Rainer Eppelmann war zu Gast am Gymnasium Herzogenaurach. Der Pfarrer, Bürgerrechtler und ehemalige Minister für Abrüstung und Verteidigung der letzten DDR-Regierung ist nicht nur ein wichtiger Zeitzeuge, sondern auch heute noch ein politischer Akteur und ein beredter Gesprächspartner. Als Vorstandsvorsitzender der "Bundesstiftung für die Aufarbeitung der SED-Diktatur" hält er seit vielen Jahren die Erinnerung an die DDR wach, setzt sich für eine unverklärte Sicht auf die Vergangenheit ein und engagiert sich für die Demokratie in Deutschland - vor allem bei der Jugend.
Um über seine Erfahrungen als Oppositioneller in der DDR zu berichten und sich als Zeitzeuge den Fragen der elften Jahrgangsstufe zu stellen, kam er nach Herzogenaurach. Die Einladung an Eppelmann konnte dank der Kooperation zwischen dem Stadtmuseum und dem Gymnasium ausgesprochen und realisiert werden, heißt es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der beiden Einrichtungen. Neben den Schülern nahmen auch die an der Vorbereitung beteiligten Geschichtslehrkräften Christine Henninger, Andrea Kirchner-Seul, Rolf Kraus, Nicole Steidl, Karin Both-Kowalski und Christian Hoyer vom Stadtmuseum an der eindrucksvollen Zeitreise in den 1990 aufgegebenen deutschen Staat teil.
Rainer Eppelmann bot dem jungen Publikum verschiedene Perspektiven an, aus denen es die ihn prägenden Ereignisse nacherleben und gleichzeitig kritisch reflektieren konnte. "Wie mögen die sich gefühlt haben?", fragte der aus einfachen Verhältnissen stammende spätere evangelische Pfarrer und zielte dabei auf die im Rahmen der Zwangskollektivierung Enteigneten, die Opfer des 17. Juni 1953, die Wähler während des "Zettelfaltens" und die insgesamt 4,2 Millionen Geflüchteten. "Wer ging, ließ alles zurück, und noch schlimmer: Er musste sich sagen lassen, ,Du bist ein Verbrecher, du darfst nicht wiederkommen.‘"
Diese gewonnenen Eindrücke sensibilisierten die Zuhörer für die Zwänge und den begrenzten Herrschaftszugang in der SED-Diktatur. Deren Bürger hätten sich seit dem Mauerbau als "Leibeigene" empfunden und durch das "Fenster des West-Fernsehens" jeden Tag miterleben können, was im anderen Teil Deutschlands gegessen, eingekauft und konsumiert wurde. "Wir sahen die Klamotten, die sie trugen, die Autos waren aus Blech und nicht aus Pappe und sie verreisten in Orte, die wir im Schulatlas nicht fanden."


Druck auf die Herrschenden

Nach einem kurzen Streifzug durch die achtziger Jahre und der Erwähnung seiner zeitweisen Verhaftung wurde den Jugendlichen die Wendezeit mit den immer enger werdenden Räumen für die Herrschenden anschaulich vor Augen geführt. "Die Angst hatte die Seiten gewechselt", merkte Eppelmann an, als er auf Schabowskis folgenreichen "Versprecher" verwies und das Publikum in die Atmosphäre der sich überschlagenden Ereignisse in der Bornholmer Straße am 9. November 1989 eintauchen ließ. "Wir hatten Glück, dass Honecker nicht mehr an der Macht war, denn dieser hätte wohl Gorbatschow zu Hilfe geholt", mutmaßte der Mitbegründer des "Deutschen Aufbruchs" und spätere CDU-Abgeordnete.
Die ausgesprochen eindrucksvoll vermittelten Denkanstöße wurden von den Schülern aufgegriffen, um Fragen zu Eppelmanns Umgang mit den repressiven Maßnahmen des SED-Staates zu stellen. In diesem Zusammenhang brachte der ehemalige Regimekritiker die Motivation für seine Arbeit mit Schulklassen auf die Formel: "Mut machen zum Diskurs", denn den gebe es nur in der Demokratie und nicht in der Diktatur. Das gelang den Schülern ganz gut, und Eppelmann war sichtlich beeindruckt, als nach anderthalb Stunden die Pausenglocke ertönte und viele der Schülerfragen noch nicht beantwortet waren. Er versprach, er werde sich Zeit nehmen diese zu beantworten - und nach Herzogenaurach komme er gerne nächstes Jahr wieder. red