Verbeugen oder den Arm heben, den Kopf drehen oder springen - die Kinder haben die Wahl. Doch so recht will keiner sagen, welche Übung die nächste sein soll. Gabriele Leithäuser-Heß lässt abstimmen. Zehn der 19 Zweitklässler entscheiden sich schließlich fürs Verbeugen, doch wirklich gelingen will die Übung nicht.
Es ist ein mühsamer Prozess, die Tanzpädagogin bleibt gelassen und ruhig. "Ich mach Dich gesund" heißt das Projekt, bei dem sie zwölf Wochen lang mit den Schülern in der Melchior-Franck-Schule Körper und Geist trainiert. Am Ende wird eine Tanzaufführung stehen, bei der die Klasse zeigen kann, was sie selbst choreografiert und gelernt hat.
Es ist mittlerweile schon eine Stunde um und die Acht- und Neunjährigen beginnen unaufmerksam zu werden. Die einen hören gar nicht mehr zu, andere machen demonstrativ gar nicht mit. 15 Jungen und Mädchen haben einen Migrationshintergrund, manche verstehen und sprechen gar kein Deutsch.
Klassenlehrer Bernhard Maisch ist dennoch überrascht. "Das klappt ja besser als im Unterricht!", sagt er und ist begeistert, wie die Kinder durch die Übungen und spielerischen Elemente zu ihrem Körpergefühl finden. Die Klasse berge Explosionspotenzial, sagt er. Umso mehr freue er sich, dass Gabriele Leithäuser-Heß das Tanzprojekt mit den Schülern durchziehe. Keine leichte Aufgabe, wie jedem Beobachter schnell klar wird. Kinderrechte würden oft falsch verstanden, meint Maisch. Es dürfe nicht darum gehen, dass jeder machen kann, was er will.
Die erfahrene Pädagogin geht mit dem Desinteresse oder der Ignoranz mancher Schüler geduldig um. "Mit Empathie und Verständnis weiß ich das Verhalten der Kinder einzuordnen", sagt sie. Flexibilität sei gefordert und die Balance zwischen vorgegebener Struktur und freier Gestaltung. Sie stellt sich auf die Tagesform der Schüler ein.
Optimistisch sieht sie der Aufführung am 7. Mai entgegen. Sie weiß, was in den Kindern steckt. Aus ihrer Tasche zieht sie einen Ordner mit Zetteln, auf denen die Schüler am Anfang des Projekts aufgeschrieben haben, was Gesundheit für sie bedeutet. Schnell wird klar, dass wer gesund ist, glücklich und fröhlich sein kann. Ein Junge schreibt: "Wenn ich gesund bin, kann ich ein Picknick machen und Fußball spielen!" Ist man krank, geht's um ganz andere Sachen. "Dann brauche ich Mama, Papa und Bücher", schreibt Arik. Aber auch Tee mit Honig, Suppe und - ganz wichtig - Kuscheltiere und die Familie werden auf den Fragebögen immer wieder genannt.
"Bei der tänzerischen Umsetzung des Themas gebe ich den roten Faden vor", sagt Gabriele Leithäuser-Heß, "und führe die Kinder durch ihre eigene Kreativität".
Tatsächlich verblüffen die Schüler am Ende der Stunde. Noch einmal sollen sie den Anfang den Tanzes, den sie schon einstudiert haben, vorführen. Plötzlich wird aus dem wilden Haufen eine homogene Gruppe. Die Kinder hocken eng zusammen. Pantomimisch spielen sie, dass sie sich krank und unwohl fühlen. Schließlich kommt ein Freund und kümmert sich. Er zieht einen hoch und rennt mit ihm im Kreis. Immer mehr schließen sich an, bis eine Schlange von springlebendigen Kindern durch die Turnhalle rennt und sich zu einem großen Rund zusammenschließt. Voller Freude und eigenem Applaus geht die Stunde zu Ende.
Am Nachmittag unterrichtet Gabriele Leithäuser-Heß eine Arbeitsgruppe der Grundschule Neuses. Zweit- und Viertklässler kommen da zusammen, die sich ebenfalls dem Tanzprojekt und der Themenstellung widmen. "Dort läuft es etwas anders, da die Kinder schon älter und sehr willig sind. Ihre Kreativität ist kaum zu bremsen", sagt die Tanzlehrerin. Vergleichen mag sie die beiden Gruppen jedoch nicht. Am Ende werden ganz unterschiedliche Choreografien herauskommen. "Alle Kinder werden sehr stolz auf ihre Leistung sein und mehr als den Applaus mit nach Hause nehmen."
Projektskizze von Gabriele Leithäuser-Heß
Bedeutet Gesundheit "nur", sich gesund zu ernähren, sich ausreichend zu bewegen und einen "normal" funktionierenden Körper zu haben? Was bedeutet Kranksein? Diese und weitere Fragen werden zu Anfang des Projekts "Einklang-Zweiklang-Mehrklang" von den Schülern in einer Schreibwerkstatt im Unterricht behandelt. Ziel ist es, ihren Blick dahin zu richten, dass die Harmonie von Körper, Geist und Seele eines jeden, von Mensch, Natur und Umwelt sowie den Menschen untereinander im sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Sinne die tragenden Säulen von Gesundheit sind: Freundschaft, Frieden, Liebe, Freundlichkeit, Mitgefühl, Verständnis, Akzeptanz, Toleranz, Respekt, Achtsamkeit, Füreinander-Da-Sein, sich halten und (be-)stärken. Diese Begriffe werden die Kinder danach im Tanzprojekt, in dem sie Kenntnisse im zeitgenössisch-künstlerischen Tanz erlangen, durch tänzerisch-künstlerische Aufgaben erfahren. Dies werden Soli, Gruppenarbeiten und Bewegungsabfolgen im Chorus sein. Die entwickelten Sequenzen fügen sich zu einem Tanzstück zusammen, welches am Ende anderen Schülern, Lehrern und Eltern vorgeführt wird. Das eigene Gestalten und das Erleben ihrer Kreativität und der Bewegung stärken ihr Selbstwertgefühl und ihre Körperwahrnehmung, außerdem fördert es ihre ästhetisch-künstlerischen Fähigkeiten. Die Kinder entwickeln Ideen, setzen sie in Bewegung um und bekommen die Bühne, diese mittels des Tanz darstellen zu können. Ihre Bewegungsphantasie wächst und noch nicht wahrgenommene Fähigkeiten werden sich entpuppen. Tanz fördert die Persönlichkeitsentwicklung und ist gesundheitsfördernd - körperlich durch die Bewegung (Ausdauer, Kräftigung, Beweglichkeit, Dehnung, Konzentration, Koordination, Motorik...), seelisch wird das bewusste Körper-Ich-Gefühl und folgend die psychische Stabilität verbessert. Anspannung und Entspannung sind ebenso wesentliche Aspekte wie auch die Sinneswahrnehmung. Die Schüler erfahren im Produzieren, Erforschen und Entwickeln der tänzerischen Aufgaben miteinander fühlen, Akzeptanz, Verständnis für andere Wahrnehmungen und einen toleranten, respektvollen Umgang. Auch die Selbstorganisation und die Initiativfähigkeit sind wichtige Eigenschaften im Tanz und im Leben.
Statement Gabriele Leithäuser-Heß: "Da ich in der Weiterbildung zur Lern- und Entwicklungsbegleiterin noch stecke, nehme ich bei den Kindern viele andere Dinge wahr: Ausschlaggebend ist das, was sie schon im Mutterleib, durch die Familie transgenerativ und durch die Prägungen im Leben mitbringen. Entscheidend ist auch und dementsprechend die Entwicklung in den ersten 3 Lebensjahren. Jeder Mensch durchläuft spezielle Entwicklungsmuster - physisch-neurologisch, kognitiv und emotional-sozial. Aber nicht jeder entwickelt diese vollkommen. Manche Kinder können in der Schule nicht ruhig sein.
Man könnte ihnen aber helfen, man kann diese Entwicklungsschritte nachholen. Viel läuft da über Körperarbeit. Die sprachlichen Fähigkeiten beginnen ja auch erst ab dem 2,5 Lebensjahr.
In den Aufwärmungsphasen meiner Projekte und Stunden baue ich bereits Übungen mit ein, die diese Entwicklungsmuster stärken.
Aus diesem Grund kann ich viele Reaktionen und ihre Art und Weise mit anderen anderen Augen sehen - mit Verständnis, Geduld und Empathie, was viele Erwachsene noch mehr aufbauen können."
Es ist ein mühsamer Prozess, die Tanzpädagogin bleibt gelassen und ruhig. "Ich mach Dich gesund" heißt das Projekt, bei dem sie zwölf Wochen lang mit den Schülern in der Melchior-Franck-Schule Körper und Geist trainiert. Am Ende wird eine Tanzaufführung stehen, bei der die Klasse zeigen kann, was sie selbst choreografiert und gelernt hat.
Unkonzentriert und fremd
Es ist mittlerweile schon eine Stunde um und die Acht- und Neunjährigen beginnen unaufmerksam zu werden. Die einen hören gar nicht mehr zu, andere machen demonstrativ gar nicht mit. 15 Jungen und Mädchen haben einen Migrationshintergrund, manche verstehen und sprechen gar kein Deutsch.Klassenlehrer Bernhard Maisch ist dennoch überrascht. "Das klappt ja besser als im Unterricht!", sagt er und ist begeistert, wie die Kinder durch die Übungen und spielerischen Elemente zu ihrem Körpergefühl finden. Die Klasse berge Explosionspotenzial, sagt er. Umso mehr freue er sich, dass Gabriele Leithäuser-Heß das Tanzprojekt mit den Schülern durchziehe. Keine leichte Aufgabe, wie jedem Beobachter schnell klar wird. Kinderrechte würden oft falsch verstanden, meint Maisch. Es dürfe nicht darum gehen, dass jeder machen kann, was er will.
Mit Empathie und Geduld
Die erfahrene Pädagogin geht mit dem Desinteresse oder der Ignoranz mancher Schüler geduldig um. "Mit Empathie und Verständnis weiß ich das Verhalten der Kinder einzuordnen", sagt sie. Flexibilität sei gefordert und die Balance zwischen vorgegebener Struktur und freier Gestaltung. Sie stellt sich auf die Tagesform der Schüler ein. Optimistisch sieht sie der Aufführung am 7. Mai entgegen. Sie weiß, was in den Kindern steckt. Aus ihrer Tasche zieht sie einen Ordner mit Zetteln, auf denen die Schüler am Anfang des Projekts aufgeschrieben haben, was Gesundheit für sie bedeutet. Schnell wird klar, dass wer gesund ist, glücklich und fröhlich sein kann. Ein Junge schreibt: "Wenn ich gesund bin, kann ich ein Picknick machen und Fußball spielen!" Ist man krank, geht's um ganz andere Sachen. "Dann brauche ich Mama, Papa und Bücher", schreibt Arik. Aber auch Tee mit Honig, Suppe und - ganz wichtig - Kuscheltiere und die Familie werden auf den Fragebögen immer wieder genannt.
"Bei der tänzerischen Umsetzung des Themas gebe ich den roten Faden vor", sagt Gabriele Leithäuser-Heß, "und führe die Kinder durch ihre eigene Kreativität".
Verblüffend homogen
Tatsächlich verblüffen die Schüler am Ende der Stunde. Noch einmal sollen sie den Anfang den Tanzes, den sie schon einstudiert haben, vorführen. Plötzlich wird aus dem wilden Haufen eine homogene Gruppe. Die Kinder hocken eng zusammen. Pantomimisch spielen sie, dass sie sich krank und unwohl fühlen. Schließlich kommt ein Freund und kümmert sich. Er zieht einen hoch und rennt mit ihm im Kreis. Immer mehr schließen sich an, bis eine Schlange von springlebendigen Kindern durch die Turnhalle rennt und sich zu einem großen Rund zusammenschließt. Voller Freude und eigenem Applaus geht die Stunde zu Ende.Am Nachmittag unterrichtet Gabriele Leithäuser-Heß eine Arbeitsgruppe der Grundschule Neuses. Zweit- und Viertklässler kommen da zusammen, die sich ebenfalls dem Tanzprojekt und der Themenstellung widmen. "Dort läuft es etwas anders, da die Kinder schon älter und sehr willig sind. Ihre Kreativität ist kaum zu bremsen", sagt die Tanzlehrerin. Vergleichen mag sie die beiden Gruppen jedoch nicht. Am Ende werden ganz unterschiedliche Choreografien herauskommen. "Alle Kinder werden sehr stolz auf ihre Leistung sein und mehr als den Applaus mit nach Hause nehmen."
Projektskizze von Gabriele Leithäuser-Heß
Bedeutet Gesundheit "nur", sich gesund zu ernähren, sich ausreichend zu bewegen und einen "normal" funktionierenden Körper zu haben? Was bedeutet Kranksein? Diese und weitere Fragen werden zu Anfang des Projekts "Einklang-Zweiklang-Mehrklang" von den Schülern in einer Schreibwerkstatt im Unterricht behandelt. Ziel ist es, ihren Blick dahin zu richten, dass die Harmonie von Körper, Geist und Seele eines jeden, von Mensch, Natur und Umwelt sowie den Menschen untereinander im sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Sinne die tragenden Säulen von Gesundheit sind: Freundschaft, Frieden, Liebe, Freundlichkeit, Mitgefühl, Verständnis, Akzeptanz, Toleranz, Respekt, Achtsamkeit, Füreinander-Da-Sein, sich halten und (be-)stärken. Diese Begriffe werden die Kinder danach im Tanzprojekt, in dem sie Kenntnisse im zeitgenössisch-künstlerischen Tanz erlangen, durch tänzerisch-künstlerische Aufgaben erfahren. Dies werden Soli, Gruppenarbeiten und Bewegungsabfolgen im Chorus sein. Die entwickelten Sequenzen fügen sich zu einem Tanzstück zusammen, welches am Ende anderen Schülern, Lehrern und Eltern vorgeführt wird. Das eigene Gestalten und das Erleben ihrer Kreativität und der Bewegung stärken ihr Selbstwertgefühl und ihre Körperwahrnehmung, außerdem fördert es ihre ästhetisch-künstlerischen Fähigkeiten. Die Kinder entwickeln Ideen, setzen sie in Bewegung um und bekommen die Bühne, diese mittels des Tanz darstellen zu können. Ihre Bewegungsphantasie wächst und noch nicht wahrgenommene Fähigkeiten werden sich entpuppen. Tanz fördert die Persönlichkeitsentwicklung und ist gesundheitsfördernd - körperlich durch die Bewegung (Ausdauer, Kräftigung, Beweglichkeit, Dehnung, Konzentration, Koordination, Motorik...), seelisch wird das bewusste Körper-Ich-Gefühl und folgend die psychische Stabilität verbessert. Anspannung und Entspannung sind ebenso wesentliche Aspekte wie auch die Sinneswahrnehmung. Die Schüler erfahren im Produzieren, Erforschen und Entwickeln der tänzerischen Aufgaben miteinander fühlen, Akzeptanz, Verständnis für andere Wahrnehmungen und einen toleranten, respektvollen Umgang. Auch die Selbstorganisation und die Initiativfähigkeit sind wichtige Eigenschaften im Tanz und im Leben.
Statement Gabriele Leithäuser-Heß: "Da ich in der Weiterbildung zur Lern- und Entwicklungsbegleiterin noch stecke, nehme ich bei den Kindern viele andere Dinge wahr: Ausschlaggebend ist das, was sie schon im Mutterleib, durch die Familie transgenerativ und durch die Prägungen im Leben mitbringen. Entscheidend ist auch und dementsprechend die Entwicklung in den ersten 3 Lebensjahren. Jeder Mensch durchläuft spezielle Entwicklungsmuster - physisch-neurologisch, kognitiv und emotional-sozial. Aber nicht jeder entwickelt diese vollkommen. Manche Kinder können in der Schule nicht ruhig sein.
Man könnte ihnen aber helfen, man kann diese Entwicklungsschritte nachholen. Viel läuft da über Körperarbeit. Die sprachlichen Fähigkeiten beginnen ja auch erst ab dem 2,5 Lebensjahr.
In den Aufwärmungsphasen meiner Projekte und Stunden baue ich bereits Übungen mit ein, die diese Entwicklungsmuster stärken.
Aus diesem Grund kann ich viele Reaktionen und ihre Art und Weise mit anderen anderen Augen sehen - mit Verständnis, Geduld und Empathie, was viele Erwachsene noch mehr aufbauen können."