In nahezu jeder Kirche kann man eine Orgel hören. Wenn dann noch einer der bedeutendsten Organisten seiner Generation am Spieltisch Platz nimmt, kann der Hörgenuss kaum mehr gesteigert werden. So war es in der kleinen evangelischen Kirche in Gleisenau, wo der "Principal Organist" der Bamberger Symphoniker, Christian Schmitt, am Reformationstag ein Sonderkonzert gab und tosenden Applaus erhielt.
Der Auftakt erfolgte mit der Sonate Nr. 3 A-Dur op. 65, Nr. 3 von Felix Mendelsohn (1809-1847), die mit ihren feinfühligen Melodien und ihrer romantischen Vielfalt mit viel Tiefgang den Kirchenraum erfüllte.
Pfarrer Volkmar Gregori stellte in seinem Grußwort heraus, dass das Ereignis des Thesenanschlags vor 500 Jahren die Welt verändert habe. Ihn bewege aber heute auch, dass man mit Christian Schmitt einen der größten Organisten der Welt an der kleinen Orgel in Gleisenau hören könne.
Bei der Vorstellung der Virtuosität und der Empathie des Organisten für die "Königin der Instrumente" kam er regelrecht ins Schwärmen: Er meinte, es sei für ihn, als wenn Weltfußballer Christiano Ronaldo auf dem Sportgelände des SV Rapid Ebelsbach spielte.
Echo-Preisträger Christian Schmitt konterte sofort und wollte sich "höchstens in der Bundesliga" sehen, aber damit stapelte er ganz sicher zu tief.


International gefragt

Der 1976 geborene Musiker gilt schon heute als einer der virtuosesten und charismatischsten Konzertorganisten und ist als Solist sowie als Begleiter international gefragt. Durch gute Kontakte von Pfarrer Volkmar Gregori und seiner Frau zu dem glänzenden Musiker ist er nach Gleisenau gekommen.
Er sei gerne hier an der Orgel, während er sonst ja seit vier Jahren bei den Bamberger Symphonikern sei und dort die dortige Orgelreihe leite, erklärte Schmitt. Die dortige Konzert-Orgel habe rund 4000 Pfeifen mehr, und man müsse wie ein Pilot vor dem Start die Checkliste der vier Manuale und 74 Register bei 5830 Pfeifen für das jeweilige Werk durchgehen. Christian Schmitt lud auch zu den Konzerten in Bamberg ein.
Pfarrer Volkmar Gregori erläuterte aber, dass man diesem berühmten Organisten auch auf Reisen begegnen könne, denn in den nächsten Wochen sei dieser nicht nur in Bamberg, sondern auch in Warschau, auf Malta, in Tokio oder New York zu hören.
Der Auftritt "Gleisenau" passte anscheinend gar nicht so in die klangvollen Namen aus der ganzen Welt, aber umso gespannter und begeisterter waren die Besucher in der Kirche. Christian Schmitt stellte sich ihnen auch vor, weil er sonst am Spieltisch der Orgel im zweiten Stock der Empore für die Besucher verborgen war. Dabei betonte er, dass man auch auf einer wesentlich kleineren Orgel wie in Gleisenau alles hervorragend spielen könne.
Werke von Johann Sebastian Bach, den Pfarrer Gregori als den "fünften Evangelisten" betitelte, weil es sein Credo gewesen sei, nur zur Ehre Gottes zu komponieren, standen dann im Mittelpunkt des Konzertes. Dazu zählten die beiden Fassungen "Jesus Christus, unser Heiland" BWV 665 a und 666 a. Dazwischen schob Christian Schmitt dann mit Arvo Pärt einen der eigenwilligsten und zugleich faszinierendsten Komponisten der jüngsten Zeit. Zur 900-Jahrfeier des Doms zu Speyer im Jahre 1980 hatte dieser das Stück "annum per annum" (Jahr für Jahr) geschrieben.
Dem folgte dann wieder der "Orgel-Virtuose" Bach mit seiner leidenschaftlichen "Fantasie und Fuge g-moll". Bei der "Fantasie" kam der volle Orgelklang zum Ausdruck.


Der "Orgel-Hit" schlechthin

Nach der Frühfassung des Chorals "An Wasserflüssen Babylons" präsentierte Konzert-Organist Schmitt mit der "Toccata und Fuge g-moll" von Bach das wohl mit Abstand bedeutendste Orgelwerk europäischer Konzertmusik. Sie ging bei jedem Besucher gleich ins Ohr und ist ja auch der "Orgel-Hit" schlechthin. Der Komponist schrieb sie schon vor mehr als 300 Jahren und vermutlich vor seinem 20. Geburtstag. So spiegelt sich hier auch das ganze Feuer und die Jugendkraft von Bach wider. Die Anfangsmelodie erklingt inzwischen in unzähligen Filmen wie "Sunset Boulevard" und gehört zu den bekanntesten Melodien der Klassik.
Pfarrer Gregori nutzte die Gelegenheit zu einigen Gedanken zu Luther und der Musikkultur in Deutschland. Auch Luther bekannte: "Ich liebe die Musik, denn sie ist erstens ein Geschenk Gottes und nicht der Menschen; zweitens macht sie fröhliche Herzen; drittens verjagt sie den Teufel; viertens bereitet sie unschuldig Freude; fünftens, weil sie in Friedenszeiten herrscht."
Luther habe auch den deutschsprachigen Gesang in einer in lateinischer Sprache stattfindenden Messe eingeführt. Nach seinem Willen sollte sich die passive Gottesdienstgemeinde in aktiv teilnehmende, singende Mitwirkende verwandeln. Genau das geschah dann auch zum Abschluss des Konzertes: Die Gemeinde sang, begleitet von Christian Schmitt an der Orgel, das traditionelle Abendlied "Der Mond ist aufgegangen" von Matthias Claudius.