"Ich bete jeden Abend. Und mein erster Satz seit fast 32 Jahren ist: Danke Gott, dass ich nicht mehr trinken muss." Der Mann, der das sagt, ist der bekannte Kissinger Kinderbuchautor Thomas Mac Pfeifer. Der 74-Jährige hat auch in der Saale-Zeitung das Schicksal des früheren Radprofis Jan Ullrich verfolgt, der sich aktuell in der Suchtklinik Betty Ford in Bad Brückenau helfen lässt. "Ich bin zwar nicht Jan Ullrich, aber wenn Sie mit mir über meine Krankheit reden wollen, ich bin dazu bereit", schrieb er an die Saale-Zeitung. Mit großer Offenheit spricht er über die Zeit, die ihn fast das Leben gekostet hätte.
Den Pegel halten
Seit sieben Jahren wohnt Mac Pfeifer, wie ihn alle nennen, in Bad Kissingen. Dort schreibt er Kinderbücher, das elfte mittlerweile. Eines wurde sogar in 45 Sprachen übersetzt. Früher lebte er den hektischen Alltag eines Chefreporters bei der Berliner "BZ", einer Boulevardzeitung. Da hing er schon längst an der Flasche. Sein Alltag: Den Pegel erreichen, damit er leben konnte - oder das, was er als Alkoholiker dafür hielt.
"Es steigert sich unmerklich", erinnert er sich an die Anfangsjahre seiner Trinkerkarriere. In einer Gesellschaft, die Alkohol toleriert, oder noch fataler, in der der Abstinenzler aus der Rolle fällt, war der Weg zum täglichen Schluck kurz. "Und dann bemerkst du, dass hier etwas falsch läuft. Du fängst an, am Wochenende mal nicht zu trinken. Oder unter der Woche nicht, dafür bettelst du dich dem Freitag entgegen. Es ist ein einziger Beschiss."
Hundertmal selbst entzogen
Hundertmal, sagt er, habe er selbst entzogen, jedes Mal ein Martyrium, allein, es hielt nicht lange an. Als seine Frau mit dem Sohn schwanger war, schwor er, während der neun Monate keinen Tropfen anzurühren.
"Und ich habe das geschafft. Bis mein Sohn auf die Welt kam." Im Anschluss an die Geburt ging er nach Hause, öffnete den Kühlschrank und pumpte zwei Flaschen Champagner quasi auf ex in sich hinein. "Als mich meine Frau am nächsten Tag mit glasigen Augen sah, war ihr alles klar."
Drei Piccolo am Morgen
Um den Pegel zu halten, holte er sich frühmorgens, nachdem er das Kind in den Kindergarten gebracht hatte, am Kiosk erst einmal drei Piccolo. Und als er noch Frühschicht in einer anderen Zeitung arbeitete, hatte der Karikaturist um 9.30 Uhr das Frühstück dabei: eine Flasche Wodka für jeden. Die war kurze Zeit später leer.
In seiner Wohnung: mindestens 20 Alkohol-Verstecke. "Aggressiv war ich nie, aber der Alkohol ließ mich Menschen beleidigen." Dass er tatsächlich ein großes Problem hatte, fiel nur wenigen auf. "Der verträgt was und ist lustig", hieß es.
"Kämpfen geht nicht"
Seiner Frau waren die ewigen Schwüre, die nicht eingehaltenen Versprechen schon lange leid. "Doch du kannst nicht für jemand anderen das Trinken beenden. Das geht erst, wenn du kapitulierst, wenn du endlich verstanden hast, dass du der Sucht nichts entgegenzusetzen hast. Wenn du verstanden hast, dass die Sucht immer stärker sein wird als du. Kämpfen geht nicht, denn kämpfen heißt immer gewinnen und verlieren."
Seine Frau setzte ihm schließlich die Pistole auf die Brust: Wenn der Sohn alt genug sei zu bemerken, dass der Vater säuft, dann werde sie Konsequenzen ziehen. "Und dann kannst du dich totsaufen." Das war der eine Satz, der ihn schlussendlich dazu brachte, sein Leben zu ändern.
Im Suff auf dem Asphalt
Schließlich kapituliert er. Er konnte nicht mehr arbeiten. Er konnte kein normales Leben mehr führen. An dem Tag, an dem Mac Pfeifer merkte, dass es nicht mehr geht, fiel er morgens vor der Arbeit im Suff auf den Asphalt. Er holte sich ein Taxi, "ich ließ mich sturzbetrunken in eine Klinik bringen". Dort blieb er eine Woche, mit Hilfe von Medikamenten war der Entzug zu ertragen. "Im Anschluss ging es gleich weiter ins Jüdische Krankenhaus in Berlin, dort schloss sich eine sechswöchige Therapie an." Er hatte volles Vertrauen in die Klinik. "Der Chefarzt ist trockener Alkoholiker wie viele Pfleger auch."
Sein Chefredakteur war ihm ein Rückhalt. "Er sagte, ich solle wieder kommen, wenn ich gesund bin", die Erleichterung darüber, dass der Chef die Sucht als Krankheit akzeptierte, machte es leichter. Und auch, dass seine Frau an ihn glaubte. "Sie hat mir später gesagt, dass sie immer an mich geglaubt hat: Wenn du dir einmal medizinische Hilfe gesucht hast, dann wirst du nicht mehr rückfällig." Noch heute rührt ihn dieses große Vertrauen, das seine Frau in einen suchtkranken Menschen hatte.
Das erste Glas stehenlassen
Fast 32 Jahre ist das jetzt her, in denen Mac Pfeifer einen wichtigen Satz verinnerlicht hat: "Ich lasse das erste Glas stehen." "Selbst wenn ich den Eierlikör auf dem Eis zulassen würde - zwei Tage später wäre ich wieder dabei, denn mein Hirn würde mir signalisieren: Ahhh! Da isses ja wieder", dieses vermeintlich tolle Gefühl.
Mit Hilfe der Anonymen Alkoholiker und der Erkenntnis, jetzt ein glückliches, weil suchtfreies und selbstbestimmtes Leben führen zu dürfen, ist Mac Pfeifer seit fast 32 Jahren clean. An Schicksalen wie dem von Jan Ullrich nimmt er Anteil. "Jan Ullrich braucht Menschen um sich herum, die wissen, worum es geht, wenn sie über Alkohol reden. Ich würde mir für ihn wünschen, dass er sich den Anonymen Alkoholikern irgendwo in Neuseeland anschließt, wo ihn niemand kennt."
Dort könnte er irgendwann den Satz sagen, der ihm schwer über die Lippen geht, der aber der Anfang seines neuen Lebens ist: "Ich heiße Jan, und ich bin Alkoholiker", formuliert Mac Pfeifer.Diesen Satz sage ich auch heute noch: "Ich bin Mac, und ich bin und bleibe Alkoholiker - mein Leben lang. Denn heilen kann man diese Krankheit nie - nur stoppen."