Ende Mai öffnet die Praxis von Dr. Egbert Müller zum letzten Mal. Bis dahin müssen sich 900 Patienten im weiteren Umkreis nach einem neuen Hausarzt umsehen. "Ich hab' schon bei einigen Ärzten angerufen, aber noch keinen gefunden, der auch Hausbesuche machen würde", sagt Dieter B. (Name geändert). Der 68-Jährige fürchtet, dass er bald nicht mehr mobil genug ist, um nach Ebern, Baunach, Breitengüßbach oder gar noch weiter zu fahren. "Mit meinem Hausarzt war ich immer sehr zufrieden", sagt B.
Müller hält derweil weiter seine Sprechstunden, macht Hausbesuche und ist enttäuscht, dass die Wunsch-Nachfolgerin plötzlich noch abgesprungen ist. "Wir hatten bereits einen unterschriftsreifen Übergabevertrag, doch dann hat sie sich aus persönlichen Gründen gegen Reckendorf entschieden", sagt der 65-Jährige, der die Praxis 1986 von seinem Vater übernommen hatte. "Ich wusste damals, worauf ich mich einlasse." Dass er, wie einige andere Landkreis-Kollegen, noch ein paar Jahre dranhängt, kann Müller sich nicht vorstellen, "bei aller Liebe nicht".
Er weiß, dass sich viele seiner Patienten schwer tun werden, eine andere Praxis zu suchen und dann auch dorthin zu kommen. Immerhin sei Reckendorf noch gut an den Zugverkehr angebunden.
"Die Praxis könnte jederzeit noch übernommen werden", sagt Müller. "Allerdings bekommen die Kassenarztzulassung nur Allgemein- oder Fachärzte und es gibt viel zu wenige Allgemeinärzte." Auch die beiden Sprechstundenhilfen werden sich einen neuen Arbeitgeber suchen müssen. "Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass wir einen Nachfolger finden", sagt Müller. Doch auch auf die Ausschreibung der Arztstelle, in der auch die gute Infrastruktur und Verkehrsanbindung Reckendorfs hervorgehoben werden, meldeten sich keine Ärzte.
"Seit ich in Reckendorf bin, kenne ich auch die Vorzüge von Reckendorf. Die Gemeinde ist wunderschön, aber leider kennen sie zu wenige", sagt Bürgermeister Manfred Deinlein (SPD). "Wir werfen die Flinte noch nicht ins Korn, irgendwas muss doch noch gehen", sagt er bezüglich der Praxisnachfolge. So sei er in Gesprächen mit einem Psychotherapeuten, der sich ein MVZ in Reckendorf vorstellen könnte - möglicherweise gemeinsam mit zwei Teilzeit-Hausärzten. Ein anderer Arzt denkt über eine Filiale in Reckendorf nach, das klappt allerdings nicht kurzfristig.
"Das Problem wird uns einige Zeit begleiten", sagt Dr. Georg Knoblach, der Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbands. Es habe zwar noch nie so viele Ärzte wie heute gegeben, davon nutzten aber auch viele Teilzeit-Modelle. "Man braucht dann zwei bis drei Kollegen, um einen niedergelassenen Arzt zu ersetzen." Der Einsatz von Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) gegen den Landarztmangel sei sehr zu begrüßen. Die Medizin-Studienplätze müssten dringend aufgestockt werden.
Das Förderprogramm für Ärzte, die sich auf dem Land niederlassen, "lockt hoffentlich auch den einen oder anderen". Zudem stelle Knoblach vermehrt bei jüngeren Kollegen fest, dass sie sich auch vorstellen könnten, im ländlichen Raum zu arbeiten.
Organisatorisch gehe der Trend zu Gemeinschaftspraxen und medizinischen Versorgungszentren, daneben werde es aber auch weiter Einzelpraxen geben. "Ich bin 64 und an die 50 Prozent der Hausärzte müsste in meinem Alter sein", sagt Knoblach. "Ich finde es gut, dass sich seitens der Politik etwas tut."
Auch Landrat Johann Kalb treibt das Hausarztthema schon eine ganze Weile um. "Es ist einer der wichtigen Punkte im Bereich Daseinsvorsorge. Wo kein Nachfolger gefunden wird und Arztsitze verwaisen, versuchen wir diese über die MVZ GmbH zu belegen und zu betreiben." Hier müsse man im Einzelfall sehen, ob Bedarf bestehe und auch die Gemeinde diesen Schritt unternehme. "Aber nur, wenn der Sitz zu verfallen droht, greifen wir als öffentliche Hand ein." Bürgermeister Deinlein möchte diesen Schritt vermeiden, "denn dann ist der Sitz für uns weg".
Ein anderer Ansatzpunkt ergibt sich über die Genossenschaft für Wohnungs-, Kommunal- und Gewerbebau Bamberg (Gewobau), die unter anderem Ärztehäuser in Rattelsdorf und Memmelsdorf geplant hat. Wenn anderswo Seniorenzentren mit Kurzzeitpflege angedacht sind, könnte man auch eine Arztpraxis mit einplanen.
"Uns beschäftigt das Problem der Demografie von zwei Seiten", sagt Dr. Martin Diruf von der Gesundheitsregion Bamberg plus. "Wir haben mehr Ältere mit entsprechend mehr Krankheiten, zugleich werden auch die Ärzte immer älter." Die Lebenswelten hätten sich geändert, auch Mediziner achteten verstärkt auf Work-Life-Balance oder setzten auf Teilzeit-Modelle, um Beruf und Familie zu vereinbaren. "Die niedergelassene Einzelpraxis ist vom Aussterben bedroht", sagt Diruf. Kommunen, die nach Ärzten suchen, müssten sich in diese hineindenken: "Was ist denen wichtig, berufliche Möglichkeiten für den Partner, Kita, ÖPNV?"
KOMMENTAR von Stefan Fößel :
Es geht um uns alle
Wir sind ein reiches Land, uns geht es gut - so lange wir jung und gesund sind. Doch mit zunehmendem Alter nimmt auch die Zahl der Zipperlein zu, wird der Hausarzt zur immer wichtigeren Anlaufstelle, er hilft Schmerzen zu lindern, Ängste zu nehmen und besucht gebrechliche Patienten auch zu Hause.
Wenn nun plötzlich kein Hausarzt mehr da ist, stellt das für viele Ältere ein großes Problem dar. Schon die Mobilen tun sich schwer, eine neue Praxis zu finden. Andere überfordert vielleicht schon die Suche. Aber niemand sollte in einem Land wie dem unseren von der nötigen medizinischen Versorgung abgeschnitten sein.
Man kann keinen Arzt zwingen, aufs Land zu gehen. Das tun noch immer zu wenige, auch wenn es durchaus finanzielle Anreize gäbe. Also geht es wohl weniger ums Geld als um Arbeitszeiten, die Attraktivität der Städte, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und organisatorischen Aufwand.
Insgesamt müsste es noch viel mehr Medizin-Studienplätze geben, auch die Landarztquote ist kein schlechter Ansatz. Mut macht zudem, dass wieder mehr junge Mediziner mit dem Gedanken spielen, sich auf dem Land niederzulassen. Für sie muss man nach passenden Strukturen suchen und bürokratische Hürden senken.
Bis das alles fruchtet, kann es freilich dauern, werden weitere Praxen ohne Nachfolger schließen. Deshalb muss mindestens so dringlich nach Lösungen für die Patienten gesucht werden, die plötzlich ohne Hausarzt dastehen und nicht mobil sind. Dieses Problem kann jeden einmal betreffen. Denn irgendwann werden wir alle älter und viele wohl auch kränker.
Müller hält derweil weiter seine Sprechstunden, macht Hausbesuche und ist enttäuscht, dass die Wunsch-Nachfolgerin plötzlich noch abgesprungen ist. "Wir hatten bereits einen unterschriftsreifen Übergabevertrag, doch dann hat sie sich aus persönlichen Gründen gegen Reckendorf entschieden", sagt der 65-Jährige, der die Praxis 1986 von seinem Vater übernommen hatte. "Ich wusste damals, worauf ich mich einlasse." Dass er, wie einige andere Landkreis-Kollegen, noch ein paar Jahre dranhängt, kann Müller sich nicht vorstellen, "bei aller Liebe nicht".
Bürgermeister gibt nicht auf
Er weiß, dass sich viele seiner Patienten schwer tun werden, eine andere Praxis zu suchen und dann auch dorthin zu kommen. Immerhin sei Reckendorf noch gut an den Zugverkehr angebunden. "Die Praxis könnte jederzeit noch übernommen werden", sagt Müller. "Allerdings bekommen die Kassenarztzulassung nur Allgemein- oder Fachärzte und es gibt viel zu wenige Allgemeinärzte." Auch die beiden Sprechstundenhilfen werden sich einen neuen Arbeitgeber suchen müssen. "Natürlich hätte ich mir gewünscht, dass wir einen Nachfolger finden", sagt Müller. Doch auch auf die Ausschreibung der Arztstelle, in der auch die gute Infrastruktur und Verkehrsanbindung Reckendorfs hervorgehoben werden, meldeten sich keine Ärzte.
"Seit ich in Reckendorf bin, kenne ich auch die Vorzüge von Reckendorf. Die Gemeinde ist wunderschön, aber leider kennen sie zu wenige", sagt Bürgermeister Manfred Deinlein (SPD). "Wir werfen die Flinte noch nicht ins Korn, irgendwas muss doch noch gehen", sagt er bezüglich der Praxisnachfolge. So sei er in Gesprächen mit einem Psychotherapeuten, der sich ein MVZ in Reckendorf vorstellen könnte - möglicherweise gemeinsam mit zwei Teilzeit-Hausärzten. Ein anderer Arzt denkt über eine Filiale in Reckendorf nach, das klappt allerdings nicht kurzfristig.
"Das Problem wird uns einige Zeit begleiten", sagt Dr. Georg Knoblach, der Vorsitzende des Ärztlichen Kreisverbands. Es habe zwar noch nie so viele Ärzte wie heute gegeben, davon nutzten aber auch viele Teilzeit-Modelle. "Man braucht dann zwei bis drei Kollegen, um einen niedergelassenen Arzt zu ersetzen." Der Einsatz von Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) gegen den Landarztmangel sei sehr zu begrüßen. Die Medizin-Studienplätze müssten dringend aufgestockt werden.
Trend zur Gemeinschaftspraxis
Das Förderprogramm für Ärzte, die sich auf dem Land niederlassen, "lockt hoffentlich auch den einen oder anderen". Zudem stelle Knoblach vermehrt bei jüngeren Kollegen fest, dass sie sich auch vorstellen könnten, im ländlichen Raum zu arbeiten. Organisatorisch gehe der Trend zu Gemeinschaftspraxen und medizinischen Versorgungszentren, daneben werde es aber auch weiter Einzelpraxen geben. "Ich bin 64 und an die 50 Prozent der Hausärzte müsste in meinem Alter sein", sagt Knoblach. "Ich finde es gut, dass sich seitens der Politik etwas tut."
Auch Landrat Johann Kalb treibt das Hausarztthema schon eine ganze Weile um. "Es ist einer der wichtigen Punkte im Bereich Daseinsvorsorge. Wo kein Nachfolger gefunden wird und Arztsitze verwaisen, versuchen wir diese über die MVZ GmbH zu belegen und zu betreiben." Hier müsse man im Einzelfall sehen, ob Bedarf bestehe und auch die Gemeinde diesen Schritt unternehme. "Aber nur, wenn der Sitz zu verfallen droht, greifen wir als öffentliche Hand ein." Bürgermeister Deinlein möchte diesen Schritt vermeiden, "denn dann ist der Sitz für uns weg".
Ein anderer Ansatzpunkt ergibt sich über die Genossenschaft für Wohnungs-, Kommunal- und Gewerbebau Bamberg (Gewobau), die unter anderem Ärztehäuser in Rattelsdorf und Memmelsdorf geplant hat. Wenn anderswo Seniorenzentren mit Kurzzeitpflege angedacht sind, könnte man auch eine Arztpraxis mit einplanen.
"Uns beschäftigt das Problem der Demografie von zwei Seiten", sagt Dr. Martin Diruf von der Gesundheitsregion Bamberg plus. "Wir haben mehr Ältere mit entsprechend mehr Krankheiten, zugleich werden auch die Ärzte immer älter." Die Lebenswelten hätten sich geändert, auch Mediziner achteten verstärkt auf Work-Life-Balance oder setzten auf Teilzeit-Modelle, um Beruf und Familie zu vereinbaren. "Die niedergelassene Einzelpraxis ist vom Aussterben bedroht", sagt Diruf. Kommunen, die nach Ärzten suchen, müssten sich in diese hineindenken: "Was ist denen wichtig, berufliche Möglichkeiten für den Partner, Kita, ÖPNV?"
KOMMENTAR von Stefan Fößel :
Es geht um uns alle
Wir sind ein reiches Land, uns geht es gut - so lange wir jung und gesund sind. Doch mit zunehmendem Alter nimmt auch die Zahl der Zipperlein zu, wird der Hausarzt zur immer wichtigeren Anlaufstelle, er hilft Schmerzen zu lindern, Ängste zu nehmen und besucht gebrechliche Patienten auch zu Hause.
Wenn nun plötzlich kein Hausarzt mehr da ist, stellt das für viele Ältere ein großes Problem dar. Schon die Mobilen tun sich schwer, eine neue Praxis zu finden. Andere überfordert vielleicht schon die Suche. Aber niemand sollte in einem Land wie dem unseren von der nötigen medizinischen Versorgung abgeschnitten sein.
Man kann keinen Arzt zwingen, aufs Land zu gehen. Das tun noch immer zu wenige, auch wenn es durchaus finanzielle Anreize gäbe. Also geht es wohl weniger ums Geld als um Arbeitszeiten, die Attraktivität der Städte, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und organisatorischen Aufwand.
Insgesamt müsste es noch viel mehr Medizin-Studienplätze geben, auch die Landarztquote ist kein schlechter Ansatz. Mut macht zudem, dass wieder mehr junge Mediziner mit dem Gedanken spielen, sich auf dem Land niederzulassen. Für sie muss man nach passenden Strukturen suchen und bürokratische Hürden senken.
Bis das alles fruchtet, kann es freilich dauern, werden weitere Praxen ohne Nachfolger schließen. Deshalb muss mindestens so dringlich nach Lösungen für die Patienten gesucht werden, die plötzlich ohne Hausarzt dastehen und nicht mobil sind. Dieses Problem kann jeden einmal betreffen. Denn irgendwann werden wir alle älter und viele wohl auch kränker.