Es müssen Jagdszenen gewesen sein, die sich in jener Nacht vor eineinhalb Jahren auf der Hauptstraße in Neuenmarkt abgespielt haben. Hier eine Gruppe von drei Mann - dort vier Burschen, die sich nach dem Besuch im selben Lokal wie im Wilden Westen gegenüberstehen. Geschrei, Drohungen, Beleidigungen, bis es handgreiflich wird.

Das Unschuldslamm

Mitten drin ein Mann, der als aggressiver Schläger amtsbekannt ist und es allein mit den jungen Kerlen zwischen 20 und 23 Jahren aufnimmt. Nacheinander verdrischt er alle vier, um gestern jedoch vor dem Amtsgericht Kulmbach das Unschuldslamm zu mimen.

Der 29-Jährige glaubt nicht, dass es damals was Größeres gewesen sei, eine Schubserei vielleicht. Von Körperverletzung könne keine Rede sein. Er habe an dem bewussten Tag nach eineinhalb Jahren wieder richtig was getrunken - 2,4 Promille ergibt der Alkoholtest - und könne sich nicht genau erinnern. Er bestreitet aber auch, dass er sich von den vier Polizisten, die am 6. Juli um 2.50 Uhr einen Einsatz in Neuenmarkt haben, mit dem Hitlergruß verabschiedet hat. "Ich bin kein Nazi", sagt er.

Ein Geständnis hört sich anders an. So bleibt Staatsanwältin Katharina Roggenbrod und Richterin Sieglinde Tettmann nichts anderes übrig, als alle acht Zeugen zu hören.

Vorbestraft und unter doppelter Bewährung

Ein zeitaufwendiges Verfahren, das geschlagene vier Stunden dauert - bis auch der Angeklagte einsieht, dass überführt ist. Nach einem Gespräch mit seinem Rechtsanwalt Peter Fricke aus Bayreuth und einer Absprache mit Gericht und Staatsanwaltschaft rudert er zurück. Man stellt ihm in Aussicht, dass er für seine Taten nicht in den Knast muss - obwohl er wegen Gewaltdelikten mehrfach vorbestraft ist und sogar doppelt unter Bewährung steht.

Dabei hat der Mann den Streit gar nicht vom Zaun gebrochen. Er ist zunächst unbeteiligt, denn einer seiner beiden Freunde wirft eine leergetrunkene Bierflasche ins Gebüsch. Das Geschoss landet jedoch krachend auf einem Tisch vor dem Lokal, wo die vier anderen Nachtschwärmer sitzen. Von den Splittern getroffen, machen sie sich auf die Suche nach dem Attentäter - und treffen auf das Trio mit dem 29-Jährigen.

Katz und Maus mit dem Angreifer

Doch der Schläger hat bald keinen Bock mehr auf Verbalattacken, legt Handy, Kappe und Jacke ab und besorgt's den Milchbärten. Hier zwei, drei Ohrfeigen, dort ein Faustschlag in den Nacken oder gegen die Schläfe. Einen hat er an den Haaren, und wälzt sich mit ihm in den Sträuchern. Während drei Burschen türmen, ist der vierte so schlau, mit dem Angreifer auf der Hauptstraße Katz und Maus zu spielen. Er provoziert ihn, läuft aber immer wieder weg und lässt sich nicht mehr erwischen. Das Spielchen geht so lange, bis zwei Polizeistreifen aus Stadtsteinach und Kulmbach am Tatort eintreffen.

Die Beamten ermitteln den 29-Jährigen als Täter, dem nun ein Zufall zu Hilfe kommt: Der Sachbearbeiter der Polizei ist lange krank, und die Beteiligten sind schwierig zu erreichen, um ihre Aussagen zu machen. So kommt der Fall erst heuer im Mai zur Staatsanwaltschaft und mit erheblicher Verspätung zur Anklage.

"Das ist der Knackpunkt", sagt die Richterin, die "mit schweren Bauchschmerzen" eine Geldstrafe von 11.200 Euro verhängt. Für den Mann spricht, dass in den eineinhalb Jahren seither keine Straftaten passiert sind und dass er familiär und beruflich eingebunden ist. "Bei einer zeitnahen Verhandlung hätte es eine Freiheitsstrafe gegeben", so Tettmann. Und Roggenbrod schärft dem Wiederholungstäter ein: "Die Staatsanwaltschaft hat Sie genau im Visier, dass Sie sich überhaupt nichts mehr erlauben können."

Nachspiel für einen Zeugen

Pech für den Flaschenwerfer: Er hat als Zeuge hundertprozentig ausgeschlossen, dass sein Kumpel etwas gemacht hat. Daher deutet die Staatsanwältin an, dass gegen ihn wohl wegen Falschaussage ermittelt wird.