Sigismund von Dobschütz "Nur mit der Form des Romans konnte ich dem makabren Leben des Nazi-Arztes möglichst nahekommen", schreibt der französische Journalist und Schriftsteller Olivier Guez (44) im Quellennachweis seines 2017 in Frankreich mit dem Prix Renaudot prämierten Romans "Das Verschwinden des Josef Mengele", der jetzt im August beim Aufbau-Verlag erschien. Nur so gelingt es Guez nicht nur die abstrakte Figur deutscher Geschichte und den "Todesengel von Auschwitz" zu beschreiben, sondern Josef Mengele (1911-1979) auch als Menschen zwischen Todesangst und Arroganz während seines 35 Jahre dauernden erbärmlichen Lebens in lateinamerikanischen Verstecken zu zeigen.
Anhand unzähliger Quellen schildert Guez sehr anschaulich die ersten Jahre Mengeles in Argentinien unter dem Schutz eines Zirkels ebenfalls geflohener Nazi-Größen, die sich bereits dem autokratischen Perón-Regime angedient haben. Mengele führt ein sorgenfreies Leben, ist doch die Bundesrepublik mehr mit dem Neuaufbau als mit internationaler Kriegsverbrecherjagd befasst. Dies ändert sich erst, als der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer Anfang der Sechziger zur Jagd auf die Kriegsverbrecher bläst und die Auschwitz-Prozesse stattfinden.
Im Roman begleiten wir Mengele in den nun folgenden Jahren des Versteckens, seines totalen Angewiesenseins auf Helfer. Wir erleben fast in der Art eines Tagebuchs seine ständige Angst vor Verrat, sein Heimweh nach Günzburg, gleichzeitig aber auch sein reueloses geistiges Verharren in der Nazi-Ideologie. Während um Mengele herum eine neue Welt entsteht, preist Mengele unverbrüchlich die Rassenideologie Adolf Hitlers.
Guez ist mit seinem Roman etwas Neues gelungen: Während wir Nachgeborenen Josef Mengele als abstrakte Person aus historisch-wissenschaftlicher Literatur kennen, präsentiert uns der Autor den "Todesengel von Auschwitz" als Menschen mit Eigenschaften und Gefühlen, einen Menschen zwischen Ehrgeiz und krankhaftem Wahn, von dem sich zuletzt auch die eigene Familie lossagt.
So spannend sich der Roman auch liest, so interessant die auf unzähligen Fakten aufgebaute Handlung auch geschrieben ist, dürfen wir beim Lesen trotzdem nicht vergessen: Das Buch ist nur ein Roman! Genau darin aber steckt die Gefahr: Der Autor überlässt allein uns, zwischen Fakten und Fiktion unterscheiden zu müssen. Aber wer von uns Lesern, wenn nicht ausdrücklich fachlich gebildet, ist dazu wirklich in der Lage?