Ulvi Kulac hat keinen Geburtstag, und trotzdem gibt es Geschenke. Tabak zum Beispiel, den hat er sich gewünscht von seinen Unterstützern, die am Samstagabend zum Pressetermin nach Bayreuth kommen. Es wird eng im Nebenzimmer der Becher-Bräu. Menschen mit schwarzen T-Shirts, auf denen in weißer Schrift "Freiheit für Ulvi Kulac jetzt" steht, drücken und herzen den 36-Jährigen. Nicht nur die guten Wünsche, auch den Tabak wird er später wieder mitnehmen auf sein Zimmer im Bezirksklinikum. Das teilt er sich mit vier Mann.
"Wie soll er da lernen, was Intimsphäre ist und eine solche von anderen zu respektieren?" Thomas Saschenbrecker stellt die Frage. Er trägt dunklen Anzug und rote Krawatte, er spricht schnell und mit leicht badischem Einschlag. Er ist Kulac` neuer Anwalt, ein Fachmann für Strafrecht und Psychiatrie. "Da wir im Maßregelvollzug sind, bleibt uns nur, eine schnellstmögliche Anhörung zu beantragen um auch die Ungereimtheiten aus dem neuen Gutachten über meinen Mandanten zu widerlegen." Der Antrag landet am Montag beim Landgericht Bayreuth.
Genau dieses konkrete und schnelle Vorgehen hatte Kulac` Betreuerin Gudrun Rödel vom bisherigen Rechtsvertreter Michael Euler vermisst und ihm deswegen vor einigen Tagen das Mandat entzogen. Der Frankfurter hatte in der Wiederaufnahme einen Freispruch für den Lichtenberger Gastwirtsohn erwirkt. "Für ihn mag das ein großer Erfolg sein", sagt Gudrun Rödel, "aber für Ulvi ist es nur eine Etappe auf seinem Weg in die Freiheit."
Thomas Saschenbrecker sagt, er sieht gute Chancen. "Die Frage ist doch: Ist es noch verhältnismäßig, nach mehr als einem Jahrzehnt wegen der vorgeworfenen Missbrauchstaten noch zu vollstrecken? Ich meine nein." Der Anwalt will dabei auch ein vor einigen Monaten eingeholtes Gutachten revidieren. "Der Gutachten richtet sich vor allem nach einem anderen Gutachten aus dem Jahr 2010 - das ja damals noch auf einer Beurteilung von Herrn Kulac inklusive des Mordvorwurfs beruhte."
Es bleiben die sexuellen Missbräuche mehrerer Kindern, vor denen sich der heute 36-Jährige, der auf dem geistigen Niveau eines Achtjährigen steht, entblößt und die er zu "Doktorspielen" animiert haben soll. Die Haftstrafe für den angeblichen Mord an Peggy hat Ulvi Kulac nie angetreten. "Die ganze vermeintliche Gefährlichkeit meines Mandanten fußte ja auf diesem nicht mehr bestehen Vorwurf der Tötung. Das ist nun aber vom Tisch." Deswegen kann es nicht sein, dass er jetzt weiter dafür herhalten muss, weil ein Mädchen aus seinem Heimatort verschwunden ist.
Für den Anwalt ist auch klar: "Dass er auf Grund seiner geistigen Einschränkung 2004 nicht ins Gefängnis kam, sondern in psychiatrische Behandlung, dürfte mittlerweile nicht mehr zu seinen Gunsten, sondern seinen Lasten ausgelegt werden. Hätte er für die Missbräuche ganz regulär hinter Gittern gesessen, er wäre mindestens seit vier oder fünf Jahren ein freier Mann. Nach zwölf Jahren aber hat es denn Anschein, er wäre wirklich der verurteile Mörder, der er ja nie war." Es könne deswegen nicht sein, dass Ulvi Kulac wie ein Bittsteller auf eine Anhörung zu warten hat. "Er hat laut Gesetz den formaljuristischen Anspruch, zu einem Gutachten über ihn unverzüglich angehört zu werden. Alles andere ist zutiefst unmenschlich und grausam."
Der Anwalt sieht die Gründe für eine Unterbringung im Bezirksklinikum als nicht mehr gegeben an. "Es gibt ganz andere Möglichkeiten für Herrn Kulac, sich in relativer Freiheit zu bewegen. Er braucht eine vernünftige Entlassperspektive - und die hat er: Er hat eine Betreuerin, die den Übergang in ein geregeltes Leben gewährleistet. Er hat ein gefestigtes Umfeld und die Gewissheit auf einen strukturierten Alltag." Laut Gudrun Rödel haben sich bereits mehrere Wohneinrichtungen gemeldet, die Ulvi aufnehmen würden.
Die Münchbergerin aber treibt noch eine andere Sorge um: Sind eventuelle Falschaussagen von Polizisten und Ermittlern verjährt? Thomas Saschenbrecker verneint: "Im Moment ist die Verjährung gehemmt, weil der Maßregelvollzug noch läuft. Das heißt: Alle die sich möglicherweise einer Falschaussage schuldig gemacht haben, können nach wie vor dafür zur Rechenschaft gezogen werden."
Rödels Vorwurf lautet: Die Polizei respektive die eingesetzte Sonderkommission habe nicht nur für den Mordvorwurf, sondern auch für eine Vergewaltigung der damals neunjährigen Peggy Zeugen gekauft. "Es wurde extra ein Ermittler abgestellt für einen Jungen aus Lichtenberg, der tagelang von diesem Beamten aufgesucht und auch mit Spielzeug beschenkt wurde. Der Bub erzählte das auch seinen Freunden, er habe jetzt eine tollen Freund bei der Polizei."
Eines Tages, so Gudrun Rödel, sei aus der Ecke des Ermittlers eine Mitteilung an den damaligen Chefermittler Geyer ergangen. Die Botschaft soll demnach gelautet haben: Es gebe einen Augenzeugen dafür, dass Ulvi Peggy missbraucht habe. "Es hieß, der Junge mache Angaben, aus denen sich wiederum herleiten lasse, er habe gesehen, wie Ulvi das Mädchen vergewaltigt hat. Das wiederum ging sofort an die Gutachter - und an die Bildzeitung." Sie könne sich noch an die Schlagzeile erinnern, sagt die Betreuerin.
Und sie recherchiert weiter. Demnach soll die Mutter des Jungen vier Jahre Opferrente erhalten haben, auch Zuwendungen vom Weißen Ring. Und zwar als Entschädigung des angeblichen Missbrauchs Ulvis an ihrem Sohn. "Beim Versorgungsamt klingt das ganz anders", sagt Gudrun Rödel. "Die Rente hat die Frau bekommen für ihren Sohn, weil dieser aufgrund des Verschwindens von Peggy einen Schockschaden erlitten habe. Wenn das so ist, dann müsste ganz Lichtenberg Opferrente kassieren."
Apropos Peggy: Die Ulvi-Unterstützergruppe wolle auch das wahre Schicksal der Neunjährigen herausfinden und was mit dem seit Mai 2001 verschwundenen Mädchen tatsächlich geschah. "Die Ermittlungsbehörden scheinen da wenig daran interessiert", moniert Gudrun Rödel. Und beim Blick in die Vernehmungsprotokolle falle ihr auf, dass Peggys Mutter "erneut falsche Angaben gemacht hat". Empörend sei für die Münchbergerin, dass die Mutter diejenigen, die auch für ihre Tochter kämpften, als "Mob" diffamiere.
Ulvi Kulac selber sitzt in der ganzen Zeit neben seinem Anwalt am Tisch und schweigt. Er schenkt sich ein Weizenbier ein, lächelt ab und an, bestellt er sich ein Essen. Er ahnt, dass es um ihn geht, aber er sagt gleich, dass er nichts dazu sagen wird. Die Geschenke nimmt er mit auf seinem Rückweg ins Bezirksklinikum. Seine "Heimat" seit zwölf Jahren.
"Wie soll er da lernen, was Intimsphäre ist und eine solche von anderen zu respektieren?" Thomas Saschenbrecker stellt die Frage. Er trägt dunklen Anzug und rote Krawatte, er spricht schnell und mit leicht badischem Einschlag. Er ist Kulac` neuer Anwalt, ein Fachmann für Strafrecht und Psychiatrie. "Da wir im Maßregelvollzug sind, bleibt uns nur, eine schnellstmögliche Anhörung zu beantragen um auch die Ungereimtheiten aus dem neuen Gutachten über meinen Mandanten zu widerlegen." Der Antrag landet am Montag beim Landgericht Bayreuth.
Genau dieses konkrete und schnelle Vorgehen hatte Kulac` Betreuerin Gudrun Rödel vom bisherigen Rechtsvertreter Michael Euler vermisst und ihm deswegen vor einigen Tagen das Mandat entzogen. Der Frankfurter hatte in der Wiederaufnahme einen Freispruch für den Lichtenberger Gastwirtsohn erwirkt. "Für ihn mag das ein großer Erfolg sein", sagt Gudrun Rödel, "aber für Ulvi ist es nur eine Etappe auf seinem Weg in die Freiheit."
Thomas Saschenbrecker sagt, er sieht gute Chancen. "Die Frage ist doch: Ist es noch verhältnismäßig, nach mehr als einem Jahrzehnt wegen der vorgeworfenen Missbrauchstaten noch zu vollstrecken? Ich meine nein." Der Anwalt will dabei auch ein vor einigen Monaten eingeholtes Gutachten revidieren. "Der Gutachten richtet sich vor allem nach einem anderen Gutachten aus dem Jahr 2010 - das ja damals noch auf einer Beurteilung von Herrn Kulac inklusive des Mordvorwurfs beruhte."
Es bleiben die sexuellen Missbräuche mehrerer Kindern, vor denen sich der heute 36-Jährige, der auf dem geistigen Niveau eines Achtjährigen steht, entblößt und die er zu "Doktorspielen" animiert haben soll. Die Haftstrafe für den angeblichen Mord an Peggy hat Ulvi Kulac nie angetreten. "Die ganze vermeintliche Gefährlichkeit meines Mandanten fußte ja auf diesem nicht mehr bestehen Vorwurf der Tötung. Das ist nun aber vom Tisch." Deswegen kann es nicht sein, dass er jetzt weiter dafür herhalten muss, weil ein Mädchen aus seinem Heimatort verschwunden ist.
Für den Anwalt ist auch klar: "Dass er auf Grund seiner geistigen Einschränkung 2004 nicht ins Gefängnis kam, sondern in psychiatrische Behandlung, dürfte mittlerweile nicht mehr zu seinen Gunsten, sondern seinen Lasten ausgelegt werden. Hätte er für die Missbräuche ganz regulär hinter Gittern gesessen, er wäre mindestens seit vier oder fünf Jahren ein freier Mann. Nach zwölf Jahren aber hat es denn Anschein, er wäre wirklich der verurteile Mörder, der er ja nie war." Es könne deswegen nicht sein, dass Ulvi Kulac wie ein Bittsteller auf eine Anhörung zu warten hat. "Er hat laut Gesetz den formaljuristischen Anspruch, zu einem Gutachten über ihn unverzüglich angehört zu werden. Alles andere ist zutiefst unmenschlich und grausam."
Der Anwalt sieht die Gründe für eine Unterbringung im Bezirksklinikum als nicht mehr gegeben an. "Es gibt ganz andere Möglichkeiten für Herrn Kulac, sich in relativer Freiheit zu bewegen. Er braucht eine vernünftige Entlassperspektive - und die hat er: Er hat eine Betreuerin, die den Übergang in ein geregeltes Leben gewährleistet. Er hat ein gefestigtes Umfeld und die Gewissheit auf einen strukturierten Alltag." Laut Gudrun Rödel haben sich bereits mehrere Wohneinrichtungen gemeldet, die Ulvi aufnehmen würden.
Die Münchbergerin aber treibt noch eine andere Sorge um: Sind eventuelle Falschaussagen von Polizisten und Ermittlern verjährt? Thomas Saschenbrecker verneint: "Im Moment ist die Verjährung gehemmt, weil der Maßregelvollzug noch läuft. Das heißt: Alle die sich möglicherweise einer Falschaussage schuldig gemacht haben, können nach wie vor dafür zur Rechenschaft gezogen werden."
Rödels Vorwurf lautet: Die Polizei respektive die eingesetzte Sonderkommission habe nicht nur für den Mordvorwurf, sondern auch für eine Vergewaltigung der damals neunjährigen Peggy Zeugen gekauft. "Es wurde extra ein Ermittler abgestellt für einen Jungen aus Lichtenberg, der tagelang von diesem Beamten aufgesucht und auch mit Spielzeug beschenkt wurde. Der Bub erzählte das auch seinen Freunden, er habe jetzt eine tollen Freund bei der Polizei."
Eines Tages, so Gudrun Rödel, sei aus der Ecke des Ermittlers eine Mitteilung an den damaligen Chefermittler Geyer ergangen. Die Botschaft soll demnach gelautet haben: Es gebe einen Augenzeugen dafür, dass Ulvi Peggy missbraucht habe. "Es hieß, der Junge mache Angaben, aus denen sich wiederum herleiten lasse, er habe gesehen, wie Ulvi das Mädchen vergewaltigt hat. Das wiederum ging sofort an die Gutachter - und an die Bildzeitung." Sie könne sich noch an die Schlagzeile erinnern, sagt die Betreuerin.
Und sie recherchiert weiter. Demnach soll die Mutter des Jungen vier Jahre Opferrente erhalten haben, auch Zuwendungen vom Weißen Ring. Und zwar als Entschädigung des angeblichen Missbrauchs Ulvis an ihrem Sohn. "Beim Versorgungsamt klingt das ganz anders", sagt Gudrun Rödel. "Die Rente hat die Frau bekommen für ihren Sohn, weil dieser aufgrund des Verschwindens von Peggy einen Schockschaden erlitten habe. Wenn das so ist, dann müsste ganz Lichtenberg Opferrente kassieren."
Apropos Peggy: Die Ulvi-Unterstützergruppe wolle auch das wahre Schicksal der Neunjährigen herausfinden und was mit dem seit Mai 2001 verschwundenen Mädchen tatsächlich geschah. "Die Ermittlungsbehörden scheinen da wenig daran interessiert", moniert Gudrun Rödel. Und beim Blick in die Vernehmungsprotokolle falle ihr auf, dass Peggys Mutter "erneut falsche Angaben gemacht hat". Empörend sei für die Münchbergerin, dass die Mutter diejenigen, die auch für ihre Tochter kämpften, als "Mob" diffamiere.
Ulvi Kulac selber sitzt in der ganzen Zeit neben seinem Anwalt am Tisch und schweigt. Er schenkt sich ein Weizenbier ein, lächelt ab und an, bestellt er sich ein Essen. Er ahnt, dass es um ihn geht, aber er sagt gleich, dass er nichts dazu sagen wird. Die Geschenke nimmt er mit auf seinem Rückweg ins Bezirksklinikum. Seine "Heimat" seit zwölf Jahren.