Seine Augen füllen sich mit Tränen und kurz versagt seine Stimme. Als Johann Fleischmann über seine Tour auf den Spuren seines Onkels Richard erzählt, überwältigen ihn die Gefühle. Auch noch Tage nach seiner Rückkehr aus der Republik Belarus, wie Weißrussland im offiziellen Sprachgebrauch heißt.
"Als wir auf dem Friedhof Schatkowo waren und die Gedenkfeier hielten, war ich wie versteinert", sagt der 69-jährige Johann Fleischmann leise. Ein Gruß aus der Heimat, ein "Gegrüßet seist du, Maria", eine Ehrenbezeugung mit der Standarte der Bayerischen Kameraden- und Soldatenvereinigung: Der Amlingstadter beherrschte nach eigenen Worten seine Emotionen in diesen Momenten nur mühsam.
Auf einer Stele neben dem Hochkreuz ist der Name seines Onkels Richard Fleischmann eingraviert. Sein Todesdatum: 24. Juli 1941. Doch beerdigt ist der Unteroffizier nicht auf dem Sammelfriedhof Schatkowo: "Da brauchen wir uns nichts vorzumachen, das dauert, bis sein Grab verlegt werden kann", erklärt Johann Fleischmann. Denn sein Onkel liege auf dem Lazarettfriedhof Shelesinka, zehn Kilometer entfernt. Und zwar "in geweihter, jetzt aber verseuchter Erde". Noch immer wabert eine radioaktive Wolke aus dem nahen Tschernobyl über Shelesinka.
Johann Fleischmann hatte sich mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge auf den Weg nach Belarus gemacht, "um einen Auftrag meines Vaters Alois und meiner Tante Klara zu erfüllen": dem Familienmitglied nachzuspüren, der als 21-Jähriger sein Leben lassen musste. Schon vor geraumer Zeit hatte Neffe Johann Nachforschungen betrieben. Der Volksbund konnte ihm schließlich weiterhelfen und übersandte ihm einen Auszug aus dem Gedenknamensbuch in Belarus.
Zwei Sammelfriedhöfe gibt es dort: zwei von 832 in 100 Ländern mit insgesamt 2,7 Millionen Gräbern deutscher Wehrmachtssoldaten. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge kümmert sich um die Anlagen und den Erhalt. "Mit der Anlage und Erhaltung der Friedhöfe bewahrt der Volksbund das Gedenken an die Kriegstoten", sagt Reiseleiter Robert Fischer, Geschäftsführer des Bezirksverbands Oberfranken. Diese Gräber seien "Denkorte, Erinnerungsorte, die sich wandeln in Orte der Mahnung".
Auf keinen Fall dienten sie einer wie auch immer gearteten Form von "Heldenverehrung": "Es geht um eine Bewältigung der Geschehnisse", betont Fischer und verweist darauf, dass der Volksbund bis zum heutigen Tag Suchanfragen von Angehörigen Gefallener bekommt. Die Enkelgeneration sei es auch, die die mehrmals im Jahr angebotenen Reisen zu Kriegsgräberstätten annehme. "Unsere Fahrten sind oft schon früh ausgebucht", unterstreicht Robert Fischer das bleibende Interesse.
Johann Fleischmann hält nun mehr denn je die Erinnerung an seinen Onkel Richard wach. Er berichtete seiner Ehefrau Elisabeth, seinen beiden Töchtern, den drei Enkeln von seinen Erlebnissen in Belarus. Als Vorsitzender des Kameraden- und Soldatenvereins Amlingsstadt-Roßdorf hat der frühere Stabsunteroffizier der Bundeswehr obendrein einen willigen Zuhörerkreis.
Es sind wohl in erster Linie Familiengeschichten, die berühren. So wie die des gebürtigen Seigendorfers Richard Fleischmann, der an der russischen Front bei Smolensk schwer verwundet und von Kameraden zum Hauptverbandsplatz Shelesinka gebracht wurde. Dort starb er.
Fünf weitere Angehörige der Familie Fleischmann kamen im Zweiten Weltkrieg ums Leben. "Ich möchte das Gedenken an sie alle wachhalten und mahnen, dass es nie wieder Krieg gibt!" sagt Johann Fleischmann nachdrücklich. Er macht sich ein Wort von Albert Schweitzer zu eigen: "Die Soldatengräber sind die großen Prediger des Friedens und ihre Bedeutung als solche wird immer zunehmen."
Fakten aus Weißrussland Menschenleben Die geschätzten deutschen Verluste im Zweiten Weltkrieg auf weißrussischem Gebiet betragen etwa 250 000 Tote. Nach den vorliegenden Unterlagen rechnet der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit rund 40 000 in Kriegsgefangenschaft Verstorbenen. Die deutsche Besatzungsherrschaft 1941-44 führte zum Tod eines Viertels der Bevölkerung, darunter fast die gesamte jüdische Bevölkerung des Landes. Fast alle Städte des Landes waren völlig zerstört.
Abkommen Das Kriegsgräberabkommen zwischen der Republik Belarus und Deutschland wurde am 28. Juni 1996 unterzeichnet, ist jedoch von belarussischer Seite noch nicht ratifiziert worden. Offizieller Ansprechpartner für den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ist das Verteidigungsministerium von Belarus. Der Volksbund sorgt auch für Soldatengräber in Belarus aus dem Ersten Weltkrieg.
Jubiläum Nächstes Jahr besteht der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge 100 Jahre. Kontakt Weitere Infos unter www.volksbund.de und in der Geschäftsstelle des Bezirksverbands Oberfranken des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Maximilianstraße 6, 95444 Bayreuth, Telefon 0921/98565.