Am 2. Juli wurde den Mitarbeitern bei Recaro Safety Child in Mannsflur eröffnet: Das Werk wird zum Monatsende geschlossen. Damit verlieren 117 Beschäftige ihre Jobs. Wie kam es dazu? Was passiert mit den Mitarbeitenden? Dazu äußerte sich Geschäftsführer Ralf Kindermann im Interview mit der BR.

Herr Kindermann, Sie kamen im Januar 2017 als Geschäftsführer nach Mannsflur. Welchen Eindruck hatten Sie von den Gegebenheiten vor Ort?
Ralf Kindermann: Ich habe einen Kindersitzhersteller vorgefunden, der viel technisches Know-how besitzt und eine motivierte Mannschaft hat, aber auch eine Reihe von Problemen und Herausforderungen. So war die Marktposition bereits zu dem Zeitpunkt meines Eintretens heiß umkämpft. Die Produktpalette hatte sicher neue Impulse nötig, insbesondere Innovationen. Vor allem aber war die Kostenbasis angesichts des Umsatzvolumens zu hoch.

Zuvor waren Sie jahrelang in der Fahrradbranche tätig. Was konnten Sie aus dieser Zeit in die Arbeit bei Recaro einbringen?
Meine Haupttätigkeiten lagen hier im Onlinehandel und im Geschäft mit dem Endverbraucher. Der Bereich Kindersitze war für mich zwar neu, umkämpfte Märkte mit speziellen Vertriebskanälen sind mir aber nicht fremd. Ich konnte bei Recaro Child Safety, so meine ich, einige neue Ideen und Sichtweisen sowie meine Managementerfahrung einbringen.

Welche Erfolge haben Ihre Maßgaben bis zum Aus gezeitigt?
Gemeinsam mit unserem Team haben wir in Marktleugast einiges vorangebracht. Unter anderem konnten wir die operativen Kosten senken und uns besser am Markt positionieren. Zusammen mit meinem Geschäftsleitungs-Kollegen Hartmut Schürg wurden neue Produkte entwickelt und die Entwicklungszeiten deutlich verkürzt. Ferner haben wir in die Produktion und in effizientere Abläufe investiert. Es kam in dieser Phase das eine oder andere preisgekrönte Produkt auf den Markt, sogar eine Weltneuheit: eine Kombination aus Kinderautositz und Babyschale. Wir haben also gemeinsam mit den Mitarbeitern viel erreicht. Am meisten beeindruckt hat mich ohnehin das Engagement und die Loyalität der Mitarbeiter in diesen eineinhalb Jahren, auch und gerade jetzt in dieser so schwierigen Phase.

Sie sprachen von Investitionen in das Werk. Welche waren das?
Es ist viel Geld in die Hand genommen worden. So wurde zum Beispiel eine innovative und moderne Fertigung installiert. Genaue Summen möchte ich hier nicht nennen, aber ich kann versichern: Es waren signifikante Beträge, die geflossen sind.
Die Rede ist auch von gesenkten operativen Kosten. Bedeutete das eine Senkung der Belegschaftszahlen?
Nicht durch Entlassungen. Das ist durch Fluktuationen geschehen, also unter anderem altersbedingten Ausscheiden von Mitarbeitern. Wir haben nicht aktiv Mitarbeiter freigesetzt. Das war auch nie die Intention, wir haben das Team ja gebraucht, um die geplanten Neuerungen umzusetzen.
 
Was führte dann zur Schließung?
Unser Marktumfeld ist sehr hart umkämpft, es gibt zahlreiche und deutlich größere Anbieter als Recaro. Um eine nachhaltige Trendwende zu schaffen, braucht es Zeit. Die zu gewähren aber fällt umso schwerer, wenn Umsätze stetig zurückgehen. Dieser Prozess hat sich leider Anfang 2018 nochmals beschleunigt. Wir konnten zwar Kosten reduzieren, allerdings wurden diese Bemühungen durch Umsatzeinbußen und geringere Erträge wieder neutralisiert. Diesen Wettlauf zu gewinnen, ist sehr schwer. Unser Gesellschafter hat zwar die Verluste über Jahre immer ausgeglichen, doch am Ende mussten wir gemeinsam mit unserer Muttergesellschaft, der Recaro Holding, feststellen, dass das kein Dauerzustand mehr sein kann. Und: Aus eigener Kraft können wir die Umkehr ins Positive nicht schaffen. Deswegen haben wir auch nach Partnern gesucht, die mit uns kooperieren. Das ist uns leider nicht gelungen.
Nachdem alle Bemühungen nicht erfolgreich waren, haben wir uns schweren Herzens gemeinsam mit der Holding entschlossen, die Firma zu schließen. Ich bedauere diese Entscheidung sehr, sie ist aber angesichts der anhaltenden Verlustsituation nachvollziehbar. Die Gelder, die bis zuletzt investiert wurden, belegen, dass wir alle bis zuletzt an die Fortführung in Mannsflur geglaubt haben. Herr Putsch, unser Gesellschafter, ist ein Familienunternehmer mit Leib und Seele, der sich für Marktleugast über viele Jahre engagiert hat. Ob jemand anderes so viel Kapital und auch Geduld aufgebracht hätte, wage ich zu bezweifeln.

Es gab im Juli 2017 ein verheerendes Testurteil des ADAC für einen Recaro-Kindersitz. Ist so etwas in einem Markt wie dem Ihren - mit dem besagten enormen Verdrängungswettbewerb - gleichzusetzen mit dem Todesstoß?
Nein, das würde ich nicht so sehen. Ein solches Testurteil ist sicher nicht schön, doch wir haben im laufenden Jahr auch in zwei Tests mit der Bewertung "gut" abgeschnitten und mehrere Innovations-Awards erhalten. Im Child-Safety-Markt kommt so etwas zudem immer mal wieder vor, auch weltweit. Jeder der Marktteilnehmer hat schon erlebt, dass Produkte schlechte Testergebnisse erhalten. Recaro hat dabei immer extrem verantwortlich für die Kunden gehandelt. So haben wir zum Beispiel freiwillige Austauschaktionen durchgeführt, um sicherzugehen, dass die Kunden das bestmögliche Produkt bekommen.

Im Gespräch mit Vertretern der Belegschaft hieß es, es habe - vor Ihrer Zeit - die eine oder andere falsche Entscheidung seitens des Managements gegeben. Die Rede ist dabei etwa von Überproduktionen aufgrund vertraglicher Verpflichtungen mit einem chinesischen Partner, was wiederum zu Lagerüberhängen und - daraus resultierend - enormen finanziellen Belastungen geführt haben soll. Können Sie das bestätigen?
Ich tue mich schwer damit, zur Vergangenheit des Unternehmens vor meiner Zeit Kommentare abzugeben. Ich übernehme für die Zeit ab Januar 2017 die Verantwortung, ganz klar. Eines aber möchte ich sagen: Ich wäre mit zu einfachen Erklärungsmodellen vorsichtig. Die Probleme bei Recaro Child Safety haben sicher zahlreiche Ursachen, externe wie interne. Die haben im Kern schon vor vielen Jahren ihren Anfang genommen. Es ist uns nicht gelungen, die Schwierigkeiten zu beheben und eine gestärkte Position am Markt zu erreichen. Die Gründe für unsere Lage sind komplexer, als es sich nach außen darstellt.

Fakt ist: Es geht um 117 Arbeitsplätze. Dafür wurde eine Transfergesellschaft eingerichtet. Was kann diese leisten und wie gut sind die Chancen für die Frauen und Männer, die vor einer unsicheren Zukunft stehen?
Die Transfergesellschaft wurde von der Holding mit entsprechenden Mitteln ausgestattet. Das ist ganz entscheidend, denn sie soll unseren Beschäftigten eine möglichst positive Zukunftsperspektive bieten. Vor allem können wir so die Garantie geben, dass den Mitarbeitern zwischen sechs und zwölf Monaten weiterhin Gehalt gezahlt wird. Wichtig ist zudem, dass sie sich über gezielte Schulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen den Übergang in ein neues Arbeitsverhältnis erleichtern. Nicht zu vergessen: Sollte es im neuen Job dann doch nicht klappen, besteht die Chance, zurück in die Transfergesellschaft zu gehen, was eine zusätzliche Absicherung bedeutet.

Gibt es die Chance, Mitarbeiter innerhalb der Recaro Group an anderen Standorten zu beschäftigen?
Bei passendem Anforderungsprofil und der Bereitschaft zum Umzug besteht sicher die Möglichkeit, den einen oder anderen auf freien Stellen in der Gruppe platzieren zu können.

Auch im direkten Umfeld in Marktleugast soll es Interesse an Ihren Mitarbeitern geben.
Ja, es bestehen gute Kontakte zwischen Recaro und anderen Unternehmen. Wir sind in ein gutes Netzwerk eingebunden und stehen auch in engem Kontakt mit der Kommunalpolitik, die ihre Hilfe angeboten hat.

Und was wird aus Ihnen?
Ich konzentriere mich voll auf die Aufgabe, für die Mitarbeiter und auch die Immobilie den bestmöglichen Start in die Zukunft vorzubereiten. Die Schließung des Werks soll geordnet und für alle Beteiligten fair vonstattengehen. Es gibt intensive Gespräche mit potenziellen Investoren, die an den Vermögenswerten in Mannsflur Interesse zeigen. Es wäre uns daran gelegen, dass hier in den Hallen weitergearbeitet wird. Über meine persönliche Zukunft habe ich mir, ehrlich gesagt, erst einmal weniger Gedanken gemacht.