ihm die Idee, die Bücher zu sichten, die Einträge und Bittgesuche an die heilige Adelgundis zu studieren und auszuwerten. Bis in den August sollte das währen, dann verbrannte er diese Bücher und beschloss, ihre Asche in Adelgundis (630-684 n. Chr.) Nähe zu bringen. Doch die aus Frankreich stammende Heilige liegt im nordfranzösischen Ort Maubeuge begraben.
Sieben Männer und 31 Frauen saßen im Dunkel und vor einem stimmungsvoll aufbereiteten Programm. Links Josef Ellner, bei schwachem Licht von Auswertungen der Bücher sprechend, in der Mitte ein Leinwand, Bilder der Wanderung nach Maubeuge zeigend, und rechts Pastoralassistentin Susanne Lindner, bei schwachem Licht die Eintragungen in die Bücher verlesend. Das machte sie gut, akzentuiert, betonend und sich auf Stimmungen einlassend.
Über eine lange Zeit hin hatte Ellner die Bücher durchforstet, quergelesen und ausgewertet. Was er dabei entdeckte, erstaunte sehr. "Ich bin auf Einträge in 25 Sprachen gekommen", so der Pastoralreferent und zählte auf: Slowakisch, Thailändisch, Schwedisch, Englisch oder Polnisch. Letzteres sei sogar die häufigste in den Anliegenbüchern zu findende Fremdsprache.


Vier große Beweggründe

Ellner forstete nach den Namen der Eintragenden, nach der Art der Sprache, die sie dabei wählten oder nach ihren Motiven für das Einschreiben selbst. Es ging ihm darum, Kategorien zu schaffen. Dabei stellte sich u. a. heraus, dass "das Bitten, der Dank, das Klagen und das Loben" die vier großen Beweggründe darstellten. Und der häufigste Beweggrund, sich über Adelgundis an Gott zu wenden, habe überraschenderweise nicht im Klagen bestanden, sondern im Danken. Einer der schönsten Dankeseinträge las sich so: "Danke für Hannelore, die wunderbarste Frau der Welt. Und dafür, dass ich es bin, der sie bekommen hat."
Die Welt, in der Ellner über Monate stöberte, empfand er als eine seltsame Mischung aus "Intimität und Anonymität, aber doch auch Öffentlichkeit", denn einerseits bringen die Menschen tiefste Wünsche zum Ausdruck, andererseits tun sie es häufig dort, wo man sie nicht kennt.
Bonmots gab es viele zu hören. Da war zum Beispiel der Mensch, der Adelgunde um Beistand gegen bayerische Bevormundung Frankens anrief. Oder der Mensch, der sich bei ihr für die Heilung vom Krebs bedankte. Aber aus den Büchern las sich auch Unverständnis dafür, dass Menschen eine Mittlerin anriefen, wo doch Jesus der Mittler sei. Es sei auch theologisiert worden und vorgekommen, dass Menschen vorherige Einträge kommentiert hätten, so Ellner. Zudem hätten auch Muslime in den Büchern hinterlassen, dass sie den Ort Adelgundiskapelle und Staffelberg schätzen. Nicht immer sei die Sprache weihevoll ausgefallen, wie eine Anrede an Jesus belegt: "Ey, du da am Kreuz ..." Andere wiederum führten Beschwerde und äußerten Wünsche: "Heilige Adelgundis, gib ihnen Hirn!"


14 Bücher ausgewertet

An die 14 Bücher habe er ausgewertet, so Ellner und herausgefunden, dass am Staffelberg "Adelgundis Maria als Fürbitterin schlägt".
Doch irgendwann 2017, so Ellner, habe er den Entschluss gefasst, die Bücher zu verbrennen und die Asche 700 Kilometer westwärts entlang des 50. Breitengrads wandernd zu Adelgundis zu bringen. In Maubeuge angekommen, streute Ellner die Asche in den Fluss Sambre. Eine symbolhafte Handlung in der Abschluss und Erhörung mitschwangen.