Vielleicht ist der Mythos vom einsam im Dachstübchen vor sich hinbrütenden und
-schreibenden Dichtergenie in einigen Leserhirnen immer noch lebendig. Dabei sind moderne Autoren kein Hieronymus im Gehäus wie bei Dürer, sondern mit allen Wassern der Rezep-
tionspsychologie gewaschene Alleinunterhalter.
Ein krasses Wort für den soi-gnierten Herrn, der am Dienstagabend auf der Bühne des E.T.A.-Hoffmann-Theaters saß. Nein, Hanns-Josef Ortheil ist kein literarischer Entertainer. Er ist ein ausgefuchster Profi, der seinen Auftritt dramaturgisch perfekt durchorganisiert, mit exakt der richtigen Dosis autobiografischer Tönung, Werkstattbericht, klassischer Lesung und Captatio benevolentiae, um ein wiederum sehr großes Festivalpublikum zu charmieren.


Ein Mann mit vielen Talenten

Ortheil, 67 Jahre alt, ist eben ein Mann mit vielen verschiedenen Potenzen, wie die Schirmherrin und Schriftstellerkollegin Tanja Kinkel in ihrer Einführung den gebürtigen Kölner charakterisierte. Er ist Musiker, Universitätsdozent - auch in Bamberg hatte er eine von mehreren Poetikprofessuren inne -, Germanist, Essayist und: Romancier. Er schrieb wie seine Geistesverwandte Kinkel historische Romane, z. B. über Casanova, Mozart und Lorenzo da Ponte ("Die Nacht des Don Juan"), oder eine Geschichte der alten Bundesrepublik ("Schwerenöter").

In Bamberg wollte er seinen jüngsten Roman "Der Typ ist da" vorstellen. Das tat er eineinhalb Stunden lang; und doch viel mehr. Kaum ein Autor bietet vor einem großen Publikum so freimütig Einblick in seine Werkstatt. Das Handlungsgerüst des "Typs" spiegle sich an Ereignissen der realen Welt: Er, Ortheil, habe in Venedig einen jungen Mann kennen gelernt, den ganz entgegen dem Klischee vom Italiener eine Aura des Ernsthaften, fast keusch Priesterlichen umweht habe. Dieser junge Mann, Restaurator von Beruf, sei nach Köln gekommen, um den Dom zu sehen. Ortheil, Gastprofessor an der Kölner Kunsthochschule, habe den Besucher in einer Studentinnen-WG untergebracht.

Und schon standen die Ingredienzen des Romans "Der Typ ist da" bereit zur Mischung aus Fakt und Fiktion - so Ortheil. Auf jeden Fall eine schöne Geschichte. Eine Notiz aus der Werkstatt ist auch die Sektion des Schutzumschlag-Bilds, das komponiert ist aus des Autors Handschrift, einem Venedig-Motiv und dem Dreikönigen-Schrein des Kölner Doms. Denn beide Städte kennt Ortheil ausnehmend gut und erkundet sie auf Erkundungstouren in konzentrischen Kreisen.

So wie er es einst im Westerwald getan habe. Ein Auszug aus seinem Tagebuch offenbarte die Liebe des Schriftstellers zum Kleinräumigen, Ruhigen, auch Heimatverbundenen: "Ich liebe es, wenn nichts los ist." Sein Held Matteo aus dem "Typ" ist also ein Verwandter im Geiste. Allzu viel los ist in dem Buch nicht. Man wartet ständig, dass etwas passiert, aber es passiert nichts. Der schöne Italiener kommt unverhofft nach Köln, um seine flüchtige Bekannte Mia zu besuchen. Die wohnt zusammen mit zwei anderen jungen Frauen, Xenia und Lisa, in einer Wohngemeinschaft. Matteo zeichnet fleißig, beobachtet genau und entdeckt wieder einmal die Langsamkeit. Dennoch stört er die kleinen Kreise der jungen Frauen. Verlieben sie sich in ihn? Das wird so deutlich nicht. Es ist eher ein präpubertäres Herumgezicke, das die Drei umtreibt. Am Ende werden sie jedoch nicht mehr dieselben sein.


Gesprochen gewinnt der Text

Der Text gewinnt sehr durch die Vortragsweise Hanns-Josef Or-theils. Geübt nuanciert er die Sprechweise seiner Figuren, schlägt Funken aus den doch schlichten Sätzen des Romans in häufig erlebter Rede und ermüdendem Präsens.

Wenn Robert Seethaler seine Sätze sorgfältig zimmert, immer wieder feilt, gießt Ortheil seine scheinbar unbekümmert übers Papier. Die eigentlichen Hauptfiguren dieser Prosa sind die Städte Venedig und Köln bzw. deren Kunstschätze. Dick aufgetragene Symbolik mit Friedens- versus Todesengel macht das Buch nicht sympathischer.
Doch ungemein sympathisch wirkt der Charmeur Hanns-Josef Ortheil, der auch abschweift zur italienischen Lebensart, der auch Werbung in eigener Sache unaufdringlich und dezent betreiben kann. Die Zeit großer Pianisten, großer Autoren mit ihrem einsamen Raum, zu Beginn der Lesung beschworen, ist eben vorbei.