S chon die Anfahrt ist ein Gedicht. Hinaus aus Bamberg geht es, vorbei an sonnengelben Löwenzahnwiesen, frühlingsgrünen Feldern und duftenden Fliederhecken, Richtung Giechburg. Nach 20 Minuten Autofahrt werden die Wege schmaler. In dem kleinen Ort Pünzendorf bei Scheßlitz steuert Maria Neumann einen Parkplatz an. "Los geht's!", sagt sie und reibt sich die Hände. Bepackt mit großen Tüten steuert die 75-Jährige den nahen Wald an.
Jedes Jahr Ende April packt Maria Neumann das Küll-Fieber. Das ist keine Krankheit, sondern eine wahrlich gesunde Leidenschaft, die aus ihrer frühesten Kindheit herrührt. Schon ihre Mama, Oma und Uroma liebten Küll, ein vitamin- und mineralstoffreiches Frühlingsgemüse aus Kräutern. "Die haben sich in der Natur ausgekannt und sich jedes Jahr auf das frische Grün gefreut", erzählt die Bambergerin, die aus Waischenfeld im Kreis Bayreuth stammt.
Bis zu 13 verschiedene Kräuter werden gesammelt, um daraus Küll zuzubereiten. "Das Gemüse passt hervorragend zu Schweinebraten und Klößen. Ich mag es auch als Pesto über Spaghetti, das schmeckt ganz fein", schwärmt Maria Neumann. Dabei ist das Küll-Rezept wohl aus der Not geboren. "Die Menschen früher konnten ja nicht einfach im Supermarkt knackiges Grünzeug kaufen. Aber nach dem langen Winter hatten sie Appetit darauf. Also gingen sie los und sammelten, was die Natur hergab."
Maria Neumann führt diese Tradition fort, zusammen mit ihren Freundinnen vom Dienstagsstammtisch. "Wir könnten auch woanders sammeln, aber hier ist es einfach optimal", stellt Christel Fabian fest, während sie ihren Blick über grüne Hänge in Richtung Giechburg und Wallfahrtskapelle Gügel schweifen lässt. "Schön abgelegen, da machen keine Hunde hin", fügt Maria Neumann hinzu. Die Oberfränkin hat das Tal einst zufällig entdeckt, bei einer kleinen Wanderung. Seither zieht es sie immer wieder hierher.
Der sonnenbeschienene Schotterweg führt in den Wald hinein. "Hier rechts", sagt Maria Neumann und biegt in einen Seitenpfad ab. "Man riecht's schon!", entgegnet Gerlinde Trunk lachend. Und dann sieht man es auch: Ein Meer von duftendem Bärlauch wächst hier entlang eines Bächleins. Die Damen schütteln die mitgebrachten Tüten auf und beginnen, sie Blättchen für Blättchen zu füllen. "Dass das Bärlauch ist - und nicht etwa das giftige Maiglöckchen - , ist leicht zu erkennen", erklärt Maria Neumann. "Die Blattunterseiten des Bärlauchs sind matt, nicht glänzend, und die Blätter wachsen einzeln aus dem Boden, anders als beim Maiglöckchen, dessen Blätter vom Stiel abzweigen."
Weiter geht's zu einer Wiese auf einer Lichtung. Hier sind Schlüsselblumenblätter und Breitwegerich zu finden. Auch etwas junger Giersch - das "Unkraut" ist eine Vitamin-C-Bombe -, darf mit in die Tüte.
"Schaut her, Blutströpfchen!", ruft Maria Neumann begeistert. Den bordeaux-rot blühenden Bach-Nelkenwurz, dessen Wurzel zur Keimtötung verwendet wird, "sieht man nicht mehr oft", sagt die 75-Jährige. Schon als Kind hat sie viel über Pflanzen und deren Wirkungen gelernt, ganz automatisch. Wenn die kleine Maria im Wald Durst bekam, hieß es "Lutsch' einen Sauerampfer!" und wenn die Mutter sagte: "Hol' ein paar Rapunzele", kam die Tochter wenig später mit Feldsalat fürs Abendessen wieder.
Fast 70 Jahre später bricht sie nun - durch Handschuhe gut geschützt - zusammen mit Freundinnen die oberen, zarten Blätter einer Brennnessel-Oase ab. An einem Feldweg finden die Damen Taubenkropfkraut, auch Kernkraut genannt. "Das macht den Küll schön zart!" Am nahen Bachufer pflücken sie schließlich noch die Blätter von Sumpfdotterblumen. "Das geht ganz schön in die Knochen", stellen sie übereinstimmend fest. Und: "Essen ist schöner als sammeln!" Zur Belohnung für die Bück- und Pflückarbeit steuern sie nun bester Laune einen Biergarten an.
Wieder daheim in Bamberg, waschen sie ihre grünen Schätze erst in Salzwasser, dann in klarem Wasser. "Das überlebt kein Ungeziefer." Sie kochen ihren Küll - woher der Name kommt, ist ungewiss -, genießen die erste Portion frisch, den Rest frieren sie ein. "Die Leute wissen gar nicht, was ihnen entgeht", seufzt Maria Neumann genießerisch. Christel Fabian pflichtet ihr bei: "Manche tun das Kräutersammeln als Getue von alten Leuten ab. Aber viele interessieren sich auch wieder dafür." Letzteren verrät Maria Neumann heute im "Fränkischen Sonntag" ihr überliefertes Küll-Rezept.
Rezept für 4 Portionen Küll
5 Handvoll Brennnesselblätter, jeweils 1 Handvoll Schlüsselblumenblätter, Sumpfdotterblumenblätter, Breitwegerichblätter, Taubenkropfblätter, Bärlauchblätter, Giersch. Wer möchte, gibt noch wilden Feldsalat, wilde Melde, Frauenmantel, Hirtentäschel, Wegmalve, Pimpinelle oder grüne Lauchstücke dazu.
Alles 15 Minuten im kochenden Wasser blanchieren, fein mixen, mit einer hellen Einbrenne aus 2 EL Mehl und 3 EL Butter binden, mit Salz, Pfeffer und Zucker abschmecken. Ein Gedicht!
(www.infranken.de)
Jedes Jahr Ende April packt Maria Neumann das Küll-Fieber. Das ist keine Krankheit, sondern eine wahrlich gesunde Leidenschaft, die aus ihrer frühesten Kindheit herrührt. Schon ihre Mama, Oma und Uroma liebten Küll, ein vitamin- und mineralstoffreiches Frühlingsgemüse aus Kräutern. "Die haben sich in der Natur ausgekannt und sich jedes Jahr auf das frische Grün gefreut", erzählt die Bambergerin, die aus Waischenfeld im Kreis Bayreuth stammt.
Bis zu 13 verschiedene Kräuter werden gesammelt, um daraus Küll zuzubereiten. "Das Gemüse passt hervorragend zu Schweinebraten und Klößen. Ich mag es auch als Pesto über Spaghetti, das schmeckt ganz fein", schwärmt Maria Neumann. Dabei ist das Küll-Rezept wohl aus der Not geboren. "Die Menschen früher konnten ja nicht einfach im Supermarkt knackiges Grünzeug kaufen. Aber nach dem langen Winter hatten sie Appetit darauf. Also gingen sie los und sammelten, was die Natur hergab."
Maria Neumann führt diese Tradition fort, zusammen mit ihren Freundinnen vom Dienstagsstammtisch. "Wir könnten auch woanders sammeln, aber hier ist es einfach optimal", stellt Christel Fabian fest, während sie ihren Blick über grüne Hänge in Richtung Giechburg und Wallfahrtskapelle Gügel schweifen lässt. "Schön abgelegen, da machen keine Hunde hin", fügt Maria Neumann hinzu. Die Oberfränkin hat das Tal einst zufällig entdeckt, bei einer kleinen Wanderung. Seither zieht es sie immer wieder hierher.
Der sonnenbeschienene Schotterweg führt in den Wald hinein. "Hier rechts", sagt Maria Neumann und biegt in einen Seitenpfad ab. "Man riecht's schon!", entgegnet Gerlinde Trunk lachend. Und dann sieht man es auch: Ein Meer von duftendem Bärlauch wächst hier entlang eines Bächleins. Die Damen schütteln die mitgebrachten Tüten auf und beginnen, sie Blättchen für Blättchen zu füllen. "Dass das Bärlauch ist - und nicht etwa das giftige Maiglöckchen - , ist leicht zu erkennen", erklärt Maria Neumann. "Die Blattunterseiten des Bärlauchs sind matt, nicht glänzend, und die Blätter wachsen einzeln aus dem Boden, anders als beim Maiglöckchen, dessen Blätter vom Stiel abzweigen."
Weiter geht's zu einer Wiese auf einer Lichtung. Hier sind Schlüsselblumenblätter und Breitwegerich zu finden. Auch etwas junger Giersch - das "Unkraut" ist eine Vitamin-C-Bombe -, darf mit in die Tüte.
"Schaut her, Blutströpfchen!", ruft Maria Neumann begeistert. Den bordeaux-rot blühenden Bach-Nelkenwurz, dessen Wurzel zur Keimtötung verwendet wird, "sieht man nicht mehr oft", sagt die 75-Jährige. Schon als Kind hat sie viel über Pflanzen und deren Wirkungen gelernt, ganz automatisch. Wenn die kleine Maria im Wald Durst bekam, hieß es "Lutsch' einen Sauerampfer!" und wenn die Mutter sagte: "Hol' ein paar Rapunzele", kam die Tochter wenig später mit Feldsalat fürs Abendessen wieder.
Fast 70 Jahre später bricht sie nun - durch Handschuhe gut geschützt - zusammen mit Freundinnen die oberen, zarten Blätter einer Brennnessel-Oase ab. An einem Feldweg finden die Damen Taubenkropfkraut, auch Kernkraut genannt. "Das macht den Küll schön zart!" Am nahen Bachufer pflücken sie schließlich noch die Blätter von Sumpfdotterblumen. "Das geht ganz schön in die Knochen", stellen sie übereinstimmend fest. Und: "Essen ist schöner als sammeln!" Zur Belohnung für die Bück- und Pflückarbeit steuern sie nun bester Laune einen Biergarten an.
Wieder daheim in Bamberg, waschen sie ihre grünen Schätze erst in Salzwasser, dann in klarem Wasser. "Das überlebt kein Ungeziefer." Sie kochen ihren Küll - woher der Name kommt, ist ungewiss -, genießen die erste Portion frisch, den Rest frieren sie ein. "Die Leute wissen gar nicht, was ihnen entgeht", seufzt Maria Neumann genießerisch. Christel Fabian pflichtet ihr bei: "Manche tun das Kräutersammeln als Getue von alten Leuten ab. Aber viele interessieren sich auch wieder dafür." Letzteren verrät Maria Neumann heute im "Fränkischen Sonntag" ihr überliefertes Küll-Rezept.
Rezept für 4 Portionen Küll
5 Handvoll Brennnesselblätter, jeweils 1 Handvoll Schlüsselblumenblätter, Sumpfdotterblumenblätter, Breitwegerichblätter, Taubenkropfblätter, Bärlauchblätter, Giersch. Wer möchte, gibt noch wilden Feldsalat, wilde Melde, Frauenmantel, Hirtentäschel, Wegmalve, Pimpinelle oder grüne Lauchstücke dazu.
Alles 15 Minuten im kochenden Wasser blanchieren, fein mixen, mit einer hellen Einbrenne aus 2 EL Mehl und 3 EL Butter binden, mit Salz, Pfeffer und Zucker abschmecken. Ein Gedicht!
(www.infranken.de)