Die Bühne eines Theaters ist der denkbar widernatürlichste Ort für Navid Kermani. Nur unten im Zuschauerraum kann Kermani der Beobachter und Protokollant sein, der er ist und sein will. Wenn Kermani sich in regelmäßigen Abständen hinauf auf die Bühne ziehen lassen muss, dann, weil er dort unten im Zuschauerraum seit vielen Jahren so überragend genau zuhört und zuschaut.
Dann sitzt Navid Kermani unbehaglich auf der Bühne und liest im Licht der Scheinwerfer aus einem seiner Bücher. Im E.T.A.-Hoffmann-Theater waren es vier Kapitel aus seinem jüngst erschienenen Reisetagebuch "Entlang den Gräben".
Das Publikum folgte ergriffen. Selbst über Kermanis anfangs zu leise in den Zuschauerraum transportierte Stimme protestierte es allenfalls halbherzig. So atmete Kermanis Lesung den Geist eines säkularen Gottesdiensts.
Den Verantwortlichen des Bamberger Literaturfestivals darf man gratulieren. Die Verpflichtung des 50-jährigen Schriftstellers, Publizisten und Orientalisten war ein Coup.
Nichts an seiner Unbehaglichkeit erweckte den Eindruck von Koketterie. Auch der als Moderator ohne Unterlass charmierende Nevel Cumart vermochte Kermani keine Sekundelang aus der Reserve locken. Der wäre jetzt wirklich lieber aufgebrochen in die Welt und hätte aufgeschrieben, was gewöhnliche Menschen ihm über ihre Leben berichten. Später in seinem Schreibzimmer hätte er das Erlebte und Aufgeschriebene zu kunstvoll komponierten Bücher verarbeitet. Wie er dies schon so oft getan hatte.
Ohne einen Anflug von Selbstironie charakterisierte sich Kermani in Bamberg als einen arbeitswütigen Pietisten. Navid Kermani ist deutscher als deutsch. Das mögen die Deutschen.
Deshalb drängen sie ihm auch all ihre repräsentativen Staatspreise auf: Hessischer Kulturpreis 2009, Hannah-Arendt-Preis 2012, Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015, Marion-Dönhoff-Preis für internationale Verständigung und Versöhnung 2016, Bürgerpreis der deutschen Zeitungen 2017.
Kermani lebt, was sich die Aufgeklärten und Vernünftigen erhoffen und wünschen: einen Islam, der sich mit dem Grundgesetz und den Werten der Mehrheitsgesellschaft vereinbaren, der sich sogar für die spirituelle Schönheit des Christentums begeistern lässt.
Kermani ist die menschgewordene Gegenerzählung zu den verbissenen Kulturkämpfen unserer Tage: Es ist könnte vollkommen gleichgültig sein, ob einer Christ ist oder Muslim, Deutscher, Iraner oder - wie Kermani selbst - Deutscher mit iranischen Wurzeln. Weil das nur zufällige Zuschreibungen sind. Weil am Ende nicht zählt, was einer ist, sondern was einer macht aus seinem Leben: "Wenn sie ankommen möchten, werden die Syrer oder zumindest ihre Kinder auch die Last tragen müssen, Deutsche zu sein. Spätestens in Auschwitz werden sie die Last spüren", schreibt Kermani in "Entlang den Gräben".
Geboren im westfälischen Sieg, aufgewachsen mit amerikanischer Popkultur: Das macht Kermani zu einem typischen Kind des Westens. Und wie allen Kindern des Westens war ihm der Osten immer egal, vielleicht sogar peinlich: "Mir war Paris näher als Dresden", sagte Kermani in Bamberg.
Kermani kennt die blinden Flecken seines Weltbilds. Weil sie ihm peinlich sind, reiste er von Schwerin über Polen, Weißrussland und Georgien bis in den Iran. Kermanis in "Entlang den Gräben" versammelte Einsichten haben nichts intellektuell Auftrumpfendes. Er lässt sich von der wilden Schönheit des Ostens in seinen Bann schlagen, vom historisch erlittenen Unrecht, den schwärenden Traumata der Völker im Innersten berühren.
Der EU-kritische Haltung vieler Polen und Ungarn glaubt er nun besser zu verstehen: "Die haben dort so unglaublich lange für ihre Souveränität kämpfen müssen." Das ist zwar gefährlich nahe am Kulturrelativismus, klang am Montag in Kermanis eigenen Worten aber nach der arglosen Feier nationaler Eigenheiten.
Kermani denkt, was die liberal und freiheitlich gesinnte Mitte der Gesellschaft denkt. Nur kann er diese Gedanken so viel eleganter aufschreiben, so viel geschichtskundiger und erfahrungssatter. Deshalb wollen alle seine Bücher lesen, deshalb war das Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater am Montagabend bis auf den wirklich allerletzten Platz gefüllt.
In TV-Talkshows geht Navid Kermani ja nicht. Dafür bewundern ihn seine Anhänger nur noch mehr.
Dann sitzt Navid Kermani unbehaglich auf der Bühne und liest im Licht der Scheinwerfer aus einem seiner Bücher. Im E.T.A.-Hoffmann-Theater waren es vier Kapitel aus seinem jüngst erschienenen Reisetagebuch "Entlang den Gräben".
Nur halbherziger Protest
Das Publikum folgte ergriffen. Selbst über Kermanis anfangs zu leise in den Zuschauerraum transportierte Stimme protestierte es allenfalls halbherzig. So atmete Kermanis Lesung den Geist eines säkularen Gottesdiensts. Den Verantwortlichen des Bamberger Literaturfestivals darf man gratulieren. Die Verpflichtung des 50-jährigen Schriftstellers, Publizisten und Orientalisten war ein Coup.
Nichts an seiner Unbehaglichkeit erweckte den Eindruck von Koketterie. Auch der als Moderator ohne Unterlass charmierende Nevel Cumart vermochte Kermani keine Sekundelang aus der Reserve locken. Der wäre jetzt wirklich lieber aufgebrochen in die Welt und hätte aufgeschrieben, was gewöhnliche Menschen ihm über ihre Leben berichten. Später in seinem Schreibzimmer hätte er das Erlebte und Aufgeschriebene zu kunstvoll komponierten Bücher verarbeitet. Wie er dies schon so oft getan hatte.
Ohne einen Anflug von Selbstironie charakterisierte sich Kermani in Bamberg als einen arbeitswütigen Pietisten. Navid Kermani ist deutscher als deutsch. Das mögen die Deutschen.
Deshalb drängen sie ihm auch all ihre repräsentativen Staatspreise auf: Hessischer Kulturpreis 2009, Hannah-Arendt-Preis 2012, Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2015, Marion-Dönhoff-Preis für internationale Verständigung und Versöhnung 2016, Bürgerpreis der deutschen Zeitungen 2017.
Kermani lebt, was sich die Aufgeklärten und Vernünftigen erhoffen und wünschen: einen Islam, der sich mit dem Grundgesetz und den Werten der Mehrheitsgesellschaft vereinbaren, der sich sogar für die spirituelle Schönheit des Christentums begeistern lässt.
Kermani ist die menschgewordene Gegenerzählung zu den verbissenen Kulturkämpfen unserer Tage: Es ist könnte vollkommen gleichgültig sein, ob einer Christ ist oder Muslim, Deutscher, Iraner oder - wie Kermani selbst - Deutscher mit iranischen Wurzeln. Weil das nur zufällige Zuschreibungen sind. Weil am Ende nicht zählt, was einer ist, sondern was einer macht aus seinem Leben: "Wenn sie ankommen möchten, werden die Syrer oder zumindest ihre Kinder auch die Last tragen müssen, Deutsche zu sein. Spätestens in Auschwitz werden sie die Last spüren", schreibt Kermani in "Entlang den Gräben".
Die blinden Flecken
Geboren im westfälischen Sieg, aufgewachsen mit amerikanischer Popkultur: Das macht Kermani zu einem typischen Kind des Westens. Und wie allen Kindern des Westens war ihm der Osten immer egal, vielleicht sogar peinlich: "Mir war Paris näher als Dresden", sagte Kermani in Bamberg.Kermani kennt die blinden Flecken seines Weltbilds. Weil sie ihm peinlich sind, reiste er von Schwerin über Polen, Weißrussland und Georgien bis in den Iran. Kermanis in "Entlang den Gräben" versammelte Einsichten haben nichts intellektuell Auftrumpfendes. Er lässt sich von der wilden Schönheit des Ostens in seinen Bann schlagen, vom historisch erlittenen Unrecht, den schwärenden Traumata der Völker im Innersten berühren.
Nationale Eigenheiten
Der EU-kritische Haltung vieler Polen und Ungarn glaubt er nun besser zu verstehen: "Die haben dort so unglaublich lange für ihre Souveränität kämpfen müssen." Das ist zwar gefährlich nahe am Kulturrelativismus, klang am Montag in Kermanis eigenen Worten aber nach der arglosen Feier nationaler Eigenheiten. Kermani denkt, was die liberal und freiheitlich gesinnte Mitte der Gesellschaft denkt. Nur kann er diese Gedanken so viel eleganter aufschreiben, so viel geschichtskundiger und erfahrungssatter. Deshalb wollen alle seine Bücher lesen, deshalb war das Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater am Montagabend bis auf den wirklich allerletzten Platz gefüllt.
In TV-Talkshows geht Navid Kermani ja nicht. Dafür bewundern ihn seine Anhänger nur noch mehr.