Christine Kiendl arbeitet jeden zweiten Sonntag und oft auch abends oder in der Nacht. Sie ist Hebamme - und da gehört das Schichtarbeiten einfach dazu, wie sie sagt. Trotzdem ist sie gegen das Ausdehnen der Ladenöffnungszeiten und gegen verkaufsoffene Sonntage. "Im Gesundheitswesen geht es nicht anders, da muss rund um die Uhr eine Versorgung gewährleistet sein. Das ist lebensnotwendig", erklärt sie. Aber einkaufen könne man - zumindest in Supermärkten - täglich bis 20 Uhr. Da sollte es jeder irgendwann einmal zum Einkaufen schaffen, egal ob Schichtarbeiter oder nicht.

Eine Ausdehnung der Öffnungszeiten hält Christine Kiendl daher für unnötig. Genau wie Erzbischof Ludwig Schick, der sich gegen Bestrebungen wendet, die Ladenöffnungszeiten zu lockern.
"Das Ladenschlussgesetz ist auch ein Familienschutzgesetz", sagt Schick. Niemand müsse rund um die Uhr einkaufen. Es sei auch nicht anzunehmen, dass durch längere Öffnungszeiten mehr gekauft werde, der Konsum verteile sich dann nur auf einen größeren Zeitraum. "Unsere Gesellschaft lebt nicht von Konsum und Tourismus, sondern von lebendigen Familien, die auch Zeit füreinander haben müssen" - ebenso wie für das Vereinsleben, sagt der Erzbischof. Zudem befürchtet er, dass die Lockerung der Ladenschlusszeiten an Werktagen nur ein erster Schritt wäre, dem auch der Schutz von Sonn- und Feiertagen zum Opfer fallen würde.

Auch von den Vertretern der beiden großen Kirchen in Kronach werden insbesondere die verkaufsoffenen Sonntage sehr kritisch gesehen. Nachdem deren Zahl in der Kreisstadt seit vielen Jahren Anlass zu Diskussionen bietet, hatten die Dekanate beider Konfessionen gemeinsam mit Betriebsseelsorger Eckhard Schneider eine "Allianz für den freien Sonntag" gegründet. "Am Sonntag wird einer Familie beispielsweise gemeinsame Zeit geschenkt", wie Betriebsseelsorger Eckardt Schneider erklärte. "Wir müssen Alternativen bieten, damit die Leute nicht aus Langeweile shoppen gehen, sondern sich anders betätigen können", sagte Stadtpfarrer und Regionaldekan Thomas Teuchgräber.

Es habe keine Relevanz, was der Erzbischof meint, sagt Jochen Friedrich, Geschäftsführer des Kaufhauses Weka. Vielmehr gebe der Wettbewerb den Takt vor. "Wenn es in den Städten um uns herum vier verkaufsoffene Sonn- und Feiertage gibt, dann muss es auch bei uns vier geben. Alles andere ist Wettbewerbsverzerrung", sagt Friedrich. Er habe nichts dagegen, wenn die Läden an Sonntagen geschlossen bleiben, dann müsste das aber für ganz Deutschland gelten. "Es müsste bundesweit gleiche Bedingungen geben. Denn wenn es eine solche Regelung nur für einzelne Bundesländer gibt, dann ist das Problem immer noch das gleiche, dann fahren die Leute einfach in das benachbarte Bundesland, wenn dort die Geschäfte an einem Sonntag geöffnet sind", sagt Friedrich und sähe damit die Kaufkraft aus Kronach in andere Bundesländer fließen.

Zweierlei Maß


Deshalb empfiehlt er Erzbischof Schick, sich mit seinem Anliegen an die Bundesregierung zu wenden. Dies betonte auch Dietrich Denzner, Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft. "Die Änderung müsste von oben kommen." Darüber hinaus und konkreter zur Kronacher Situation wollte er sich gestern auf Nachfrage nicht äußern, um - wie er sagte - "nicht Öl ins Feuer zu gießen".

Jochen Friedrich rät dem Erzbischof weiter, er solle einmal nach Vierzehnheiligen und an sämtliche andere Wallfahrtsorte fahren und schauen, was da an sämtlichen Ständen sonntags verkauft wird. "Da muss man sich dann schon fragen, ob hier mit zweierlei Maß gemessen wird." An den verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen seien jeweils so viel Leute in der Stadt wie an keinem anderen Tag. Die Mitarbeiter bekämen als Ausgleich für das Arbeiten an einem Sonn- oder Feiertag während der Woche einen Tag frei. "Und wir müssen unsere Mitarbeiter nicht zwingen, an einem solchen verkaufsoffenen Tag zu arbeiten", betont der Weka-Geschäftsführer.

Johannes Fehn, Kreisvorsitzender des Einzelhandelsverbands, verweist darauf, dass sich der Handel angesichts von Konkurrenz aus dem Internet und gewandelten Ansprüchen der Käufer prinzipiell umorientieren müsse. "Die Menschen haben immer weniger Freizeit und wollen nach Arbeitsschluss auch einkaufen können", betont er. Wenn es am Abend in der Innenstadt ruhig werde, "brummt es am Rand", sagt er. Die Diskussion um die Öffnungszeiten müsse dann auch Tankstellen oder Läden in Bahnhöfen einbeziehen, die zum Teil die Mitbewerber des Einzelhandels seien.
In Kronach gebe es noch viele Geschäfte, die familiär geführt seien. Die seien oft gar nicht in der Lage, die Forderung nach längeren Öffnungszeiten zu erfüllen. Er wisse aber, dass die meisten Läden in der Innenstadt inzwischen mindestens ein weiteres Standbein hätten, um insgesamt wirtschaftlich arbeiten zu können.

Von der Branche abhängig


Was die verkaufsoffenen Sonntage angehe, trete er für ein Miteinander mit Kritikern ein, für einen Kompromiss. Die Kirche müsste sich beispielsweise vor Augen halten, dass an der langen Einkaufsnacht zu "Kronach leuchtet" die Gotteshäuser voll seien, wenn dort ein Programm angeboten werde. Anders formuliert: Wenn die Stadt voll sei, könne dies auch im Interesse der Kirchen sein, die dann auch Passanten oder Einkaufende anziehen könnten. "Die verkaufsoffenen Sonntage sind Werbeträger für Kronach."

Nicht geöffnet hat an verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen die Buchhandlung "Lesezeichen" von Anette und Michael Panhans. "Ich finde ganz einfach, dass man einen Tag in der Woche zur Erholung braucht. Wir haben keine Angestellten und würden, wenn wir auch an verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen öffnen, sieben Tage durcharbeiten. Und ich glaube, das rentiert sich nicht wirklich", erklärt Anette Panhans.

Auch Jürgen Gaissmaier, Inhaber des Wäschegeschäfts Monique, öffnet seine Ladentür an verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen nicht mehr. Seiner Meinung nach kommt es immer auf die Branche an, ob ein verkaufsoffener Sonn- oder Feiertag sinnvoll ist. "Wir sehen so etwas als Familien-Einkaufstag. Unser Angebot - Dessous und Nachtwäsche - ist speziell für Frauen. Und hier haben wir festgestellt, dass unsere Kundinnen lieber allein und unter der Woche in Ruhe einkaufen, als an einem verkaufsoffenen Sonn- oder Feiertag, wo die Kinder dann vielleicht drängeln", erklärt Gaissmaier.

Bürgermeister Wolfgang Beiergrößlein ist generell gegen eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten, "weil es Zeiten geben muss, an denen der Mensch zur Ruhe kommt". Ähnlich wie Jochen Friedrich ist er aber der Meinung, dass es hier eine bundesweite Regelung braucht, weil er sonst ein Konkurrenzdenken zwischen den Kommunen befürchtet. Recht gibt er dem Erzbischof darin, dass die Kaufkraft durch ausgedehnte Ladenöffnungszeiten nicht mehr wird. "Vielmehr verteilt sie sich nur auf mehrere Tage, was zu Lasten der Verkäuferinnen geht und letztlich auch zu Lasten des Umsatzes der Gewerbetreibenden."

Apropos Verkäuferinnen. Eine zu finden, die sich zu diesem Thema äußert, ist schwierig. "Glücklich bin ich nicht, wenn ich an einem Sonntag im Laden stehen muss", sagt eine. Aber ihren Namen will sie in der Zeitung nicht lesen, bevor sie dann vielleicht gar keine Arbeit mehr hat - egal ob Werk- oder Sonn- und Feiertag.