Kann Musik Geschichten erzählen? "Vielleicht, eigentlich, nicht wirklich" bekommt man als Antwort, wenn man Erwachsene fragt. "Ja natürlich!" kann man hören, wenn man Kinder fragt. Denn bei ihnen ist ihre Phantasie noch ein Teil ihrer Welt, wirkt Musik noch unmittelbar, wird sie noch nicht von Erwartungshaltungen geprägt und gesteuert. Zumindest merken sie es noch nicht. Bester Beweis ist immer wieder "Peter und der Wolf", das berühmte musikalische Märchen, das Sergej Prokofjew getextet und vor allem komponiert hat.
Er entsprach damit einer Anregung und einem Wunsch von Natalia Saz, der Leiterin des Moskauer Kindertheaters. Man kann sich von der Naivität dieses Werkes verzaubern lassen. Aber Prokofjew war ein politischer Komponist, bei dem man immer Hintergedanken vermutete, und so geriet diese kleine Oper ohne Arien in die Fänge der Deuter. Vielleicht lagen die gar nicht so falsch, die behaupteten, die für Prokofjew so untypische Naivität sei ein Ergebnis seines Ansinnens, auch einmal wieder nach den Regeln und Erwartungen des damals als verbindlich propagierten "Sozialistischen Realismus" zu komponieren. Schließlich hieß der Originaltitel ja auch nicht "Peter und der Wolf", sondern "Pionier Peter".
Andere sahen in dem bösen Wolf Hitlerdeutschland, das die Sowjetunion überfallen hatte, wieder andere deuteten das Werk als Umsetzung des Generationen- und Institutionenkonflikts und einiges mehr.


Humorvoller Charme

Die Kinder, die zu einer der insgesamt sieben Vorstellungen des Bayerischen Kammerorchesters Bad Brückenau (auch in Bad Brückenau und Bad Neustadt) in das Kurtheater gekommen waren, interessierte das natürlich nicht, und das musste es auch nicht. Sie genossen den humorvollen Charme und die Spannung der Aufführung. Das wurde ihnen aber auch einfach gemacht. Carlos Dominguez-Nieto, ausgewiesener Fachmann (nicht nur) für kindgerechte Adaptionen musikalischer Werke aller Art, hatte ein elfköpfiges Musikerensemble zusammengestellt, das in der Besetzung mit Streichquintett, Flöte, Oboe, Klarinette, Fagott, Horn und Perkussion zwar die Prokofjewschen Vorgaben erfüllte, aber das junge Publikum nicht mit sinfonischer Wucht verschreckte. So erleichterte er nicht nur die Identifikation der Kinder mit der Musik und den Figuren, sondern er konnte auch in einen entspannten Dialog mit ihnen treten. Er stellte ihnen nicht nur die einzelnen Instrumente vor, sondern führte sie auch so ganz nebenbei in die Leitmotivtechnik ein, ließ die einzelnen Musiker die für die Menschen und Tiere typischen Auftrittsthemen vorspielen, aber auch ihre Variationen: "Wie klingt das, wenn eine Katze einen Baum hochklettert? Wenn ein Vogel wegflattert? Wenn die Jäger schießen?" Die Kinder hatten daran ihr Vergnügen. Erleichtert wurde ihnen das nicht nur durch die pointierte, klangmalerische Spielweise der Musiker, sondern auch durch Bärbel Seitz und Rainer Hipp vom "münchner puzzletheater", die auf einer kleinen Bühne auf der Bühne die Geschichte mit Hand- und Stabpuppen mitspielten und die eigentlich dramatische Geschichte ins Reich der Heiterkeit führten.


Kontrzentriert bei der Sache

Trotzdem waren die Kinder sehr konzentriert bei der Sache und erstaunlich ruhig. Und durchwegs begeistert. David (3. Klasse) brachte es anschließend auf den Punkt: "Die Handlung war total spannend, die Musik wunderschön, vor allem die von Peter." Die konnte er aus dem Stand heraus sogar nachsingen. Und als angehendem Mathematiker ist ihm aufgefallen, dass es mehr Musiker als Figuren waren: 11 zu 8. Das einzige, was ihn irritiert hat, war, dass der Wolf mit seinem orangefarbenen Fell eigentlich wie ein Fuchs aussah.
Nur ein Mädchen äußerte Unmut: "Als der Wolf die Ente gefressen hat, wäre ich fast eingeschlafen." Ob man ihm das glauben soll? Da hätte es vielleicht ein bisschen müder schauen sollen. Ob wirklich, wie Carlos Dominguez-Nieto am Ende meinte, alle glücklich waren? Sicher nicht der Wolf, der in den Zoo abgeführt wird, wo er, wenn er heil davon kommen will, die Ente herauswürgen muss. Und vielleicht auch nicht die Jäger, die nicht zum Schuss gekommen sind. Die Fragen müssen offen bleiben.