Der bleiche junge Mann liegt reglos im Krankenbett. Seine braunen Augen schauen aus dem Fenster des Patientenzimmers im zwölften Stock des Klinikums am Bruderwald. Vor sechs Tagen ist Moritz H. dem Tod begegnet.

Während eines Fußballspiels am 15. Mai wäre der 22-Jährige beinahe gestorben, an plötzlichem Herztod. Doch daran erinnert er sich nicht. In seinem Kopf herrscht eine dumpfe Leere. Er erinnert sich nur daran, zu fallen, dann ist alles schwarz.

Langsam formen seine Lippen ein Lächeln, und er fängt an zu sprechen: Mit seiner Mutter, seinem Vater, seiner Schwester, die während der ganzen Zeit nicht von seinem Krankenbett gewichen sind. Zwischen den Gesprächen plagen ihn Trugbilder, hervorgerufen durch die hohe Dosis Beruhigungs- und Narkosemittel, die mit dem Blut durch seinen Körper rauschen. "Das war eigentlich das Schlimmste an der ganzen Sache. Nach sechs Tagen im künstlichen Koma noch drei Tage lang heftig zu halluzinieren. Man fühlt sich wie ein Junkie auf Entzug", sagt Moritz.

Von seinem Überlebenskampf weiß er nur durch Erzählungen.

Der 15. Mai ist ein sonniger Donnerstagnachmittag. Moritz steht für seine Mannschaft während eines Uni-Fußballturniers mit auf dem Feld an der Feldkirchenstraße. Seine Muskeln spannen sich, als er zum Sprint ansetzt. Sein Herz beschleunigt wegen der Anstrengung.

Nur Sekunden später

Doch irgendetwas fühlt sich anders an. Moritz spürt, dass etwas nicht stimmt: Das gewohnte, sich gleichmäßig im Tempo steigernde Pochen bleibt aus. Stattdessen hämmert sein Herz wild als wolle es seinen Brustkorb sprengen. Sekunden später wird alles schwarz.

Als er bewusstlos auf dem Rasen des Fußballplatzes zusammenbricht, bleiben seine Freunde geschockt stehen. Einige können nicht hinsehen, andere versuchen nach einem Moment der Starre zu helfen. Einer der Zuschauer löst sich aus der aufgeregten Menge, beginnt sofort mit der Reanimation. Im Kampf gegen plötzlichen Herztod zählen die Sekunden.

Als der Rettungsdienst des Roten Kreuzes ankommt, ist der junge Mann am Boden klinisch tot. Dass er dennoch überlebt, verdankt er der schnellen Reaktion des Zuschauers. Ohne dessen Herzdruckmassage wäre eine Wiederbelebung kaum möglich gewesen.

Bis auf die frische rötliche Narbe unterhalb der linken Schulter zeugt äußerlich nichts mehr von der Operation, die zwei Wochen nach dem Unfall stattfand. Auch nach Spuren der vielen und aufwendigen Herzuntersuchungen sucht man vergebens. "Ich bin kerngesund. Die Ursache für den Herzstillstand konnte nicht gefunden werden", sagt Moritz.

Er hat noch nie geraucht

Mit seinem weißen T-Shirt und seiner blauen Jeans ist er nur einer von vielen Studenten, die in einem Café der Bamberger Innenstadt sitzen und an ihrem Kaffee nippen. Er hat noch nie geraucht. Auch ein Feierabendbier trinkt Moritz eher selten. "Nach dem Aufwachen habe ich die Welt nicht mehr verstanden. Ich war immer gesund und habe Sport getrieben. Wie konnte ausgerechnet mir das passieren?", fragt er.

Jährlich sterben rund 3300 Menschen in Deutschland durch Verkehrsunfälle. Der plötzliche Herztod hingegen fordert im selben Zeitraum 100.000 Opfer. Er ist Todesursache Nummer eins in der Bundesrepublik. Nur wenige sind so jung wie Moritz H., die Mediziner der Bruderwaldklinik halten ihn für den "mit Abstand jüngsten Patienten mit diesem Leiden, den es je in der Region gab". Dennoch: "Es kann jeden treffen. Das Alter spielt dabei keine Rolle.", sagt Hendrik Bachmann, Chefarzt der Kardiologie und Intensivmedizin der Landkreiskliniken.

Mit seiner Entlassung am 30. Mai lässt Moritz zwar das Krankenhaus hinter sich, braucht aber noch immer Zeit, um seine Kräfte zu regenerieren und sich in der neuen Situation zurechtfinden. Eine Reha steht an. "Irgendwann akzeptiert man, dass es passiert ist. Aber dann stellt sich die Frage - Wie lebe ich damit?"

"Bisher war immer alles so selbstverständlich. Dass der eigene Körper funktioniert, man lebt und das Herz schlägt. Wie beschreibt man das Gefühl, wenn einem diese Sicherheit genommen wird?" Moritz stellt seine Tasse ab und blickt einige Sekunden lang in den Himmel. Schließlich zuckt er mit den Schultern - die passenden Worte fehlen ihm noch immer.

Vor dem Gesetz gilt er zu 50 Prozent als schwerbehindert

Seit dem 28. Mai trägt Moritz einen implantierten Defibrillator am Herz. Vor dem Gesetz ist er damit zu 50 Prozent schwerbehindert. Auf Moritz Lippen stiehlt sich ein Lächeln, als er ein aus der rechten Hosentasche den neuen Ausweis zieht. "Jetzt bekomme ich die eine oder andere Vergünstigung, später im Beruf mehr Urlaubstage und einen kleinen Steuerfreibetrag. Man muss es positiv sehen", sagt er. Tatsächliche Einschränkungen hat er durch den Defibrillator keine, nur auf Magnetfelder, die das empfindliche Gerät stören könnten, muss er achten.

Die Familie und Freunde helfen Moritz dabei, wieder in den Alltag zurück zu finden. Er traut sich wieder seinen Körper regelmäßig zu fordern und treibt aktiv Sport. "Klar drängen sich einem manchmal noch die Erinnerungen auf, aber der Eingriff selbst hindert mich an nichts. Vielmehr gibt mir der implantierte Defibrillator die Sicherheit ein ganz normales Leben zu führen."




Initiative Das Schicksal von Moritz war Auslöser dafür, dass sich die Initiative "Bamberg schockt" gegründet hat. Diese will den Einsatz elektrischer Defibrillatoren in die Laienreanimation integrieren. Mehr zur Initiative.