Normalerweise erfüllen Opernkritiken ihren Zweck, indem sie dem Leser eine Einordnung liefern, ob es sich lohnt, eine aktuelle Produktion zu besuchen oder nicht. Danach sind sie für das breite Publikum nur noch Schnee von gestern. Dass sie aber auch sehr langlebig sein können, zeigte sich den amüsierten Zuhörern bei einer Lesung mit Volker Ringe. Der beliebte Schauspieler präsentierte jetzt auf Einladung des Richard-Wagner-Verbands Bamberg im Atelier des Bildhauers Bernd Wagenhäuser jene launigen Rezensionen, die Paul Lindau, einer der damaligen Kritikerpäpste, über die "Ring"-Uraufführung 1876 in Bayreuth verfasste.
Es war, um gleich den Lindau'schen roten Faden aufzunehmen, ein durchaus langer, doch höchst kurzweiliger Abend. Im ausgehenden 19. Jahrhundert gab es nämlich für feuilletonistische Beiträge in den Zeitungen noch unglaublich viel Platz - gleich auf mehreren Druckseiten! Paul Lindau berichtete zuerst in der Schlesischen Presse in insgesamt fünf "Briefen" über die ersten Wagner-Festspiele, die noch im selben Jahr unter dem Titel "Nüchterne Briefe aus Bayreuth" in Buchform erschienen und dort allein auf über fünfzig Seiten kommen.
Dass dieses Büchlein immer wieder aufgelegt wurde, hat gute Gründe. Lindau ist ein brillanter Beobachter, der seine Leser sehr direkt anspricht und mit Einfühlung und kritischem Witz auf den Punkt bringt, was in seinen Augen gelungen und was misslungen ist. Womit er von vornherein bei jenen Wagnerianern ins Fettnäpfchen trat, die in unbedingter Unterwürfigkeit zu ihrem "Meister" standen und nichts, aber auch gar nichts als zu lang empfanden bei einem Werk, das bei der Uraufführung die jeden Rahmen sprengende Gesamtspieldauer von vierzehneinhalb Stunden hatte.
Die auch heute noch ungewöhnliche Länge - Wagners Tetralogie wurde in dem Punkt bisher nur von Karlheinz Stockhausens "Licht"-Zyklus übertroffen - zieht sich wie ein roter Faden durch Lindaus Kritiken: "Es gehört zu den berechtigten Eigentümlichkeiten Wagners, dass er uns alles mehrfach erzählt. Gewöhnlich vernehmen wir erst das Programm, das ausgeführt werden soll, dann sehen wir die Ausführung in der Handlung, und später hören wir den Bericht über das Ausgeführte. Die Deutlichkeit gewinnt dadurch, nicht aber das Interesse, welches das Kunstwerk einflößt."
Wenn Lindau am Schluss mutmaßt, dass die Nachwelt Wagner zwar auf jene Höhen emporheben wird, "auf denen die größten Künstler unseres Vaterlandes wandeln", aber Bearbeiter kommen werden, "die sich ganz gemütlich über die vier starken Partituren hermachen und das Unwirksame, das die unverständige Mehrheit unserer Generation gelangweilt hat, schonungslos beiseite werfen", hat er Recht gehabt. 2012 sollte sogar Richard Wagners Urenkelin Katharina in Buenos Aires einen spektakulär um die Hälfte gekürzten "Ring" inszenieren, was sie aber kurzfristig absagte, 2017 hatte in Wien ein ähnliches Projekt Premiere, unter der Regisseurin Tatjana Gürbaca, die angeblich 2020 den sechzehnten "Ring" in Bayreuth inszenieren wird.
Bleibt noch anzumerken, dass Volker Ringe, der zehn Jahre dem Ensemble des Bamberger Theaters angehörte und jetzt am Theater Hof wirkt, genau jenen süffisanten Plauderton traf, der charakteristisch sein dürfte für den Feuilletonisten und Theatermann Paul Lindau. Auch das Ambiente stimmte, denn erstens entspricht das Atelier von Bernd Wagenhäuser als kunstgefüllter nüchterner Raum dem schnell als "Scheune" titulierten Zweckbau Festspielhaus. Und zweitens gab es an diesem sehr warmen Frühsommerabend zu den "Nüchternen Briefen" Wasser, Wein und Brezen, so dass - trotz textlicher Längen! - Rufe nach Fortsetzung laut wurden.
Es war, um gleich den Lindau'schen roten Faden aufzunehmen, ein durchaus langer, doch höchst kurzweiliger Abend. Im ausgehenden 19. Jahrhundert gab es nämlich für feuilletonistische Beiträge in den Zeitungen noch unglaublich viel Platz - gleich auf mehreren Druckseiten! Paul Lindau berichtete zuerst in der Schlesischen Presse in insgesamt fünf "Briefen" über die ersten Wagner-Festspiele, die noch im selben Jahr unter dem Titel "Nüchterne Briefe aus Bayreuth" in Buchform erschienen und dort allein auf über fünfzig Seiten kommen.
Brillanter Beobachter
Dass dieses Büchlein immer wieder aufgelegt wurde, hat gute Gründe. Lindau ist ein brillanter Beobachter, der seine Leser sehr direkt anspricht und mit Einfühlung und kritischem Witz auf den Punkt bringt, was in seinen Augen gelungen und was misslungen ist. Womit er von vornherein bei jenen Wagnerianern ins Fettnäpfchen trat, die in unbedingter Unterwürfigkeit zu ihrem "Meister" standen und nichts, aber auch gar nichts als zu lang empfanden bei einem Werk, das bei der Uraufführung die jeden Rahmen sprengende Gesamtspieldauer von vierzehneinhalb Stunden hatte.Die auch heute noch ungewöhnliche Länge - Wagners Tetralogie wurde in dem Punkt bisher nur von Karlheinz Stockhausens "Licht"-Zyklus übertroffen - zieht sich wie ein roter Faden durch Lindaus Kritiken: "Es gehört zu den berechtigten Eigentümlichkeiten Wagners, dass er uns alles mehrfach erzählt. Gewöhnlich vernehmen wir erst das Programm, das ausgeführt werden soll, dann sehen wir die Ausführung in der Handlung, und später hören wir den Bericht über das Ausgeführte. Die Deutlichkeit gewinnt dadurch, nicht aber das Interesse, welches das Kunstwerk einflößt."
Urenkelin zog zurück
Wenn Lindau am Schluss mutmaßt, dass die Nachwelt Wagner zwar auf jene Höhen emporheben wird, "auf denen die größten Künstler unseres Vaterlandes wandeln", aber Bearbeiter kommen werden, "die sich ganz gemütlich über die vier starken Partituren hermachen und das Unwirksame, das die unverständige Mehrheit unserer Generation gelangweilt hat, schonungslos beiseite werfen", hat er Recht gehabt. 2012 sollte sogar Richard Wagners Urenkelin Katharina in Buenos Aires einen spektakulär um die Hälfte gekürzten "Ring" inszenieren, was sie aber kurzfristig absagte, 2017 hatte in Wien ein ähnliches Projekt Premiere, unter der Regisseurin Tatjana Gürbaca, die angeblich 2020 den sechzehnten "Ring" in Bayreuth inszenieren wird. Bleibt noch anzumerken, dass Volker Ringe, der zehn Jahre dem Ensemble des Bamberger Theaters angehörte und jetzt am Theater Hof wirkt, genau jenen süffisanten Plauderton traf, der charakteristisch sein dürfte für den Feuilletonisten und Theatermann Paul Lindau. Auch das Ambiente stimmte, denn erstens entspricht das Atelier von Bernd Wagenhäuser als kunstgefüllter nüchterner Raum dem schnell als "Scheune" titulierten Zweckbau Festspielhaus. Und zweitens gab es an diesem sehr warmen Frühsommerabend zu den "Nüchternen Briefen" Wasser, Wein und Brezen, so dass - trotz textlicher Längen! - Rufe nach Fortsetzung laut wurden.