Sigismund von Dobschütz

Es scheint völlig gleichgültig zu sein, in welcher literarischen Form der deutsche Schriftsteller Ferdinand von Schirach (54) seine juristischen und philosophischen Gedanken zu Papier bringt: Es werden Bestseller! Nach den Romanen "Der Fall Collini" (2011) und "Tabu" (2013), seinem Essay-Band "Die Würde ist unantastbar", dem Theaterstück "Terror" (2015) oder seinem herausragenden philosophischen Disput mit Alexander Kluge, "Die Herzlichkeit der Vernunft" (2017), kam endlich wieder nach "Verbrechen" (2009) und "Schuld" (2010) ein dritter Band mit Kurzgeschichten - "Strafe" - heraus. In wenigen Stunden leicht zu lesen, haben diese zwölf Erzählungen trotz aller geballter Kürze in ihrer berührenden Tiefgründigkeit mehr Aussagekraft als mancher dicke Roman.
In kurzen Sätzen, ohne ein einziges schmückendes Wort zuviel, geht es in "Strafe" um die Frage, was Wahrheit ist. Und es geht Schirach um die Persönlichkeitsbildung seiner so unterschiedlichen Figuren. Doch eigentlich geht es in den Geschichten um uns selbst: Wie wurden wir, wer wir sind? Es gibt auch in "Strafe" keine guten oder bösen Menschen. Oft sind die vermeintlichen Täter schicksalsbedingt eher Opfer.
Es sind gerade diese philosophischen Gedanken um die Lebenswege seiner doch so normal-menschlichen Protagonisten, die Schirachs Bücher von den Werken anderer Autoren unterscheiden. Man spürt in seinen Erzählungen, wie der Jurist seine Figuren für ihre Handlungen bis hin zu Mord und Totschlag niemals verurteilt, sondern mit ihnen fühlt, ihr Handeln zumindest verstehen kann. Er erzählt in diesen zwölf Geschichten von Einsamkeit und Fremdheit, vom Streben nach dem kleinen Stückchen Glück. Liebhaber guter Literatur sollten sich den Erzählband nicht entgehen lassen.