Mesut Özil ist kein Mann großer Worte. Spricht er doch einmal vor Kameras, flüchtet er sich in Worthülsen. Man weiß nicht, wer dieser Mann ist, wie er tickt und was er fühlen könnte. Aussagekräftige Statements des nun Ex-Nationalspielers gab es bislang nicht. Bis Sonntagabend. Da verschickte der 29-Jährige über Twitter ein mehrseitiges Kommuniqué, gespickt mit Frontalangriffen auf DFB, Medien, Politik und Gesellschaft. Und verbunden mit seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft. Ein Statement, das Wellen schlägt und die Frage aufwirft, wie weit es mit der Integration in Deutschland tatsächlich her ist.

Wie Özil ist auch Mesut Kimiz, Teammanager der SpVgg Jahn Forchheim, in Deutschland als Sohn türkischer Eltern geboren und aufgewachsen. Großgeworden in Hollfeld, ist er der Liebe wegen in Bamberg gelandet. Er kann zwar nachempfinden, warum sich Özil so geäußert hat, hätte aber anders reagiert.

Ein Gespräch über Integration, Gelbwurst und wie es ist, mit einem türkischen Namen in Deutschland zu leben.

Herr Kimiz, das Statement von Mesut Özil überrascht in seiner Länge und seiner Deutlichkeit. Fanden Sie die Art angebracht?
Mesut Kimiz: Ich finde es zwar gut, dass er sich endlich geäußert hat, aber das kommt natürlich viel zu spät. Er hätte das ganze Thema schon vor der WM abarbeiten und klarstellen müssen, warum er dieses Foto mit Erdogan gemacht hat.

Özil beruft sich auf die türkischen Wurzeln, das Foto sei aus Respekt dem Amt gegenüber entstanden ...
Natürlich kann ich nachempfinden, wie er sich fühlt, ich habe auch türkische Wurzeln, bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Nur glaube ich nicht, dass man wirklich zwei Herzen in der Brust schlagen hat. Innerlich hat sich jeder von uns Deutschtürken für ein Land entschieden. Ich selbst fühle mich einfach mehr als Deutscher und habe deshalb auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Özil zwar auch, aber er tickt mehr wie ein Türke - deshalb fühlt er sich wahrscheinlich auch mehr zum türkischen Präsidenten hingezogen als etwa zum Bundespräsidenten oder zur Bundeskanzlerin. Das ist ja auch alles legitim - wenn man kein deutscher Nationalspieler wäre. Das verkompliziert natürlich das Ganze, weil er komplett im öffentlichen Fokus steht.

Mesut Özil wurde vom DFB mehr oder weniger als Schuldiger für das WM-Scheitern auserkoren. Überzogen?
Einen einzelnen Spieler kann man natürlich nicht für das WM-Aus verantwortlich machen, das war ein kollektives Versagen von Mannschaft, Trainern und dem Management. Ich glaube aber, selbst wenn Deutschland bei der WM erfolgreich gewesen wäre, hätte dieses Thema Özil-Erdogan weiterhin im Raum gestanden.

Was hätte Özil im Krisenmanagement anders machen können?
Er hat einfach keine guten Medienberater, seine Erklärung hat er ja bestimmt nicht selber verfasst. Er hätte einfach ein Interview geben und sich zu dem Thema äußern können. Da kommen wir aber zum nächsten Problem: Mesut Özil spricht viel besser Türkisch als Deutsch. Deshalb hat er natürlich Probleme, bei Interviews direkt zu antworten. Er überlässt vieles lieber seinen Beratern. Nur weiß ich nicht, ob das unbedingt immer seine persönliche Meinung widerspiegelt. Grundsätzlich ist er ein guter Junge, der aber manchmal mit der Situation oder dem Hype um seine Person überfordert ist. Er wirkt immer sehr zurückhaltend und hält sich bedeckt. Er ist nicht greifbar, das ist schade, weil so sein Handeln nicht nachvollziehbar ist.

Sie selbst verbringen Ihr ganzes Leben schon in der Region, der fränkische Einschlag ist nicht zu überhören. Werden Sie trotzdem hin und wieder noch als "der Türke" wahrgenommen?
Ja, natürlich. Das passiert sogar noch ziemlich oft. Meistens endet das aber eher lustig. Es gibt immer wieder Menschen, die mir sagen, wie gut ich doch integriert bin und Deutsch kann. 'Für an Türken sprichst fei gut Deutsch', sagen sie dann. Ich nehme das immer mit Humor. Wirkliche Probleme im Alltag kommen aber ganz selten vor. Das war in meiner Jugend noch anders, damals war Deutschland noch nicht so bunt.

Sie haben einen deutschen Pass, fühlen sich als absoluter Franke. Wie kam diese Entwicklung?
Meine Eltern waren noch die erste Gastarbeitergeneration, die vom deutschen Staat hierher geholt wurde. Meine Erziehung war anfänglich noch sehr türkisch geprägt, bis ich als Kind zusammen mit meiner Mutter das erste Mal eine fränkische Metzgerei betrat und mir die Verkäuferin ein Stück Gelbwurst reichte. Dann war es bei mir schnell vorbei mit dem türkischen Ansatz. Für meine persönliche Entwicklung war es natürlich goldrichtig, dass ich in Hollfeld aufgewachsen bin. Dort gab es nur zwei andere türkische Familien, deshalb mussten wir uns alle auch integrieren, und das war auch gut so. Integration ist für mich Geben und Nehmen. Abgesehen davon ist es für mich immer noch ein Privileg, in diesem tollen Land zu leben. Neben dem Fußball ist Reisen für mich ein großes Thema. Wenn man mal in Ländern war, in denen fließend Wasser, Strom und ärztliche Versorgung nicht selbstverständlich sind, weiß man das alles hier viel mehr zu schätzen.

Bei Jahn Forchheim befinden sich, gerade in den Jugendteams, etliche Nationalitäten. Wie wirken sich die Özil-Aussagen dort aus?
Ich hoffe kaum, zumal es hauptsächlich Özils persönliche Situation widerspiegelt, ein Stück weit hat er das selber in der Hand. Bei uns wird im Verein Integration gelebt. Wir haben keine einzige Mannschaft, in der keine Ausländer spielen. Das zieht sich durch bis zu den Trainern und Betreuern. Das ist auch gut so, weil das unser Land widerspiegelt. Wenn die Integration immer so gut funktionieren würde wie in Vereinen, dann hätten wir mit Sicherheit auch auf politischer Ebene viel weniger Probleme.